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Ausgabe:

1978

Spalte:

654-656

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schütz, John Howard

Titel/Untertitel:

Paul and the anatomy of apostolic authority 1978

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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len Auslegung), sondern auch der talmudischen (haggadischeu
wie halachischen) Überlieferung. Die Bezeichnung „klassisch"
für diese Periode ist durchaus gerechtfertigt, da in der Tat die
hier ausgeprägten Gattungen im wesentlichen maßgebend geblieben
sind. Für die poetologisch-ästhetische Sicht gilt dies
jedoch — wenn man vom ilalo-aschkenasischen Pijjut (s. u.) absieht
— nicht so, sofern man wirkungsgeschichtlich urteilt.

Der orientalisch-nachklassische Pijjut (Teil IV, S. 279—329)
ist ebenfalls erst dank der Funde aus der Kairoer Geniza erforschbar
geworden. Infolge der Festsetzung der Gebetstexte
mußte der Pijjut sich nun diesen fügen und verlor in manchen
kompositorischen Gattungen den alten strukturellen Sinn, wurde
in der Folge manchmal verstümmelt oder durch fremde Stücke
ergänzt überliefert. Die alten kompositorischen Einheiten gerieten
also zum Teil aus den Fugen, wobei Einzelgattungen neu
entstehen oder zumindest neue Bedeutung erhalten konnten.
Dazu kam ein Zug zu größerer Volkstümlichkeit, zum Lyrischen
, eine entsprechende Beliebtheit und quantitative Zunahme.
Eine Sonderstellung und in gewissem Maß eine Uberleitung
zum spanischen Pijjut bilden die Dichtungen des Gaon Saadja
(gest. 942), von dem übrigens auch das älteste erhaltene Gebetsbuch
mit (sicher) zeitgenössischen Gebetstexten stammt. In
dieser Periode zeigt sich mit nichtliturgischen religiösen Poesiegattungen
(Baqqaschot) auch schon ein neues individualistisches
Interesse. Die Hauptgattung der Zeit war der Jotzer.

Für die spanische Periode (Teil V, S. 333—421) sind drei wichtige
Merkmale kennzeichnend: (1) Das Aufkommen des nach
arabischem Vorbild entwickelten neuen, quantitierenden Metrums
, das alsbald in fast alle Bereiche der jüdischen Welt gelangte
, daneben das Silbenmetrum in Weiterführung der alten
Rhythmus-Technik; (2) ein neues Selbstbewußtsein der Autoren,
nun nicht mehr Vorbeter in den Synagogen, sondern vor allem
Dichter höfischer Gesellschaftskreise und eben vielfach auch
profane Dichter; und (3) ein Höhepunkt in der Technik aufein-
anderbezogener Verwendung von anspruchsvoller Reimtechnik
und Strophenbau, vor allem im sog. „Gürtellied" und in „gür-
telliedartigen" Pijjutim. Sieht man von den — nicht sehr zahlreichen
— Gesamtkompositionen für den Großen Versöhnungstag
(Ma'amad Jörn Kippur) ab, so konzentriert sich das Interesse
der Spanier auf Einzelgattungen (v. a. im Jotzer), auf Variationen
des Einführungspijjut (Reschujot) und nicht zuletzt auf
die Selichot (mit ihren Untergattungen). Völlig neu war die
Wertorienticrung der Epoche. Infolge der neuen Philologie nach
klassisch-arabischem Vorbild und auf biblisch-masoretischer Basis
erschien der alte Pijjut sprachlich wie ästhetisch als fragwürdig
, neue Bildungsinhalte verdrängten die alten Lehrinhaltc.
Uberhaupt erscheint der Pijjut trotz der erreichten poetischen
Vervollkommnung gerade in dieser Zeit relativiert — als eine
Sparte des literarischen Schaffens unter anderen.

Ganz anders im italo-aschkenasischen Pijjut. (Teil VI, S.
425—484). Hier wirkte trotz unmittelbarer Anknüpfung an den
orientalisch-nachklassi9chen Pijjut der klassische Pijjut mit seinem
lehrhaften und dramatischen Charakter als höchster Maß-
Hab und als Vorbild weiter, allerdings strikte in der ergänzenden
, nicht in der die Gebetstexte ersetzenden Rolle. Erst im
spülen Mittelalter machte sich spanischer Einfluß geltend, in
Italien freilich viel früher und dann so stark, daß Zentraleuropa
allein weiter die alle Schule des Pijjut vertritt.

Zentrale Gattungen waren hier Jotzer und Ma'arib, Selichot
und Qinot; auch einige kleine Einzelgaltungen entstanden in
diesem Bereich, vor allem für Hochzeiten schuf man beachtlich
viel Poetisches. Talmudischer Einfluß, haggadischer wie halachi-
scher, aber auch sprachlicher Art machte sich deutlich geltend,
dazu die inhaltliche Färbung bestimmter Einzelgattungen durch
die esoterische Spekulation. Hingegen entspricht die völlige Konzentralion
auf das Volksgcschick und die entsprechend geringe
Rolle individualistischer Züge dem alten klassischen Pijjut. In
den Selichot und Qinot spiegeln sich in zunehmendem Maß
auch Zeitereignisse, der Pijjut repräsentiert sich somit hier wie
anderswo entsprechend den unterschiedlichen Zeitverhältnissen
bei aller konventionellen Bindung auch als Spiegel der Periode
und Region. Sowohl der historisch-kulturgeschichtliche wie auch

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der religions- und gcistesgeschichtliche Quellenwert dieser Lite-
ralurzeugnisse sind noch überwiegend unerforscht.

Den Abschluß des Bandes bilden eine gute Bibliographie
(S. 487—510), ein Namens- und Sachregister (S. 511—525) und
ein Verzeichnis der Abbildungen (S. 526—527).

Betont zu werden verdient auch die gefällige Ausstattung und
der sorgfältige Satz. Druckfehler begegnen selten, S. 72 müßte
es z. B. bRH 17b statt 13b heißen, in der Bibliographie S. 504
bei Zulay „babylonischen", zwei Zeilen darnach die Jahreszahl
5697. S. 508 hei Fleischer, Tarbiz 42 im Titel: Berurim, bei
Fleischer, JQR 65 ist „Some" im Titel zu streichen. Die Bibliographie
enthält zum Teil kleine Einzelpublikationen älteren
Datums, aber einige neueren Datums hingegen nicht; sie wäre
auch zweckmäßiger einzuteilen.

Fleischers großes Werk wird zweifellos für längere Zeit Grundlage
und Orientierungspunkt der weiteren literaturwissenschaftliehen
Arbeit am hebräischen Pijjut bilden. Er hat das derzeit
zugängliche Material in einer meisterhaften Weise erschlossen.
Raum für weitere Forschungen bleibt zwar genug, doch wer
ihn wahrnimmt, wird dem Autor in jedem Fall verpflichtet sein.

Köln Johann Maier

Bassarak, Gerhard: Einige theologische Bemerkungen zum Problem
des Zionismus (ZdZ 1977 S. 90-94).

Israel im Nahen Osten. Auszug aus einem Informationspapier
des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (ZdZ 1977
S. 218-224).

Kirchner, Peter: Friedensaufgabe im Judentum (ZdZ 1977
S. 248-251).

Sand, Alexander: Jesus im Urteil jüdischer Autoren der Gegenwart
(1930-1976) (Cath 31, 1977 S. 29-38).

NEUES TESTAMENT

Schütz, John Howard: Paul and the Anatomy of Apostolic
Aulhorily. London: Cambridge University Press [1975]. XII,
307 S. 8°. Lw. £ 8.25.

Diese Studie befaßt sich mit einem begrenzten Teihispekt des
Gesamtphänomens „Apostolat" im Urchristentum, nämlich mit
dem apostolischen Selbstbewußtsein des Paulus. Sie tut dies
mit der Hilfe dreier Leitbegriffe, die der modernen soziologischen
und sozialpsychologischen Diskussion entlehnt sind: Macht,
Autorität und Legitimität. Zu Eingang gibt Schütz eine Bestimmung
dieser Begriffe unter dem Gesichtspunkt ihres gegenseitigen
Verhältnisses: Autorität hat nicht nur Macht hinter
sich, sondern macht Macht zugänglich; sie ist eine Interpretation
von Macht, durch die diese für die Gemeinschaft annehmbar
wird. Legitimität wiederum ist eine Interpretation von
Autorität, d. h. ein Versuch, Autorität kommunikabel und zugänglich
zu machen. Sie ist eine Formalisierung von Autorität,
die da erfolgt, wo Gestalt und Gefüge des gesellschaftlichen Verbandes
solche Formalisierung gestatten bzw. fordern (21). Hier
schließt nun die zentrale These von Schütz an: Paulus benutzte
seinen Apostolat als Inlerpretament seiner Autorität,
nicht jedoch seiner Legitimität. Denn Legitimität im
Sinne einer Formalisierung von Autorität hatte im Urchristentum
noch keinen Platz, sondern war erst Sache des Frühkatholizismus
.

Die nähere Begründung setzt ein bei dem Verhältnis von
Apostel und Evangelium. Hier wird, sieher zu Recht, wenn
auch nicht ohne eine gewisse Einseitigkeit, der Charakter des
Evangeliums als lleilsgcschehen herausgestellt, dem der Apostel
als sein Vertreter zugeordnet ist. In der Terminologie von
Schütz bedeutet das: Das Evangelium ist Macht, die durch die
Autorität des Apostels für die Gemeinschaft zugänglich gemacht
wird, wobei dieser dadurch freilich gegenüber der Gemeinschaft
keine besonders privilegierte Position gewinnt (60).

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9