Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

645-647

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vosberg, Lothar

Titel/Untertitel:

Studien zum Reden vom Schöpfer in den Psalmen 1978

Rezensent:

Albertz, Rainer

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

645

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9

6<6

Damit hat sich der Kommentator ein System der literarischen
Entwicklung geschaffen, das über den chronologischen Werdegang
der Einzelstücke noch nichts auszusagen vermag. Ein Kriterium
für den Abschluß des gesamten Buches sieht Stoebe in
der Einfügung von Kapitel 7, das die deuteronomistische Bewegung
voraussetzt, welche das gesamte Werk geprägt hat.
Unter diesem Eindruck sind dann auch die Kapitel 8—12 umgestaltet
worden. Damit ist eine nachträgliche Ausprägung vorgenommen
worden, ohne daß der gesamte Stoff im Kern angelastet
worden ist; vielmehr hat dieser schon vorher eine fest«
Form erhalten, nicht jedoch vor der Zeit Davids.

Der Kommentar selbst verfährt dann so, daß der Stoff in
textlicher Aufeinanderfolge in Perikopen eingeteilt wird, welche
durch traditious- und redaklionsgeschichtlichc Erörterungen eingeleitet
werden, die Frage nach der geschichtlichen Zuverlässigkeit
eingeschlossen. I. Silo, die Eliden und Samuel, 1,1—7,1
(S. 84 —1G6), 11. Redaktionelles Zwischenstück, Samuels Sieg
bei Mizpa und sein Richteramt, 7,2—17 (S. 167—175), III. Der
Anfang des Königtums Sauls, 8,1—15,36 (S. 176—296), IV.
Sauls Niedergang. Davids Aufstieg 16,1-31,13 (S. 296-522).
Die gesamte Kommcntarleistung wird gekrönt durch das Kapitel
„Das Königtum Sauls und seine geschichtliche Bedeutung"
(S. 533-537).

Ein sehr reichhaltiges Literaturverzeichnis (,S. 68—83), verschiedene
Register: 1. Hebräische Wörter, 2. Personennamen,
3. Stammes- und Völkernameu, 4. Geographische Namen,
5. Realien, 6. Theologische Begriffe, 7. Bibelstellen, 8. Texte
(gemeint sind außerbiblische, der Rez.) (S. 538—544), vor allem
aber die jedem Textabschnitt beigegebenen text- und lite-
larkritischen Apparate schöpfen die Aussage des ersten Samn-
elis-Buches der gegenwärtigen Forschungsanlage entsprechend soweit
wie möglich aus. Das alles ist von einer sehr eigenständigen
Handschrift aufgezeichnet, was einem diesen Kommentar
nicht allein werlvoll, sondern auch sympathisch macht, ja selbst
da, wo man seine eigenen Gedanken zur Sache hat. Möge die
Kommenticrung des zweiten Samuelis-Buches dieser leider
etwas verspäteten Würdigung recht bald folgen!

Halle/Saale Grrtiard Wallis

Yosberg, Lothar: Sttidicn zum Reden vom Schöpfer in den Psalmen
. München: Kaiser 1975. 123 S. gr. 8° = Beiträge zur
evangelischen Theologie, hrsg. v. E. Jiingel O. R. Smend,
69. DM 17,-.

Das Buch gliedert sich in eine Einleitung und zwei Haupt-
teile. Der erste behandelt die Psalmen 74; 89 und 102, der
zweite Ps 33; 95; 115; 124; 135; 136; 147 und 148. Das sind
weniger als die Hälfte der Psalmen, die von Schöpfung reden
{/.. B. fehlen Ps 8 und 104), auch die vielen den Psalmengattungen
zuzurechnenden Texte außerhalb des Psalters (in Am; Jer;
Dt je*; Iii u. a.) bleiben unberücksichtigt.

Den Grund für diese Auswahl gibt der Vf. S. llf. Er ist an
der Frage interessiert, welche geschichtliche Situation „das Reden
vom Schöpfer provozierte", und „diese Frage läßt sich am
besten dadurch angehen, daß die vom Schöpfer und vom Herrn
der Geschichte sprechenden Psalmen untersucht werden" (man
fragt sich, warum. Gilt das Kriterium auch für Ps 124? Warum
wurden Ps 24; 96; 146 nicht hinzugenommen?). Voraussetzung
des Vfs. ist, daß die Psalmen (auch die Hymnen!) in eine ganz
bestimmte zeitgeschichtliche Situation sprechen wollen (S. 12f.).
Darum ist ihre genaue Datierung unumgänglich (I4f.); hier ist
der Vf. optimistischer als die meisten gegenwärtigen Forscher:
er datiert die Psalmen des ersten Teils sicher in die exilische
(587—538 v. Chr.) und die des zweiten Teils z. T. in die früh-
nachexilische (538—445), z. T. in die nachexilische Zeit 'ab 445;
S. 16—21); wieder fragt man sich, ob das so sicher möglich ist.
Die Möglichkeit einer traditionsgeschichtlichen Schichtung wird
vom Vf. nicht einmal erwogen. Die Hauptfrage des Vfs. lautet
dann, auf welche Weise die Verfasser der Psalmen mit dem Reden
vom Schöpfer ihre jeweilige Situation bewältigten (S. 22f.;
vgl. 14).

Die Antwort auf die Frage ist für die exilischen Psalmen (74;
89; 102) klar: „Mit dem Reden vom Schöpfer wird die Krise des
Erwählungsglaubens überwunden (S. 53 u. ö.); der Vf. ergänzt
die bekannte These G. v. Rads: „der ,Hcilsgaube' erlangt Aktualität
,in Abhängigkeit von Inhalten und Anliegen' des ,Schöp-
fungsglauhens'" (57); das ist schon von anderen ähnlich gesagt
worden (z. B. Ph. B. Harner, VT 17, 298ff.; 0. H. Steck, KuD
15, 2801T.; R. Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung,
HOff.; 162ff.) und läßt sich von Dtjes her sehr viel präziser und
differenzierter nachweisen. Abweichend von der bisherigen Diskussion
ist allerdings Vosberg der Meinung, daß das Thema
Schöpfung in diesen exilischen Psalmen zum ersten Mal „vor-
aiissetzungslos" in Israel aufgenommen sei (S. 22f.; 26; 40),
und zwar von einzelnen eingebracht (er hält Ps 74; 89 für Fürbittgebete
einzelner!); leider geht der Vf. auf die meiner Meinung
nach sicher vorexilischen Belege Gen 14, 19; die Amos-
doxologien und Ps 24 nicht ein.

Die Antwort auf die Frage für die frühnachexilischen und
nachexilisehen Psalmen ist sehr viel undeutlicher: der Vf. ist
in diesem Teil nicht mehr primär an der Schöpfung interessiert,
sondern daran, eine enge, fast literarische Entwicklung zwischen
den von ihm ausgesonderten Psalmen nachzuweisen (Schema
S. 80), Ausgangspunkt ist die „Vertrauensliturgie" Ps 115, die
jioch auf die volle Rettung ausschaut, am Scheitelpunkt steht
Ps 147 (Reaktion auf den Mauerbau 445f. v. Chr.), und der Endpunkt
ist die „Bekenntnisliturgie" Ps 135, die die Konsolidierung
der jüdischen Gemeinde („konfessioneller Monotheismus")
i inleitet In der ersten Phase hat das Reden vom Schöpfer mehr
Vertrauen schaffende Punktion, indem die Heilsgeschichte in
„uranfnnglichen heilvollen Horizont" der Schöpfung gestellt
wird (S. 117; vgl. 67 u. ö.), in der zweiten Phase mehr abgrenzende
Funktionen gegen den Synkretismus: ..Es gibt keinen Naturgott
und neben ihm einen Geschichtsgott, sondern nur den
Schöpfer der Welt" (121); hier geht es um den Aufweis der
Macht Gottes, seiner „Handlungsfähigkeit" und „Handlungsfreiheit
" (S. 120; vgl. 72 u. ö.). Im einzelnen ist die Entwicklung
sehr viel verwickelter und auch verwirrender.

Die rein zeitgeschichtliche Auswertung der Psalmen ist
50 Jahre nach B. Duhms Psalmenkommentar ganz originell; und
für die Präzisierung der theologischen Probleme des frühen Judentums
hat das Buch möglicherweise Bedeutung. Doch klärt
der Vf. seine Stellung zur form- und traditionsgeschichtlichen
Psalinenforschung nicht, er stellt nicht einmal die Frage, ob
gottesdienstliches Lob primär überhaupt zeitgeschichtliche Probleme
lösen will (Ps 136 oder 148 sind nirgends polemisch!), und
er zieht nicht alles verfügbare Material hinzu. Meiner Meinung
nach wäre das Reden von Schöpfung in späten Jer-Texten (10,
121.; 31, 35; 33, 2. 25f.) für das Vorhaben des Vfs. ergiebiger gewesen
.

Ansonsten ist die Bedeutung der Arbeit durch meiner Meinung
noch ganz erhebliche methodische Mängel eingeschränkt:
Eine sachgerechte Interpretation muß immer vom ganzen verfügbaren
Material ausgehen: Man kann bei einem so universalen
Thema wie das der Schöpfung nicht einfach die vielen Belege
außerhalb Israels beiseite lassen (S. 9), man kann nicht einige
Psalmen aus dem Gesamtkomplex des Redens von Schöpfung
in den israelitischen „Clobctsgattungen" total aussondern. Das
muß zu Fehlurteilen führen und führt es auch: Die neben der
Wcllschöpfvingstradilion herlaufenden Tradition der Menschenschöpfung
wird vom Vf. gar nicht erkannt [er wertet Ps 22,10f.
nicht als Schöpfungsaussagc (S. 11), offensichtlich weil er Hi 10
und die Heilsnrakel bei Dtjes nicht vor Augen hat]; die schwankende
Funktinnsbcstimmung der Weltschöpfung in Teil II beruht
darauf, daß der Vf. das Roden vom Schöpfer im priesterlichen
Segensspruch (Ps 115, 15 hat direkte Parallelen in Ps 134,
4; Gen 14, 19; vgl. Ps 121,2; 124,8, was der Vf. nicht berücksichtigt
) nicht als eigenen Zusammenhang erkennt, sondern einfach
mit dem Schöpfrrlob im Hymnus vermischt; dieser lobt im
Handeln des Wellschöpfers immer die weltüberlegene Majestät
Gottes. Von daher wird die zeitliche Aufteilung der Funktionen
völlig fraglich. Und die völlige Vereinnahmung der Weltschöpfung
für die israelitische Heilsgeschichte durch den Vf. ist
nur möglieh, weil er den religionsgeschichtlichen Hintergrund