Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

644-645

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Stoebe, Hans Joachim

Titel/Untertitel:

Das erste Buch Samuelis 1978

Rezensent:

Wallis, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

643

Theologische Lileraturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9

644

sem „Essay" geht: um eine vergleichende Phänomenologie des
Geistes, die zwar von der Keligionsphiinomenologie ausgehl —
„as religions are the matrices of what we expect to compare,
namely, some self-distinguishing and self-idcntical spiritual
spheres in the world" (1) — aher in noch weiterreichende, tic-
ferliegende Bezirke des spirituellen Lebens vordringen will. Gemeint
sind Lehens- und BewuBlseinsbereiche, die eine Religion
umgehen, tragen, von ihr ausgehen. Um diesen weiteren Radius
der „spiritual spheres" geht es. In diesem und nicht im
metaphysischen, Hegeischen Sinne gebraucht der Autor den
Begriff „spirit" (vgl. den Titel). Als Schlüssel zu diesen „Sphären
" benutzt er die Kategorien „anxiety" (Angst) und „tran-
quillity" (Ruhe).

Die ersten Kapitel sind dem kritischen Gespräch mit Vertretern
der Philosophie und Religionswissenschaft gewidmet:
mit Kant. Schleiermacher, Hegel („The Philosophical Scope of
Comparing in Religion", 10—21), mit „The Romantic Nursery
of Cumparative Religion and the Work of Max Müller" (22—31),
mit Uilthey in dem Abschnitt „Comparative Religion as History
of Religions and the Quest for Historical Self-knowledge"
(32—41) und schließlich mit Vertretern der phänomenologischen
Religionslheorie wie R. Otto, G. van der Lceuw und M. Eliade
(42-57).

Nachdem der Autor auf diese Weise seine Position allseitig
markiert hat, beginnt er von Kapitel 6 an, sie durch die Ausführung
seines Ansatzes zu beziehen und auszubauen. Dabei ist
ihm „consciousness" (Bewußtsein) — an E. Ilusserl anknüpfend
— von zentraler Bedeutung. Das Kapitel ..Consciousness
and Religion" (58—71) behandelt die Reflexion des Bewußtseins
über sich selbst, dabei Reflexion zum einen „as a fact
of consciousness itself" und zum anderen „as a method of
studyiug phenomena" unterscheidend (60). Im Sinne der erste-
ren, „spontanen Aktivität" erfährt das reflektierende Ich das
Manko seines Daseins, „the wrongness of exislcnce", als Abwesenheit
einer Realität (der abwesende Gott bzw. das Nichts).

Im 7. und 8. Kapitel (72—110) werden „Angst" und „Ruhe"
als grundsätzlich verschiedene Typen des Bewußtseins näher
charakterisiert: „anxiety" sei das Grundelement westlicher Spiritualität
, während im indischen Denken — Arapura stammt
aus Kerala! — die „Realität" erst jenseits von „anxiety" beginnt
und sich nur als „Ruhe" begreifen läßt, die Welt aber
Illusion ist. „Gnosis" und „Pistis" sind die unterschiedlichen
Haltungen diesem unterschiedlichen Welt- und Daseinsverständnis
gegenüber. Dementsprechend bedeutet ein Satz wie
der von der Abwesenheit Gottes jeweils etwas radikal anderes.

„Anxiety" und „tranquillity", welche nicht etwa psychologisch
gemeint sind, stehen somit für zwei verschiedene Sphären
des Geistes, für zwei parallele Wege des spirituellen Lebens,
für zwei verschiedene Typen von Innerlichkeit, was an einer
Fülle von Belegen aus Quellen beider Bereiche gezeigt wird
(Paulus — Nietzsche — Kierkegaard — Heidegger auf der einen,
Vedu — Vedanta — Buddhismus auf der anderen Seite).

Mit Gedanken zum „Dialog" (111-126) beschließt Arapura
seinen „Essay", womit er freilich nicht den Dialog zwischen
den Religionen und ihren Vertretern meint, sondern vielmehr
: „Dialogue. . . musl bc construed as what takes place
belween the spheres of the spirit in the sense that a thinker
thinks them together" (116, Hervorhebg. vom Rez.). „The
Absolute Truth itself appears to him in a two-fold way insofar
as not only what he thinks about but what he thinks i n are
the two spheres of the spirit" (125). Die eine der beiden „Sphären
", die „tranquillity"-Sphäre, läßt der Autor stets durch die
indische Religiosität und Denkweise repräsentiert sein. Der diametrale
Ansatz linearer und zyklischer Vorstellungen wird von
ihm an den Sätzen „Ich und der Vater sind eins" (Joh 10.30)
und „Ich bin Brahman" (Upanishaden) vorgeführt.

Von indischer Tradition herkommend und mit abendländischem
Denken vertraut, ist der Autor prädestiniert, ein so tiefgründiges
und vielschichtiges Thema anzugehen und auszuloten.
Es ist reizvoll, seinen Intentionen zu folgen und seine Gedanken
mitzudenken, sofern man sich dabei bewußt bleibt, daß
man eine phänomenologische Studie vor sich hat. Denn es besteht
die Gefuhr, >ich in jene Gedankenwelt zu verlieren. Dem
an historische und soziologische Fragestellungen gewohnten Leser
fällt diese Lektüre sicher nicht leicht.

Berlin Karl-Wolfgang Tröger

Batson, C. Daniel: Religion as Prosocial: Agent or Double
Agent;' (Journal for the Scientific Study of Religion 15, 1976

S. 29-45).

Baumann, Arnulf H. und Franz von Hammerstein: Der Dialog
wird verbindlicher. Kooperation von Juden und Christen
statt Ratlosigkeit (LuMo 15, 1976 S. 276-278).

Carr, Leslie G., and William J. Hauser: Anomie and Religiosity:
An Empirical Re-Examination (Journal for the Scientific
Study of Religion 15, 1976 S. 69-74).

Dijk, A. van: Hei Darmstadter Kongres van de „Deutsche Vereinigung
für Religionsgeschichte" in gemengd Nederlands-
Duits perspektief: De godsdienstfenomenologie beslreden!
(NedThT 30, 1976 S. 177-181).

Hasenfuss, Josef: Menschlichkeit, Brüderlichkeit, Friede in den
Religionen (Archiv für Religionspsychologie 12, 1976 S.
176-201).

Verghese, Paul: Ohne Angst vor Synkretismus. Eine Herausforderung
zum Dialog mit den Weltreligioncn (LuMo 16,
1977 S. 402-405).

ALTES TESTAMENT

Slocbe, Hans Joachim: Das erste Buch Samuelis. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1973. 544 S. gr. 8° =
Kommentar zum Alten Testament, hrsg. v. W. Rudolph, K.
Elliger, F. Hesse u. 0. Kaiser, VIII, 1. Lw. DM 140,-.
Die Kommentierung der Samuelisbücher stellt der moderneu
alttestamentlichen Exegese in erster Linie die Aufgabe einer
gründlichen Auseinandersetzung mit der Textlage. Dieser Verpflichtung
unterzieht sich der Autor auch gewissenhaft in dem
Kapitel „Der Text der Samuelbücher" (S. 25-32). Die Textformen
werden nicht allein durch den raasoretischen Text und
die griechische Ubersetzung der Septuaginta, sondern in diesem
Falle besonders durch die Zeugen der Höhlen von Qumran
repräsentiert. Der Kommentator bemüht sich darum, alle erkennbaren
Typen nach altbewährtem Grundsatz jeweils für sich
zu verstehen und am Einzelfall die Entscheidung über den
zugTundezulegendeu Text zu fällen (S. 31).

In zweiter Linie wäre dann über die Entstehungsgeschichte
der Samuelis-Bücher, hier also des ersten Buches, zu befinden.
Dieser Frage geht der Vf. in einem Kapitel „Die Entstehung
des ersten Samuclbuchcs" (S. 52—68) nach, nachdem er zuvor „Die
Geschichte der Forschung" (S. 32—52) ausführlich dargestellt
hat. Den Versuch der Unterscheidung von verschiedenen Quellen
der Samuelis-Bücher lehnt der Autor ab, da sich die ergebenden
oder eher postulierten Stränge als zu wenig einheitlich
erweisen. Vielmehr muß die Entstehung der Samuelis-
Bücher von anderen literarischen Einheiten her verstanden
werden, welche sich jeweils um bestimmte Persönlichkeiten
herum anordnen,,

So stellt Stoebe drei große Komplexe heraus, aus denen das
erste Samuelis-Buch zusammengewachsen ist: 1—6(7); 8—15
(16,1-13;; 16-30 (31 bzw. 2Sam 1). Dabei berichtet gerade
der letzte Komplex von den Begebenheiten der Flucht, den Gefahren
und jeweiligen Erettungen Davids auf dem Wege zu seiner
Königsherrschaft. Dieser Komplex ist durch 16,1—13 mit
dem Uberlieferungsstoff von Saul verklammert, welcher eher
unter dem Vorzeichen des Aufstiegs Davids so konzipiert worden
ist als eigentlich zum Zwecke der Schilderung des Aufstiegs
Sauls. Der dritte, textlich also erste Komplex ist mehr
als Vorbau zu diesem Thema zu deuten und von der historisch
weniger verläßlichen Nachricht übermalt, daß Samuel am Heiligtum
zu Silo geweilt und das Richteramt bekleidet habe.