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Ausgabe:

1978

Spalte:

637-639

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Halbfas, Hubertus

Titel/Untertitel:

Religion 1978

Rezensent:

Kehnscherper, Günther

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637

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 9

038

Fries, Heinrich: Reformation als immerwährende Aufgabe der

Kirche (Wort und Antwort 18, 1977 S. 7-13).
Hahn, Viktor: Rede von Gott. Theologie zwischen Erfahrung,

Denken und Glauben (TThZ 86, 1977 S. 179-191).
Kunisch, Hermann: Romano Guardini als Interpret (StZ 102,

1977 S. 602-616).
Lechner-Knecht, Sigrid: An den Grenzen des Wissens. Adolf

Portmanns Beilrag zu einem neuen Weltbild (DtPfrBl 77,

1977 S. 569-573).
Theologie im Haus der Wissenschaften. (Themenheft ThQ 157,

1977, Heft 3):

Seckler, Max: Theologie, Religionsphilosophie, Religionswissenschaft
. Versuch einner Abgrenzung, S. 163—176

Schaeffler, Richard: Zur Wissenschaftstheorie der Theologie.
Ein Beilrag zur Beantwortung der „Quaestio iuris", S.
177-188

Kasper, Walter: Dogmatik als Wissenschaft. Versuch einer
Neubegründung, S. 189—203

Simon, Josef: Zur philosophischen Ortsbestimmung theologischer
Wissenschaft von ihrem Gegenstand her, S. 204—207

Schramm, Matthias: Theologie und Naturwissenschaft — gestern
und heute, S. 208-213

Kautzky, Rudolf: Der halbe Mut genügt nicht! S. 214—216

Tenbruck, Friedrich H.: Die Theologie aus der Sicht der
Soziologie, S. 217-218

Brinkmann, Richard: Theologie und Literaturwissenschaft —
Die freundlichen Brüder, S. 219-222

Reinhardt, Rudolf: Dimensionen einer kirchlichen Theologie,
S. 223-225.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Halbfas, Hubertus: Religion. Stuttgart—Berlin: Kreuz Verlag
[1976]. 238 S. 8° = Bibliothek Themen der Theologie, Ergänzungsband
.

Für die ..Bibliothek Themen der Theologie" hat H. J. Schultz
als Herausgeber von bereits 16 Bänden dieser überaus interessanten
und hilfreichen Buchreihe nach Autoren, wie W.-D.
Marsch (Zukunft), H. Braun (Jesus), G. Otto (Vernunft), E.
Jüligel (Tod) und D. Solle (Leiden) nun auch H. Halbfas,
Professor für Beligionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule
in Reutlingen, für das schwierige Thema Religion gewinnen
können.

Nach den schweren Konflikten, in die man den Autor in den
vergangenen Jahren hineingezogen hatte, darf man wohl in
diesem geistvollen Ruch ein persönliches Glaubensbekenntnis
sehen.

Der Vf. will keinen Uberblick über die Weltreligioncn und
ihre Erscheinungsformen geben, weist aber auf markante Ein-
celcfigc hin, die jeweils in der Geschichte mit dem Anspruch
aufgetreten sind, eine ewige Wahrheit zu verkünden oder
einen supranaturalen bzw. metaphysischen Sachverhalt zu bezeugen
. Es kommt ihm auch nicht auf eine umfassende Darstellung
des Phänomens Religion an; damit wäre ein Buch
in dieser Reihe schon vom Umfang her überfordert. Vielmehr
konfrontiert er den Leser mit Zeugnissen von der Faszinationskraft
religiöser Erfahrungen aus dem christlichen und nicht-
eliristlichen Bereich. Er läßt ihn Blick und Gespür für die den
Raum rein intellektueller Erkenntnis übergreifende Dimensionen
des Religiösen gewinnen. Da hier grundsätzliche Einsichten
stets an konkreten Beispielen gewonnen werden, wird
die Krkenntnis geweckt, wie untrennbar Sachverhalte und Er-
f.ilirungsweisen, die man in aller Welt mit Religion bezeichnet,
mit dem Leben der Menschheit verbunden sind und viele
Menschen heute innerlich bewegen. So ist eine allgemeinverständliche
Einführung in die vielfällige Wirklichkeit dessen
entstanden, was man Religion nennt, ohne daß dabei die mit
Religion befaßten Wissenschaften selbst zu stark thematisiert
worden wären. In farbiger und lebendiger Darstellungsweise
werden die Leser mit den heute wichtigen Dimensionen der
Religion ansatzweise bekannt gemacht. Wohltuend empfindet
mau, daß hier nicht polemisiert wird. Aber man spürt, daß dem
Vf. während seiner Arbeit jene Lehrer der Religion warnend

vor Augen gestanden haben, denen über dem Studium der
Theologie die Religion und die Religionen als Thema und
Interesse verborgen blieben.

Der Vf. verheimlicht nicht die Schwierigkeiten: Von dem Erspüren
und Wahrnehmen religiöser Phänomene ist es ein
weiter Weg, Zutrauen zu den sich erschließenden Möglichkeiten
zu fassen und ihre Tiefendimensionen auf die Geschichte des
eigenen Lebens zu beziehen. „Die dargestellten religiösen Erfahrungen
finden sich in allen Religionen der Welt, doch nirgendwo
als Massenphänomen, sondern als der mehr verkannte
und verdrängte Besitz" nur eines Teils der Gläubigen. Immerhin
machen aber gestern wie heute Millionen von Menschen
religiöse Erfahrungen. Aber sie vertrauen ihren eigenen Erfahrungen
kaum, wagen es nicht, befragbare Glaubenssetzungen
daraus abzuleiten. So gelangen heute selten Menschen durch
ihre religiösen Erlebnisse zum Glauben. Sie scheuen ein Vertrauen
auf eine Realität, die nicht evident ist (32). Hinzu
kommt die immer wieder erschreckende Tatsache der Institutionalisierung
. Manche Praxis religiöser Veranstaltungen
„kann wirkliche Religiosität eher niederhalten als entwickeln
helfen". Aber — „das Eingeständnis, von den Angeboten einer
religiösen Institution nicht mehr leben zu können, kann die
Wendung zu eigenen religösen Möglichkeiten werden" (33).

In Kap. I „Religion und Erfahrung" (9—34) versucht der Vf.
anhand von sorgfältig ausgewählten Textproben darzustellen,
daß die Welt der Religion sich dem suchenden Menschen erst
jenseits des „Nadelöhrs" (Buddhismus, Islam und Judentum),
hinler einer „Betonmauer von 50 Fuß" (Kierkegaard über
Lao-Tse), oder „hinter dem Schild" (Yaqui-Indianer) auftut, die
unsichtbare Gewalten traditionellen Erkennens und „Für-wahr-
Haltens" gegen das sinnenhafte Fragen und Suchen der Menschen
aufgerichtet zu haben scheinen.

Kap. II „Religion und Sprache" (35—64,) erläutert die Tragweite
der Tatsache, daß alle großen Wellreligionen, insbesondere
Judentum, Christentum und Islam eine feste, literarisch
gestaltete Tradition haben. Der in den religösen Mythen
vorhandene Wahrheitsgehalt findet in unserer Zeit überall
dort wieder ein richtiges Verständnis, wo die freimachende
Botschaft, die „Sache" der Mythen durch das Sprechen, Erzählen
, Argumentieren und persönliche Zusagen zu einer lebendigen
, heute genau wie damals Nachfolge und Gemeinschaft
stiftenden Kraft wird.

Die Gefahr liegt darin, daß durch die Gleichsetzung von Erlernen
mit Erfahren eine „Religion bloßen Meinens'" entsteht.
„Die Lehrsätze der Religionen, in Büchern aufgeschrieben und
durch Unterricht vermittelt, sind jedermann wohlfeil. Sie begründen
die ,bona fides' der Massen, denen die Erfahrung
ihres Glaubens fremd bleibt" (37).

Kap. III „Religion und Kultur" (65—99) erweitert diese Gedanken
durch die Einbeziehung des Kultes in die Darstellung.
Verarmung im Bereich von Kult und Fest, Verständnislosigkeit
für die göttlichen Seinsgcstalten der Welt, sei es im Kreisen
der Gestirne oder in der Erhabenheit der Berge, sei es in der
I Ii ifti rcht vor dem Leben des Tieres und der Pflanze oder im
Schweigen angesichts der Weiten des Meeres, all das hat die
Christenheit weithin zu einem Bruch zwischen Geschichte und
Natur geführt, dessen entfremdender Charakter durch den Verlust
der ursprünglichen Einheit von Heiligem und Profanem
offenbar geworden ist.

Von großer Aktualität ist dann Kap. IV „Religion und Gesellschaft1
(101-140). Nachdem der Vf. den Begriff „Weltansicht
" erläutert hat. der in der neueren Soziologie üblich geworden
ist, demonstriert er in anschaulicher Weise anhand der
viel zu wenig beachteten Forschungsergebnisse von Elbert
W. Bussel: „Je strenger religiös und je orthodoxer eine
Person oder Gruppe ist, desto militaristischer werden ihre Ein-
slcllungen sein" (117). Es sind nachdenklich slimmende Erkenntnisse
, wenn die moderne Religionssoziologie zu dem Ergebnis
kommt, daß fundamentalistisch denkende Christen eine
besonders große Hcreitschafl aufbringen, „menschliches Verhalten
mit Gewalt und Strafe zu kontrollieren und Konflikte
autoritär zu lösen" (118).