Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

617-619

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Smith- von Osten, Annemarie

Titel/Untertitel:

Von Treysa bis Eisenach 1978

Rezensent:

Smith- von Osten, Annemarie

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

an

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1978 Nr. 8

018

So weisen alle Absichtsangaben im Römerbrief', 1,11.12; 15,15.24.32,
in dieselbe Richtung: die von Paulus gelobten Römer werden vom
Heidenapostel durch den Brief wegen einer außergemeindlichen
Gefahr gestärkt und erinnert. Diese Ausführung wird mehr als in
anderen Briefen durch die christliche Tradition begründet.

Wenn man weiter berücksichtigt, daß einerseits das eigentliche
Reiseziel im Westen nicht Rom sondern Spanien ist und andererseits
Paulus zuerst nach Jerusalem reisen muß, kann man den
Römerbrief für einen vorauseilenden Helfer in der römischen Situation
halten: die Gefahr ist nicht klein; sie kann den Missionsplan
des Paulus in Spanien gefährden. Deswegen will Paulus für sich
und für das gesetzesfreie Evangelium sowohl in Rom als auch in
Jerusalem Anerkennung finden. Jedenfalls kann Paulus von Rom
nach Spanien erst dann Weiterreisen, nachdem sich die Situation
in Rom beruhigt hat, 1,12; 15,24.

Wenn diese Lösung des Abfassungszwecks richtig ist, will der
Brief demgemäß verstanden und muß auch demnach erklärt werden
. Ist der Brief hauptsächlich Apologie, muß er entapologisiert
werden, damit man die theologische Anschauung des Paulus besser
verstehen könnte. Dann ergibt sich, daß die Kapitel 9-11 nicht so
zentral für die Pauluskenntnis sind, wie einige moderne Theologen
denken. Auch die verschiedenen Betonungen des Römerbriefes im
Vergleich zu den anderen Paulinen - etwa beim Gesetz oder bei der
Israel-Frage - werden aus dem Abfassungszweck verständlicher.

Smith, Annemarie: Von Treysa bis Eisenach. Zur Geschichte der
ersten Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland,
Diss. Tübingen 1977, 527 S.

Der Gegenstand der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit sucht die Grundordnung der Evangelischen
Kirche in Deutschland in den Phasen ihrer Entstehung nachzuzeichnen
und richtet ihre Aufmerksamkeit damit auf eine der
dringlichsten Aufgaben der Evangelischen Kirche in der Nachkriegszeit
. Schon die ersten Aktionen von kirchlicher Seite im
Frühjahr 1945 galten - neben der Linderung der akuten Not und
dem Aufbau des Hilfswerkes - den Bemühungen um eine Neuordnung
der zerstörten Kirchen: der Deutschen Evangelischen
Kirche und derjenigen Landeskirchen, die von Deutschen Christen
regiert worden waren.

Der auf der Kirchenversammlung in Treysa im August 1945
konstituierten vorläufigen Kirchenleitung (Rat) der EKD, deren
unmittelbare Funktion es war, die Gesamtkirche den Bestzungs-
mächten und der Ökumene gegenüber zu vertreten, wurde die
„Vorbereitung einer endgültigen Ordnung" als Hauptaufgabe übertragen
. Die Umrisse einer solchen endgültigen Ordnung sollten in
den in Treysa gemachten grundsätzlichen Äußerungen zur „Gestalt
" der EKD bereits vorgezeichnet werden. Bis zur Verabschiedung
einer Grundordnung der EKD in Eisenach im Juli 1948 beschäftigte
die Grundordnungsfrage dann nicht nur die offiziellen
Gremien der EKD, sondern ebenso die kirchlichen Gruppen, die
über 1945 hinaus das Geschick der Evangelischen Kirche mitbestimmen
wollten. Das Bild dieser drei Jahre zwischen Treysa
und Eisenach zeichnet sich als ein bestandiges Ringen um Wesen
und Aufgabe einer evangelischen Kirche nach den Erfahrungen
des Kirchenkampfes inmitten einer zerrütteten Christenheit.

Hauptträger der Auseinandersetzung um die Grundordnung
waren der Bruderrat der EKD als Organ der Bekennenden Kirche
und diejenigen Mitglieder des Lutherrates, die die Bildung einer
Vereinigten Evang.-Lutherisehen Kirche förderten oder betrieben.
In der Schärfe der Auseinandersetzung zeigte sich, daß die im
Einigungswork angebahnte Gemeinsamkeit, die in der „Vorläufigen
Ordnung" von Treysa sogar als „kirchlich gegründete innere
Einheit" angeführt wurde, nach dem Untergang des gemeinsamen
Gegners keine tragende Grundlage mehr war. So ist in der Darstellung
der Entwicklung der Kirche zur EKD hin zugleich eine
Darstellung der Bekennenden Kirche und der VELKD mit enthalten
, soweit in der Grundorduungsdebatte auch das Selbst-
Ventändnia and die Zukunft der l?K sowie die Gestalt und die
Kol lederV K IjK D innerhalb dos Gesamtprotestantismus in Deutschland
entschieden wurden.

Die Entstehung der Grundordnung der EKD ist demnach keine
rein kirchenamtliche Angelegenheit gewesen, aber sie ist durch
amtliche Beschlüsse veranlaßt und beendet worden, und diese Beschlüsse
- von Treysa und Eisenach - geben einen zeitlichen Rahmen
ab für die Behandlung ihrer Geschichte. Die historisch-deskriptive
Analyse der auf die Grundordnung zielenden Entschei-
dungsprozesse zwischen Mai 1945 und Juli 1948 berücksichtigt
gleichermaßen kirchenrechtliche, kirchenpolitische, theologische,
ekklesiologische, sozialpsychologische und biographische Momente.
Die Arbeit will damit einen Beitrag zur kirchlichen Zeitgeschichte
liefern. Sie knüpft an die Arbeit von Jörg Thierfelder über das
Kirchliche Einigungswerk des württembergischen Landesbischofs
Theophil Wurm an und wendet sich den Einigungsbestrebungen
über das Kriegsende 1945 hinaus zu.

Die Behandlung einiger wichtiger Probleme wird durch die
Themenstellung erschwert und deshalb ausgeklammert (z. B. Hilfswerk
, Entwicklungen in der Ökumene und deren Einfluß auf die
deutschen Verhältnisse, Darstellungen einzelner Gruppen wie des
Bruderrats, des Lutherrats oder des Detmolder Kreises als eigenständige
Größen).

Die Ausklammerung dieser Bereiche soll nicht so verstanden
werden, daß diese ohne Bedeutung für die Grundordnungsdebatte
gewesen seien. Aber aus der Durchsicht der Dokumente ergibt sicli
doch das Bild, daß die Auseinandersetzungen um die Gestalt der
EKD eine Art von Eigengesetzlichkeit entwickelten, die sie von
den übrigen Problemen der Kirche und der Zeit isolierte, eine Tendenz
, die schon zwischen 1945 und 1948 von Beteiligten kritisiert
und als Versäumnisschuld empfunden wurde.

Zur Gliederung

Die Darstellung orientiert sich an der Chronologie der Ereignisse
zwischen 1945 und 1948. Die wichtigsten sind dabei die Kirchenversammlungen
von Treysa 1945 (Treysa I), von Treysa 1947
(Treysa II) und von Eisenach 1948. Ratssitzungen, Bruderratssitzungen
, Lutherratssitzungen, Zusammenkünfte zwischen den
einzelnen Gruppen, offene Briefe, grundsätzliche Artikel, Entwürfe
, Resolutionen und Stellungnahmen lassen sich in etwa in
dieses chronologische Grobschema einordnen, da sie zumeist entweder
als Vorbereitung oder als Reaktion auf die eine oder andere
jener Kirchenversammlungen zu beziehen sind.

Zur Quellenlage

Grundlage der Untersuchung bildet vor allem Archivmaterial
aus folgenden Archiven:
Archiv der EKD, Berlin

Landeskirchliches Archiv Stuttgart (Wurm-Nachlaß)
Landeskirchliches Archiv Nürnberg (Meiser-Nachlaß)
Zentralarchiv der Hessen-Nassauischen Kirche Darmstadt (Bruderratsakten
, Private Akten M. Niemöller)
Registratur des Evang. Oberkirchenrats in Württemberg

Das Archivmaterial umfaßt sowohl Verhandlungs- als auch
Ergebnisprotokolle, dann Lageberichte, Gutachten, Rundsehreiben
, Referate, Aktennotizen, Einladungsschreiben und vor allem
Briefe, welche häufig persönlichen Charakter tragen und in denen
die Konflikte am deutlichsten thematisiert wurden.

Weitere für die Arbeit relevante Quellengruppen sind:

1. zeitgenössische Zeitschriften und Kleinliteratur

2. Dokumentensammlungen (Kirchliches Jahrbuch 1945-1948,
Treysa 1945. hrsg. von F. Söhlmann, Eisenach 1948, hrsg. von
der Kirchenkanzlei der EKD)

3. Biographien und Autobiographien

4. neuere Forechungsliteratur

Eine Gesamtdarstellung liegt nicht vor. In H. Brunottes Arbeit
„Die Evangelische Kirche in Deutsehland. Geschichte, Organisation
und Gestalt der EKD" nimmt die Zeit zwischen 1945 und
1948 nur etwa zehn Soiten ein. Außerdem zeichnet Brunotte ein
sehr harmonisches Bild von der kirchlichen Entwicklung. Sein'
Arbeit vermittelt den Eindruck, »Ii <>b die Entwicklung der Evan-
gelischen Kirche nach dem Krieg mehr oder weniger selbstverständlich
, unangefochten und geradlinig auf Eisenach zulief.