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Ausgabe:

1978

Spalte:

611-614

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fontius, Hanfried

Titel/Untertitel:

Mission, Gemeinde, Kirche in Neuguinea, Bayern und bei Karl Steck 1978

Rezensent:

Krügel, Siegfried

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Theologische Literatuizeil ung 103.Jahrgang 1978 Nr. 8

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beide Begriffe terminologisch belegt sind und auf diese Weise eine
Diffamierung zweier Stände zustande kommt, die Überhaupt nicht
betroffen sind. Geradezu grotesk wirkt die Gläubigkeit an Statistiken
und Zahlen, mit denen der Glaube einer Gemeinde nachgewiesen
und beurteilt werden soll (232ff.). Ich frage mich, welchem
evangelikalen Verdikt ein solcher Satz wie der folgende unterliegen
würde, stünde er beispielsweise im .Buche eines Gruppendyn»mi-
kers: „Wie aber können wir erfahren, ob eine Gemeinde gesund ist
oder nicht? Dazu sind Untersuchungen, Befragungen, Bewertungen
, Inventaraufnahmen, Selbstprüfungen und Selbstanalysen unentbehrlich
" (203). Wenn man dazu das (für jedes Kapitel getrennt
gelieferte) Literaturverzeichnis genauer liest, fällt einem auf, daß
andere Stimmen in der Regel nicht nach den Originalen, sondern
wiederum nach evangelikalen Schriften zitiert werden (Hoeken-
dijk, Bangkok, Uppsala, Neu Delhi, Emilio Castro u. a.). So wild
für den Kenner der üriginalliteratur eine wirkliche Auseinandersetzung
nicht geführt. Für den evangelikalen Leser aber werden
Vorurteile bestätigt, ohne daß er sich ein Urteil zu bilden braucht.
Dabei mangelt es dem Buch bzw. der dahinterstehenden missionarischen
Zielsetzung offenbar in bestimmten Partien schlichtweg
am Glauben. Es wird Jesus Christus, dem auferstandenen Herrn,
weder zugetraut, daß er in bestimmten Fällen auch ohne das Wort
handeln und sich verständlich machen kann wie schon im Neuen
Testament, noch wird etwas gehalten von der „kleinen Herde",
vom „Sterben, das Frucht bringt" (Joh 12,24) und ähnlichen
Sachverhalten, die gut biblisch sind und einer Diasporagemeinde
Mut machen, es auch mit der kleinen Zahl zu versuchen und Durststrecken
durchzuhalten. Ziemlich unverblümt schimmert durch
dieses evangelikale Konzept die Diesseitsgläubigkeit des amerikanischen
„social gospel" hindurch. Es bleibt für Gott eigentlich zuletzt
nicht viel zu beurteilen übrig, und man kann sich schlecht
vorstellen, daß sich eines Jüngsten Tages noch Wesentliches ändern
wird, denn wenn man das Programm des „Gemeindewachstums
" sorgfältig genug befolgt, dann liegt das kommende
Reich Gottes eines Tages schon in dieser Welt fertig vor.

Dresden Dietrich Mendt

Fontius, Hanfried: Mission - Gemeinde - Kirche in Neuguinea,
Bayern und bei Karl Steck. Erlangen: Verlag der Ev.-Luth.
Mission [1975]. 258 S., 1 Taf. 8° = Erlanger Taschenbücher, 28.

Diese Erlanger Dissertation eines ehemaligen Leipziger Neuguinea
-Missionars beschreibt in vier Teilen „Ansätze", „Grundsätze
", „Wirkungen" und „Rückwirkungen" der lutherischen
Missionsarbeit in Neuguinea bzw. der daraus erwachsenen
ELCONG (Evangelical Lutheran Church of New Guinea).

Innerhalb der „Ansätze" ist die Darstellung des Mit- und Gegeneinander
» der Missionstätigkeit und des Kolonial-„Gedankens"
(27) bemerkenswert. Für die Rheinische Mission war entscheidend,
„ob wir mit der Neu Guinea Kompanie, die . . . in jenem Teil Neu
Guineas die Obrigkeit darstellt, zu einer klaren Verständigung . . .
gelangen könnten, ohne welche wir unter keiner Bedingung die
Mission auf Neu Guinea beginnen würden" (26). Die Neuendettels-
auer Lutheraner hingegen erklärten, es könne „die Ausrichtung
des großen Missionsbefehls Matth. 28 nicht von der Erlaubnis
irgendeiner irdischen Macht abhängig sein. Eine solche haben wir
denn auch nicht nachgesucht" (36).

Nachdenklich stimmen die Ausführungen über „Vorformen von
Amt und Gemeinde" (Kap. III), sofern in ihnen „der prägende
Einfluß des für Neuguinea typischen Gruppendenkens unübersehbar
" wird (59). Werden Amt und Gemeinde nicht nur jeweils in der
Anfangsphase, sondern womöglich bleibend eine Vermischung von
Geistlichem und Weltlichem aufweisen? Vf. spricht vom sich herausbildenden
„Recht der Gruppe hinsichtlich des kirchlichen Amtes
... Es kann aus dem Amt der Kirche ein kirchliches Amt des
Stammes werden, Es kann . . . das persönliche Engagement einzelner
durch die Gruppe erschwert und behindert werden" (54).

Die „Grundsätze" (Teil II) bilden den wichtigsten Abschnitt der
Arbeit. Hier kommt der brillanteste Denker der Neuendettelsauer
Mission zur Darstellung. Karl Steck, „nach dem Urteil H.v.Bez-

zels einer der besten Theologen der Landeskirche" (87). Er hat „die
von den Missionaren diskutierten Fragen der Methode als Grand»
satzfragen bewußt gemacht" (63), und zwar auf der Linie der Erlanger
Theologie, vor allem seines Lehrers Reinhold Frank. Aus
Stecks Programm hebt Vf. vor allem hervor: 1. „Das Evangelium
muß mit dem Anspruch in die Welt hinausgetragen werden, nicht
daß es Wahrheit ist, sondern daß es die Wahrheit ist" (89). 2. Das
moderne ökumenische Verständnis Christi als des Hauptes der
Menschheit kann sich auf Steck nicht berufen. Seine Formel ist
vielmehr „die Verleiblichung Christi in der Menschheit als Christenheit
" (75). 3. „Konfession und Kirchenform" sind „nicht
wesentlich und unbedingt nötig für mich - soweit sie Form sind"
(74). 4. Hatten die Missionare „nach dem Vcrptianzungsprinzip
gearbeitet" (93), so verurteilt Steck den Versuch, in Neuguinea
„eine braunhäutige bayerische lutherische Landeskirche" zu pflanzen
(91). „Man soll ausgehen aus der Heimat, nicht bloß räumlich,
sondern auch in bezug auf den ganzen Gedankenkreis der Heimat
und soll eingehen nicht bloß in das neue, fremde Land, Bondern
auch eingehen in die neue fremde Gedankenwelt und in die Eigentümlichkeit
des Volkes. Denn Gott hat nicht bloß alle Völker insofern
und insoweit lieb, als sie Menschen sind, sondern er hat sie in
und mit ihrer ganzen Eigenart lieb" (88).

Hinsichtlich der „Wirkungen" (Teil III) Stecks ist mit dem bloßen
Hinweis, daß Georg F. Vicedom sich als Steck-Schüler verstand
(109, Anm.329) bereits Entscheidendes gesagt. Vf. läßt es
dabei nicht bewenden, sondern verdeutlicht, was die lutherische
Missionsarbeit in Neuguinea, auf Stecks Grundsätzen fußend, für
die Entwicklung des Landes geleistet hat. Hierher gehört das ständige
Ringen mit der australischen Kolonialmacht. Gerade so aber
„bildete sich unter dem Evangelium unübersehbar ein innerlich
unabhängiger .Staat' in der Kolonie. Gegen ihn richtete sich das
Missionsverbot von 1935" (145). Aus nacktem Eigeninteresse führte
die australische Regierung Englisch als Amts- und Schulsprache
ein. In Schulen, die an Neuguineasprachen festhielten, „erschienen
Regierungsbeamte . . . und behandelten die Lehrer, Kinder und
Eltern in einer Weise, die nur als bodenlos arrogante Kolonial-
allüre bezeichnet werden kann" (149). Dies war die Begleitmusik
„eines offiziellen Programms, das postulierte, jede nichtenglische
Bildung sei keine Bildung" (ebd.). Daß es schließlich dennoch zu
einem Kompromiß zwischen Mission und Kolonialmacht kam, wobei
die deutschen Missionare jeder Stellungnahme möglichst aus
dem Wege gingen, ist dem Vf. Anlaß zu einem stellvertretenden
Schuldbekenntnis: „Wenn die deutschen Missionare sich ängstlich
in ihr Schneckenhaus zurückzogen und bewußt den australischen
und amerikanischen Brüdern die offizielle Auseinandersetzung mit
der Regierung überließen, dann sind wir deutschen Missionsleute
für das Ergebnis der Auseinandersetzung genauso haftbar zu machen
wie australische oder amerikanische Missionare, die sich betont
für das Regierungsprogramm oder den Kompromiß der Lutheran
Mission New Guinea einsetzten" (154f.).

Der letzte Teil („Rückwirkungen") zeigt, daß sich die Geschichte
deutscher Missionsgesellschaften kaum schreiben läßt, ohne daß
Querelenchronik breiten Raum einnimmt. Über die tiefere Ursache
dieses betrüblichen Sachverhalts gibt Vf. eine Auskunft, die sicherlich
nicht nur im vorliegenden Fall den Kern trifft: Steck galt zwar
in Neuendettelsau als der Missionstheologe, doch hatte man seine
Theologie „in der Gesellschaft nicht begriffen. Deswegen wurde
aus dem Ringen um Sachfragen ein Kampf um Personen und
Posten" (205). In der Schilderung dieser Auseinandersetzung wird
Steck nicht idealisiert; Vf. zeigt auch dessen Grenzen deutlich auf
und ist dabei bisweilen sogar in der Gefahr, ihn zu verzeichnen.
Daß für Steck „Luthertum und Volkstum bis zur Identität zusammenfielen
" (219), gilt nur dort, wo er ausschließlich die von
Volk zu Volk variable „morphe" der Kirche im Auge hat, die als
solche nicht zu den credenda gehört. Es ist deshalb gut, daß Steck
einige Seiten später noch einmal unmißverständlich zu Wort
kommt : „Das Evangelium ist weder afrikanisch, noch sonst etwas
solches, und wird nicht indisch oder sonst so etwas und wirkt nicht
neuguineisch usf., es ist göttlich-menschlich wie der Gottmensch
Jesus Christus, den es bringt. Aber vom ersten Tage an muß es ins
arische oder malaiische oder chinesische Volkstum hinein gemeint
sein, und die .. . werdende Gemeinde muß ein Stückchen christuserfaßtes
Japanervolk sein und bleiben und es immer echter werden