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Ausgabe:

1978

Spalte:

603-605

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Prinzip Liebe 1978

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 109. Jahrgang 1978 Nr.8

01)1

,Neuen Moral' gegen den Legalismus wird in diesem Zusammen'
liang dargelegt: J.Fletcher, der „die Liebe als das einzige Gebot"
gelten läßt. Das leitet schon zu den teleologischen Normierungstheorien
über, weil Liebe an konkrete Menschen und damit an
„Folgen" (S.58) statt an eine abstrakte Pflicht denken läßt.

Der (umfänglichste) dritte Teil ist „teleologischen Normie-
rungstheorien" gewidmet, worunter ein in gewisser Weise gereinigter
Utilitarismus zu verstehen ist (s. S. 15, vgl. S. 103). Man denkt
hierbei daran, daß die Ethik Jesu das gute Handeln durchaus mit
dem Lohn- und Sinngedanken verbindet und nicht als abstrakte
Pflicht fordert. Der Ansatz beim Empirischen, Personalen und
Psychologischen führt dann freilich auch zu der Krage, ob es einen
ethisch relevanten und in Grenzen bejahbaren Egoismus gibt (So
J.Kaiin: In defense of egoism, 1970). Im Gegensatz hierzu wird die
These wiedergegeben, daß „Moralität grundsätzlich interpersonal"
(S. 100) sein wird. Die Diskussion hierüber, die von Th.Hobbes
ausgeht und das Phänomen des psychologischen Egoismus ausleuchtet
, gehört zu den lesenswertesten Partien dieser Textsammlung. -
Im Unterschied hierzu bieten die letzten Texte recht abstrakte und
formalistische Argumentationen für einen „Akt-Utilitarismus"
(Ii. 10.Moore, Cambridge 1970) sowie „Regel-Utilitarismus" (R.B.
Brandt, Michigan 1965). Befreiend wirken demgegenüber zwei abschließende
„Texte" von Ginters selbst, deren einer (Text 23) das
Problem von „Vorzugsregeln" bei Pflichtenkollisionen auf kurze
und einleuchtende Kornieln bringt und deren anderer (Text 22)
„das Prinzip der größtmöglichen Effizienz" als moralisches Kriterium
etwa auf das beschränkt, was Schleiermacher in seiner
Ethik das wirksame Handeln im Unterschied zum darstellenden
nannte. Biblisches Beispiel für letzteres, von Ginters „Ausdruckshandlungen
" genanntes Handeln: die Salbung Jesu in
Bethanien (S. 128). „Es lassen sich noch viele andere Verhaltensweisen
nennen, bei denen wir das Prinzip, mit möglichst geringem
Aufwand möglichst viel zu erreichen, für nicht ausschlaggebend
halten" (S.129), beispielsweise Solidaritätserklärungen in ihrem
oft so ohnmächtigen Protest (S. 130). „Es erscheint unnötig, noch
mehr Beispiele als Belege für die These anzuführen, daß man mit
der konsequent durchgehaltenen Behauptung, alle Handlungen
seien ausschließlich von ihren guten und üblen Folgen her sittlicli
zu beurteilen, einem ethischen Krämergeist das Wort redete.
Würde man nur dieses Prinzip beobachten, dann hätte das unverkennbar
eine erhebliche Verarmung im sittlichen Leben zur Folge"
(S.131).

Berlin Hau-Georg Fritaobe

Biser, Eugen, Ganoczy, Alexandre, Schnackenburg, Rudolf, Teich t-
weier, Georg, u. Rolf /erfaß: Prinzip Liebe. Perspektiven der
Theologie. Mit einem Vorwort v. H.Fischer. Freiburg - Basel
Wien: Herder [1975]. 173 S. 8°. Kart. DM 19,80.

Mit sieben Beiträgen sollen in diesem Band Perspektiven aufgezeigt
werden, die sich für die verschiedenen Disziplinen der Theologie
aus der Reflexion der Liebe ergeben. Die Beiträge sind bei
einer Hochschulwoche zur Weiterbildung von Priestern und Pastoralassistentinnen
in der Katholischen Akademie Hamburg durch
Professoren der Theologischen Fakultät dei Universität Würzburg
gehalten worden. Sie verzichten weitgehend auf die Analyse von
Detailfragen und suchen an zentralen Themen der Theologie die
Bedeutung der Liebe im Sinne der neutestamentlichen Agape zu
entfalten.

Eugen Biser geht der Frage nach, ob auf die Kirche die Alternative
„Liebesgemeinschaft oder Machtinstitut" zutrifft. Das leitende
Interesse bei solcher Anfrage ist das Verlangen nach größerer
Glaubhaftigkeit der Kirche, die gerade durch ihre Vergangenheit
in Frage gestellt ist. „Eine unter das Kreuz ihrer eigenen Probleme
gebeugte und in das Pilgergewand der Armut gehüllte Kirche
erschiene heute somit nicht weniger beglaubigt als die im Glanz
ihrer Unüberwindlichkeit und Größe erstrahlende" (S. 14). Die Kritik
an der Macht kann sich mit Recht auf Jesus berufen, und daher
ist die genannte Alternative im Grunde gegenstandslos, weil die
Kircho dementsprechend auch kein Machtinstitut sein kann. Sofern
sie als solches erscheint, beruht das auf einer folgenschweren

Selbstverfremdung. Daraus folgt die praktische Konsequenz, die
horizontalen Strukturen und den Dialog in der Kirche zu fördern,
damit die Kirche als Stätte, der Entlastung, als Ort der Verbundenheit
und als Raum der Selbstfindung sieht bar wird.

Alexandre Ganoczy erörtert in seinen beiden Beiträgen das
Verhältnis von Wahrheit und Liebe. Liebe ist nach dem neutestamentlichen
Zeugnis Agape: „sie geht vom menschen! iebenden Gott
aus, macht in und durch Christus aus den Menschen selbst Mitliebende
. Diese haben einander so zu lieben, wie Gott selbst .sie in
Christus liebt: wirksam, konstruktiv, gemeinschaftsstiftend. Erst
so kehrt die Agape zu Gott zurück, also indirekt und sozusagen die
Handvoll von Früchten der Mitmenschlichkeit und gelebter Ekklo-
sialität" (S.46L). Als Prinzip wissenschaftlichen Theologisierens
wirkt sich die Liebe dahin aus, daß die Korrelation von Gott und
Mensch bei jedem theologischen Donkprozeß beachtet wird. In bewußtem
Anschluß an Max Schelers Religionsphilosophie wird der
Primat der Liebe vor der Erkenntnis vertreten und als erster Akt
der Wahrheitsfindung die liebende Annahme des anderen verstanden
.

„Die Forderung der Liebe in der Verkündigung und im Verhalten
Jesu" ist der Beitrag Rudolf Schnaekenburgs überschrieben.
Das Neue an der Liebesforderung Jesu ist vor allem ihr Motiv; sie
ist Antwort auf die barmherzige Liebe Gottes. Jesus wendet sich
mit seiner Liebesforderung in erster Linie an den einzelnen Menschen
, aber „es liegt in der Konsequenz seiner Botschaft, daß auch
die gesellschaftlichen Verhältnisse gebessert , Strukturen verändert ,
Ungerechtigkeiten beseitigt werden sollen" (S.98). Auch wenn die
Liebe, von der Jesus spricht, nicht vom Glauben an Gott zu lösen
ist, anerkennt er nach Matthäus 25 auch die Liebeswerke derjenigen
, die den „Menschensohn" nicht kennen, weswegen die Kirche
heute auch die nicht bewußt aus dem christlichen Glauben gespeisten
humanitären Bemühungen zu unterstützen hat.

Von der Seite der Moraltheologie wird in den beiden Beiträgen
von Georg Teichtweier das Spannungsverhältnis von Liebe und
Gesetz und das katholische Verständnis der Geschlechterliebe behandelt
. Bei scharfer Ablehnung der radikalen Situationsethik
wird Liebe als Freiheit im Gesetz, Freiheit vom Gesetz und Freiheit
über das Gesetz hinaus verstanden, wobei der Akzent auf die
Freiheit im Gesetz gelegt wird. Liebe darf kein momentanes Gefühl
bleiben, und der Satz Augustins „Dilige et quod vis fac" meint
nach dem Zusammenhang deutlich „die auf Gott hin geordnete
und das absolute Recht Gottes sichernde Liebe" (S. 110). Die Geschlechterliebe
ist geprägt durch die Kräfte von eros, sexus und
agape, deren Miteinander sich in einem lebenslangen Prozeß entfaltet
. Als Fehlentwicklung steht nur die Isolierung des Sexus vor
Augen, während die Agape auch dann noch einen Partner liebt und
trägt, wenn Eros und Sexus vielleicht bereits erstorben sind. Trotz
aller Betonung des wechselseitigen Verwiesenseins der drei Liebeskräfte
erhalten sie letzten Endes doch einen unterschiedlichen
Wert bei der Betrachtung.

Im letzten Beitrag „Liebe konkret: den Sterbenden beistehen,
die Trauernden trösten" wendet sich Rolf Zerfaß einer Konkretion
der Liebe aus pastoraltheologischer Sicht zu. Im Anschluß an
die „Interviews mit Sterbenden" von E.Kübler-Ross erörtert er,
wie der Sterbende während der verschiedenen Phasen seines Sterbens
geleitet und vor Abwegen bewahrt werden kann. Das Wichtigste
ist „eine bedingungslos positive, personale Zuwendung zum
Sterbenden" (S. 152), die auf verbale Deutungsversuche verzichtet
und sich auch nicht in die Rolle eines „Verteidigers Gottes" begibt.
Ebenso unangebracht ist eine Identifikation mit dem Sterbenden,
die sich von ihm anstecken läßt. Die notwendige Hilfe besteht
vielmehr in der „Solidarität" mit dem Sterbenden, gerade durch
nicht-verbale Kommunikation, damit er nicht dem Alleinsein ausgeliefert
bleibt. Auch der Prozeß des Trauerns verläuft in mehreren
Phasen. Die Seelsorge hat dabei die Aufgabe, „die richtige, tiefe,
konstruktive Trauerarbeit zu fördern" (S. 164). Langfristige Trauerhilfe
leistet die Kirche, indem sie der Tendenz zur Verdrängung der
Trauer Widerstand leistet und Kontaktmöglichkeiten für Trauernde
in der Gemeinde schafft. Im akuten Fall ist besonders dringlich
der nachgehende Trauerbesuch des Seelsorgers in der regressiven
Phase, wenn der Trauernde seine Vereinsamung am stärksten erfährt
. Es fällt auf, wie sehr in diesem Beitrag Literatur aus dem
evangelischen Bereich zitiert wird,