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Ausgabe:

1978

Spalte:

598

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Formen kirchlicher Ketzerbewaeltigung 1978

Rezensent:

Kirchner, Hubert

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597

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr.8

598

strebig veränderte und in Antithese zu den monarchischen Staatsformen
des alten Europa einen demokratischen Neuanfang im Zeichen
der Freiheit betrieb. Einerseits ist hier der Säkularisationsprozeß
im Vergleich mit dem calvinistischen Selbstverständnis der
ursprünglichen Neu England-Kolonien mit Händen zu greifen, und
die weitere Verwendung der traditionellen christlichen Begrifflichkeit
darf darüber nicht hinwegtäuschen. Sie war aber geeignet, diesen
Prozeß zu verhüllen und sein sichtbares Hervortreten weithin
zu verhindern, so daß die meisten Zeitgenossen den biblischen Gott
mit den neuen Gottesbildern unreflektiert identifizierten.

Andererseits war das Pehlen scharfer Bewußtseinszäsuren aber
auch darin begründet, daß die neue Ideologie ihrerseits ein religiöses
Gepräge trug. Vfn. legt den Hauptakzent auf diesen Aspekt,
und sie sucht zu beweisen, daß hier eine geschichtsgestaltende Generation
bewußt religiöse, mythische und rituelle Ausdrucksformen
für die übergreifende Bedeutung ihres revolutionären
Handelns entwickelte. Die Pakten, die Vfn. für diese Behauptung
beibringt, sind überreich und weithin überzeugend. Da feierten
die Patrioten während des Unabhängigkeitskrieges die Siege
über ihre Bedrücker an besonderen Freiheitsbäumen, wobei das
mythische Verständnis des Baumes als der Quelle von Fruchtbarkeit
und Lebenserneuerung eine wichtige Bolle gespielt haben wird.
Von hier war es nur noch ein Schritt zur Verehrung der Göttin der
Freiheit, deren zeitweilige Niederlagen in einem Grablegungsritual
betrauert wurden, nicht ohne am Schluß der festen Hoffnung auf
ihre Wiedererweckung auch liturgisch Ausdruck zu geben. Die gelegentlich
auftretende Verehrung der Freiheitsgöttin was dabei nur
eine bezeichnende Spielart neuartiger Ausdrucksformen des Gottesglaubens
vom Schlachtengott Jehova, dessen Verehrung naturgemäß
auf die Kriegsjahre beschränkt blieb, über die Vorsehung
und Gott als Inbegriff des ewig waltenden Naturgesetzes zum
Großen Lenker der Geschichte und Architekten des Universums.
Kegelmäßig handelte es sich dabei um unterschiedliche Aspekte
einer deistisch-rationalistischen Gottesanschauung, in der die
Grenzen zwischen Gottes und der Menschen Tun verwischt wurden
und der Gottesbegriff gelegentlich zur Chiffre für die Naturgesetzlichkeit
, die umfassende Wirklichkeit überhaupt und die
Harmonie des Kosmos wie des vom Tugendstreben durchwalteten
menschlichen Mikrokosmos wurde, oline daß dies die religiöse Erwartung
verringert hätte. Vfn. weist auf die besondere Bedeutung
der Freimaurer bei der Ausbreitung dieses Gedankengutes hin,
zeigt aber auch, wie frühe Ansätze des theologischen Liberalismus
dieser Umdeutung ebenso dienstbar gemacht wurden wie Motive
der Großen Erweckung, die den religiös gefärbten revolutionären
Enthusiasmus beträchtlich zu steigern vermochte. Schließlich
kann sie eindrucksvolle Nachweise für die geradezu religiöse Verehrung
George Washingtons als des „Vaters der Nation", der Unabhängigkeitserklärung
, der Verfassung und der bestimmenden
Landessymbole wie des Staatssiegels und der Nationalflagge erbringen
.

Trotzdem bleibt die Frage, ob Frau Albanese diese mythisch-
religiöse Deutung des Selbstbewußtseins der Gründergeneration
der USA nicht unzulässig verabsolutiert, darin anderen Historikern
ihres Landes folgend. Sie beruft sich selbst immer wieder auf
das Mythen Verständnis von Mircea Eliade, daneben auf Claude
Levi-Strauss u. a. Mir scheint, daß diese Deutung in die Gefahr
einer künstlichen Mythisierung der Geschichtsbetrachtung gerät,
wenn sie nicht durch gesellschaftskritische Fragestellungen zumindest
ergänzt wird. Es wäre zu untersuchen, inwieweit die religiösen
Bewußtseinsformen der „Patrioten" notwendiger Ubergang von
einer sakralen zu einer säkularen Geschichtsbetrachtung samt des
Verständnisses der eigenen geschichtlichen Punktion und damit
zeitbedingt waren. Es sollte deutlich werden, daß das idealistische
Geschichtsverständnis in seiner unleugbaren Nähe zu religiösen
Motiven keine unumgängliche Voraussetzung für einen kompromißlosen
Willen zu geschichtlicher Neugestaltung darstellt und
daß es daher illegitim ist, den ideologisch-weltanschaulichen Bereich
mit dem religiös-mythischen undifferenziert zu verbinden.
Gut aber ist die kritische Hinterfragung des Selbstbewußtseins jener
Generation aufgrund der ihnen als Angehörigen des Bürgertums
notwendig anhaftenden Inkonsequenzen (fehlende Freiheit,
für Neger; vorrangiges Besitzstreben).

Rostock Hert Wemlelhnrn

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Hasenhütll, Gotthold, u. Josef Nolte: Formen kirchlicher Ketzerbewältigung
. Düsseldorf: Patmos Verlag [1976]. 149 S. 8° =
Texte zur Religionswissenschaft u. Theologie, hrsg. v. H.Feld,
H.Halbfas, G.Hasenhüttl, J. Nolte. Historische Sektion, II, 1.

Mit dieser Quellensammlung versuchen die Herausgeber, „über
den Verlauf und Stand der kirchlichen Ketzerbewältigung" zu
informieren (11), „in der Annahme, daß die bisherige Behandlung
der Ketzerproblematik zumindest nicht abgeschlossen ist" (9), ja,
sich angesichts der Anfragen einer kritischen Religionswissenschaft
auf eine neue Betrachtungsweise zubewegt, „wobei die kirchliche
Ketzerbewältigung als (besonders signifikanter) Sonderfall der Eliminierung
von Abweichlern (überhaupt) angesehen werden kann"
(ebd.). Um der so erkannten Aufgabe zu entsprechen, bieten sie in
zeitlicher Reihenfolge eine Fülle einschlägiger Texte aus der Geschichte
der Kirche, von biblischen Stellen bis zum II. Vatikanischen
Konzil, sowie in einem 2. Teil Texte, die das Thema unter
mehr systematischen Gesichtspunkten - kritische Geschichtsschreibung
und sozialkritische Perspektiven, theologische Positionen
der Gegenwart, geltendes Recht der Großkirchen (hier nur:
röm.-kath. Kirche und EKD bzw. EKU) - beleuchten.

Dem Anliegen, das die Herausgeber auf diese Weise herauszustellen
versuchen, dürfte wohl kaum widersprochen werden. Das
Thema ist so gesehen von bleibender Aktualität und bleibendem
Anspruch. Die Art und Weise der Durchführung kann jedoch nicht
durchweg befriedigen. Der Bezug der ausgewählten Texte ist nicht
in jedem Falle ohne weiteres einsichtig. Dem evangelischen Rez.
fällt besonders auf, daß zur Charakterisierung der Position Luthers
z. B. ein beträchtlicher Teil der Plugschrift „Wider die räuberischen
und mörderischen Rotten der Bauern" herangezogen wird
(auch die wenigen anderen Proben scheinen nicht gerade glücklich
ausgewählt). Nun ist es zwar richtig, daß Luther in der Bauernbewegung
eine eminente theologische Infragestellung der Reformation
erkannte. So gehört seine Abrechnung mit den hinter den
Bauern vermuteten „Rottengeistem" selbstverständlich in den
vorliegenden Zusammenhang. Dafür aber wären Passagen aus der
ersten Bauernkriegsschrift Luthers, der „Ermahnung zum Frieden
", sehr viel sprechender. Das eigentliche Problem der Ketzerbewältigung
bei Luther wäre dann jedoch trotzdem noch nicht
erledigt. Dafür wiederum wären die antimüntzerischen Schriften
vor dem Bauernkrieg sowie die späteren Auseinandersetzungen
mit dem Täufertum sehr viel weiterführender.

Zum anderen möchte Rez. Bedenken anmelden hinsichtlich der
Art und Weise, wie die verschiedenen Texte dem Benutzer erschlossen
werden. Zwar werden alle Texte in Deutsch geboten, aber
die überaus sparsamen Einführungen und Kommentierungen dürften
nicht für jeden Benutzer zum Verstehen ausreichen. Das gilt
besonders für die Stücke, die weitgehend im ursprünglichen frühneuhochdeutschen
Wortlaut belassen wurden, also für die Luthertexte
und noch mehr für die Aktenwiedergabe S. 47-50. Hier finden
sieh viele Wörter und Wendungen, die die Benutzung von Spezial-
wörterbüchern erfordern. Und das sollte eigentlich bei einer solchen
Edition dem Benutzer abgenommen werden.

Auf diese Weise scheint der Wert der Ausgabe leider um einiges
gemindert. Da aber nichtsdestoweniger der Bedarf derartiger
Sammlungen - nicht zuletzt angesichts der angezeigten Situation -
noch einmal unterstrichen zu werden verdient, kann sie doch begrüßt
und die Hoffnung ausgesprochen werden, daß die damit verbundenen
Intentionen zumindest Förderung erfahren.

BeböDeiche b. Berlin Hubert Kirchner

Nemeck, Francis Kelly, O.M.I.: Teilhard de Chardin et Jean de In

Croix. Les „passivites "dans la mystique teilhardienne compa-
rees a certains aspects de la „nuit obscure" de saint Jean de la
Croix. Paris - Tournai: Desclee; Montreal: Bcllarmin 1975.
146 S. 8° = Hier-Aujourd'hui, 20. Theologie, dir. par les Facultas
de la Compagnie de Jesus au Qu6bee. Kart . $4.50.