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Ausgabe:

1978

Spalte:

593-595

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Bauernkriegs-Studien 1978

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 8

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den evangelischen Einfluß. Bemerkt sei, daß Thomas Müntzer nicht
in Norddeutschland beheimatet war, sondern in Mitteldeutschland.

Nr. 11 ist eine Wiedergabe des Schleitheimer Bekenntnisses, das
wahrscheinlich Michael Sattler zuzuschreiben ist. Es behandelt
Taufe, Gemeindeausschluß, Herrenmahl, Absonderung von der
Welt, Hirtenamt, Wehrlosigkeit und Eid. Es ist eher eine Gemeindeordnung
als ein Bekenntnis. Die Übertragung ins Deutsche
stützt sich auf die Übersetzung von Mrs. Bender, Goshen, die in
der Mennonite Quarterly Review 1955 abgedruckt ist.

Noch näher einer Gemeindeordnung (Kirchenzucht, „Wie ein
Christ leben soll") kommt eine anonyme Schrift, die möglicherweise
aus dem Rattenberger Kreise stammt (Nr. 13). Ob, wie Robert
Friedmann gemeint hat, Hans Schlaffer, der am 4. II. 1528
hingerichtet wurde, ihr Verfasser war, wissen wir nicht. Doch handelt
es sich hier um das Verhältnis der Brüder und Schwestern
untereinander, die Aufgaben in der Gemeinde, Zucht und Ordnung,
die Abendmahlsfeier.

Nr. 14 enthält den „Widerruf" Hans Dencks, der der Ausgabe
der Schriften Dencks durch Walter Fellmann entnommen ist:
Hans Denck, Schriften 2. Teil, Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte
, Bd. XXIV, S. 104-110. Er umfaßt lOPunkte:
Von der heiligen Schrift; Von der Bezahlung Christi; Vom Glauben
; Vom freien Willen; Von guten Werken; Von Absonderung
und Sekten; Von Ceremonien; Von dem Tauf; Von Brot und Kelch,
Nachtmahl oder Gedächtnis des Leibs und Bluts des Herrn; Von
dem Eid. Hans Denck war kein Täufer im herkömmlichen Sinn,
aber ein gottergebener nachdenklicher Leser der Schrift und Täter
des Worts.

Nr. 16 ist die Ausgabe eines anonymen Pamphlets täuferischer
Herkunft, dessen Vorhandensein Professor Hans J. Hillerbrand
einmal in der Stadtbibliothek Augsburg, das zweite Mal in der
Landesbibliothek Stuttgart ausfindig gemacht hat. Es ist abgedruckt
in der Mennonite Quarterly Review, Bd. XXXII, 1958.
Hillerbrand nimmt an, daß der Autor des Pamphlets möglicherweise
der flüchtige Täufer aus Freistadt, Thomas Tantzer, gewesen
ist. Uber den Streit um die beschlagnahmten Güter des Tantzer,
die von König Ferdinand dem kgl. Türhüter Gilg Kurtz geschenkt
worden waren, vgl. Quellen zur Geschichte der Täufer XI, Gütersloh
1904, hrsg. von Grete Mecenseffy. - Der Autor des Pamphlets
steht unter dem Eindruck, daß die Endzeit hereingebrochen sei
und gebietet den frommen Christen, nicht das Schwert zu gebrauchen
, sondern der Gewalt- und Widerstandslosigkeit Christi zu
folgen.

In Nr. 17 wird das Glaubensbekenntnis des Pilgram Marpeck
wiedergegeben. Hingewiesen wird auf die Literatur über Marpeck,
der Bergrichter in Rattenberg gewesen ist, und wahrscheinlich von
dem dort gefangenen ersten Märtyrer in Tirol, Lienhard Schiemer,
zum Täufertum bekehrt wurde. Über seine Flucht vgl. QGT XIII,
Gütersloh 1972.

Hiermit sind wir am Ende des inhaltsreichen Bandes angelangt.
Ich glaube, daß die englisch-sprechenden Erforscher des Täufer-
tums Professor Estep Dank für seinen Band spenden werden. In
dieser Hinsicht wäre noch viel Arbeit zu leisten.

Wien Grete Mecenseffy

Morller. Bernd [Hrsg.]: Bauernkriegs-Studien. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn [1975]. 106 S. 8° = Schriften des
Vereins für Reformationsgeschichte Nr. 189, Jg. 82,2 u. 83. Kart.
DM 24,-.

Abgesehen von der Beschäftigung mit Luthers Stellungnahmen,
sind die Kirchenhistoriker an der Bauernkriegsforschung relativ
wenig beteiligt gewesen. Dem Baucrnkriegskolloquium in Rein-
hausen bei Göttingen vom 6.-8.3.75, veranstaltet vom Verein für
Reformationsgeschichte, und seinem schriftlichen Niederschlag in
dem vorliegenden Heft ist die traditionelle Zurückhaltung gegenüber
diosem Arbeitsfeld noch anzuspüren. Der Hrsg. weist darauf
hin, daß nicht so sehr der Kalender, sondern der Versuch einer
interdisziplinären Aktivität des Vereines ausschlaggebend für die
Tagung war.

In seinem mediävist isohen Beit rag „Zu den geistigen und religiösen
Voraussetzungen des Bauernkrieges" (9-27) bemüht sich Hart-
mut Boockmann, die These von der gesamtnationalen Krise am
Vorabend des Bauernkrieges auf bestimmte Regionen und Gruppen
zu begrenzen und damit einer revolutionären Überschätzung
z. B. der Reformation Sigismundi, des Oberrheinischen Revolutionärs
, des Adam-Eva-Spruches (Bestandteil der Ständelehre bereits
vor den Wiklifiten), des Petrarcameister-Ständebaumes (Fortunadarstellung
) und des Pfeifers von Nikiashausen entgegenzutreten.
Boockmanns an sich begrüßenswerter Entmythologisierungsver-
such berührt allerdings zuweilen die Grenze der Verharmlosung. -
Francis Rapps Untersuchung („Die soziale und wirtschaftliche
Vorgeschichte des Bauernkrieges im Unterelsaß", 29-45) bestätigt
mit dem Ergebnis, daß die starken Preis- und Produktions-
schwankungen und damit eine wirtschaftliche Unsicherheit am
Bauernkriegsvorabend eine aufruhrgünstige Situation schufen, für
das Untersuchungsgebiet die wirtschaftsgeschichtlichen Erkenntnisse
der letzten Jahrzehnte. - In dem heuristischen Beitrag „Der
Bauernkrieg in den vorder- und oberösterreichischen Ländern und
in der Stadt Würzburg. Ansätze zu einer Theorie des Bauernkrieges
" (47-68) referiert Hans-Christoph Rublack zunächst den
Versuch des frühverstorbenen Tübinger Historikers Jürgen Bükking
, die moderne revolutionstheoretische Forschung (vor allem
Barrington Moore) auf die Bauernkriegsereignisse anzuwenden.
Das Ergebnis (gravierende sozio-ökonomische Veränderungen und
Erstarrungen in der feudalen Sozialordnung der Vorbauernkriegszeit
, biblisch-reformatorische Begründung als entscheidend für den
Aufstandsausbruch) entspricht im wesentlichen den Ergebnissen
der gegenwärtigen Bauernkriegsforschung. Rublack erweitert sodann
Moores Ansatz, erörtert bislang zu wenig beachtete Problemkreise
(Trägerschichten, Finanzierung, Phasenbildung) und findet
das Prozeßmodell der „großen Revolutionen" auch in den drei
Phasen des Würzburger Aufstandes wieder. Bereits die Tagungsdiskussion
ergab, daß diese revolutionstheoretischen Überlegungen
weiterer Überprüfung bedürfen (68). Die Gefahr der Konstruktion
wird z. B. an der Rolle sichtbar, die dem „hussitischen Gleichheitsaxiom
" (51-53) von Rublack zugeschrieben wird. - Mit seinem
Beitrag „Thomas Müntzer und Martin Luther" (69-97) geht es
Leif Grane speziell um die Beleuchtung der „historischen Voraussetzungen
des Zusammenpralls" der beiden großen Kontrahenten
(69). Für Grane ist Müntzer einer der vielen aus der Zeit der frühen
Reformation, die Luthers „Signal empfunden haben und dementsprechend
sich dazu befreit gefühlt haben, nunmehr ihre eigenen
Theorien zu verwirklichen" (70). Von dieser Basis aus zeichnet
Grane die Phasen der Beziehungen zwischen Müntzer und Luther
nach. Unter der Erfahrung mit den Wittenberger Unruhen und
Müntzer ist Luther „in den Jahren 1521-1524 ein anderer geworden
" (83). Der sachliche Ursprung des Gegensatzes lag im unterschiedlichen
Schriftverständnis. Mit dem zutiefst theologischen
Gegensatz zwischen Luther und Müntzer „waren die Entscheidungen
schon vor dem Bauernkrieg gefallen" (93). Die von Grane erneut
beobachtete Dominanz des Alten Testamentes bei Müntzer
wäre einmal einer umfassenden Untersuchung wert, Müntzers Bezug
auf das Neue Testament müßte dabei eingehender berücksichtigt
werden. - In „Neun Thesen zu Müntzei s Chiliasmus" (99-101)
kennzeichnet Reinhard Schwarz Müntzer als einen Chiliasten
„höherer Ordnung". Das Fehlen gängiger chiliastischer Züge resultiere
„aus einer vollständigen Verschmelzung von Apokalyptik und
Mystik" (99). Die anregenden Hinweise machen das Fehlen einer
genaueren Untersuchung von Müntzers eigengeprägter Apokalyptik
erneut bewußt. - Kurt-Viktor Selges Diskussionsbeitrag „Zu
,Müntzer in Allstedt'" (103-106) macht darauf aufmerksam, daß
Müntzer nicht ausschließlich von seiner theologisch-politischen
Konzeption her verstanden werden kann; „auch die Real itäts- und
Konflikterfahrung bewirkt Modifikationen und Entwicklungen in
seinem Denken" (103). Auf die Allstedter Zeit angewendet, formuliert
Selge zugespitzt: „Müntzers Verhalten in den Allstedter Konflikten
seit dem Spätsommer 1523 . . . wäre weitgehend verständlich
auch ohne die radikalsten Züge seines Schriftverständnisses"
(104). Selge lenkt den Blick auch auf die bisher zu wenig beachtete
Rolle des Schlossers Hans Zeiß und kündigt eine ausführlichere
Behandlung von Müntzers Allstedter Wirken an.

Der begrüßenswerte Versuch interdisziplinärer Bearbeitung
eines Forschungsschwerpunktes mag in der mündlichen Diskussion