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Ausgabe:

1978

Spalte:

591-593

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Anabaptist beginnings 1978

Rezensent:

Mecenseffy, Grete

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr.8 592

691

beneidenswert homogene Bild des Urchristentums nur staunend
zur Kenntnis nehmen; es liegt außerhalb der Reichweite der Geschütze
historischer Kritik!

Von ebenso fra ppierender Einfachheit ist die Lösung für das
Lukas-Problem, die Ooulder dem staunenden Leser zum Schluß
auf knapp 20 Seiten anbietet (452 471): Lk, der Paulusschüler,
habe das ihm zu stark judenehristliehe Mt-Ev heidenchristlich
überarbeitet; er habe alles ihm zu jüdisch erscheinende Material
ausgelassen und durch frei komponiertes heidenchristliches Material
ersetzt. Wenn er die Reihenfolge veränderte, dann deshalb,
weil er eine dem heidenchristlichen Gottesdienst gemäße Leseordnung
herstellen wollte. Zur Beantwortung weitergehender Fragen
, die sich aus der Bestreitung von Q bei überkritischen Lesern
ergeben könnten, sieht sich Vf. nicht veranlaßt .

So ist denn der methodische Zweifel, in den der hartgesottene
Verfechter der Zweiquellentheorie und der Formgeschichte durch
dieses Buch gestürzt wird, letztlich nicht allzu tief. Es ist eher zu
erwarten, daß bei ihm nach der Lektüre die Dankbarkeit für die
ihm geläufigen Methoden und Hypothesen die Oberhand behalten
wird. Denn sie halten ihn - bei allen Schwächen im einzelnen - doch
immerhin zu exaktem Beobachten und Fragen an und sorgen so
dafür, daß das exegetische Arbeitsfeld nicht der unkontrollierbaren
Phantasie überlassen bleibt.

irdMU'iH Jürgen RolofT

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Estep, William R., Jr. [Ed.]: Anabaptist Beginnings (1523-1533).

A Sourco Book. Nieuwkoop: de Graaf 197G. VII, 172 S. gr. 8° =
Bibliotheca Humanistica & Reformatorica, XVI. hfl. 75,-.

Das vorliegende Werk ist als Quellenband eine teilweise Ergänzung
zu Esteps 1909 erschienenem Buch „The Anabaptist Story",
die mir in einer spanischen Übersetzung aus dem Jahr 1975 vorliegt
. In beiden Veröffentlichungen spiegelt sich das Wissen um die
Anfänge des Täufertunis im deutschsprachigen Raum Europas.
Dennoch kann es dem Vf. nicht immer leicht gefallen sein, sich im
fremden Räume mit fremden Ortsnamen zurechtzufinden. Auf
Seite 94 der Historia de los Anabautistas" steht folgende Geschichte
: „Jacob Hutter (der spätere Führer der Tiroler Täufer) wurde
nach Praga (= Prag) geschickt, um dort das Hutmacherhandwerk
zu erlernen. Seine Geschäfte verpflichteten ihn, viel zu reisen, bis er
sich endlich in Kärnten niederließ." Merkwürdig, dachte ich mir,
wie kommt der Vf. auf Prag, die Hauptstadt Böhmens? Nach einigem
Überlegen kam ich auf die richtige Spur. Der Name des Ortes
hätte „Prags" heißen sollen; das ist ein Dorf in den Südtiroler
Dolomiten unweit von einem See, dem bekannten Pragser Wildsee;
Grundherr war dort der Bischof von Brixen, der das Fischerei-
Recht besaß. Die noch nicht veröffentlichten Aktenstücke im
3. Band der österreichischen Täuferakten, der in absehbarer Zeit
erscheinen dürfte, erzählen, daß der Fischer von Prags ein Verwandter
Hüters war, bei dem dieser tatsächlich als Hutmacher gearbeitet
hat, ehe er nach Kärnten entschwand. Das ist die Geschichte
von Prags.

Der Quellenband Esteps dient dem Zweck, amerikanischen Lehrenden
und Lernenden durch eine Übersetzung ins Englische das
Verständnis von Dokumenten zu erleichtern, die in dem schwer verständlichen
Frühneuhochdeutsch abgefaßt sind. Dies ist ein sehr
lobenswertes Unternehmen, muß sich doch der Erforscher jener
Zeit in die Verhältnisse einleben. So scheint es mir auch nicht ganz
richtig, auf S. 2 die Schweiz und Deutschland einander gegenüberzustellen
. Sie gehörten beide zum Römischen Reiche deutscher
Nation. Ebenso muß bemerkt werden, daß sich kaum ein Kapitel
auf Österreich bezieht, wenn es auch das bedeutendste Täuferland
war, dennBalthasarHubmaier stammte nicht aus dem österreichischen
Teil des Reiches: er war in Friedberg bei Augsburg geboren,
studierte in Freiburg im Breisgau und in Ingolstadt, war Pfarrer in
Regensburg und betrat erst in Waldshut österreichisches, besser

gesagt habsburgisches Herrschaftsgebiet. Zu diesem gehörte seit
1526 auch Nikolsburg in Mähren, einem Lande der böhmischen
Krone, das 1526 als Erbe der JagielIonen an Ferdinand L gefallen
war.

Das vorliegende Buch (Mithält 18 Dokumente; davon betreffen
sieben Balthasar Hubmaier. Mit ihm wollen wir uns zunächst beschäftigen
. Das schriftliche Werk Hubmaiers, des bedeutenden
Theologen und Märtyrers, liegt uns in der Ausgabe von Gunnar
Westin und Torsten Bergsten, Quellen zur Geschichte der Täufer
IX, Gütersloh 1962, vor. In seinem Buche führt Estep die folgenden
Stücke an: Nr.2: die Achtzehn Schlußreden 1524, 18 kurze
Abschnitte, die eine Absage an die katholische Kirche und ein
Bekenntnis seines Glaubens enthalten; Nr. 6: Eine ernstliche christliche
Erbietung, der nach Schaffhausen geflüchtete Pfarrer von
Waldshut verteidigt die Maßnahmen, die er dort verfügt hat;
Nr. 7: Von Ketzern und ihren Verbrennern, eine besonders im
Hinblick auf das eigene Ende des Schreibers bedeutungsvolle
Schrift in 36 kurzen Artikeln; Nr. 10: Von der christlichen Taufe
der Gläubigen, Hubmaiers theologisch bedeutendstes, auch im
Umfange längstes Werk, in der er die Berechtigung der Glaubens-
taufe eindringlich dargelegt hat; Nr. 12: Von dem Schwert 1527,
die Schrift soll den Beweis erbringen, das ein Christ sehr wohl in
Ausübung seines Berufes das Schwert führen dürfe. In dieser Haltung
unterscheidet er sich von den Schweizer Brüdern, die Gewalt-
losigkcit predigen; am Ende des Buches begegnet uns Hubmaier
noch zweimal: in Nr. 15, die eine gekürzte Wiedergabe des Gespräches
des auf der Burg Kreuzenstein Gefangenen mit Johann Fabri,
dem geistlichen Berater Ferdinands L, darstellt; es war dem König
doch gelungen, die Herren von Liechtenstein zur Auslieferung des
„Aufrührers und Ketzers" zu bewegen; das Stück handelt von der
Auslegung und dem Verständnis der hlg. Schrift , von der Tradition
und der Kindertaufe. Ein Exemplar des Buches, das Fabri herausgegeben
hat (Druck in Leipzig 1528), findet sich im Southern
Baptist Theological Seminary in den Ver. Staaten.

Das letzte Stück der Sammlung, Nr. 18, ist ein Hubmaier zugeschriebener
Hymnus „Zu lob und preis göttlich worts", Druck in
Philipp Wackernagel „Das deutsche Kirchenlied", III. Bd. Leipzig
1870, Nr. 164, S. 125f., und fast gleichlautend Nr. 165, S. 120f.;
ins Englische übersetzt von H.C.Vedder.

Nun seien noch die übrigen 11 Stücke aufgezählt: Nr. 1 ist ein
Teil aus der Zweiten Zürcher Disputation im Oktober 1523 nach
der Niederschrift von Ludwig Hätzer; damals handelte es sich um
die Abschaffung der Messe, die die Radikalen unter Führung Conrad
Grebels in Kürze forderten, während Zwingli mit Rücksicht
auf den Rat der Stadt es vorläufig beim Alten beließ. Es ist diese
Auseinandersetzung als Bruch der Radikalen mit dem ihnen früher
nahestehenden Reformator zu bezeichnen.

Es folgen Nr. 3 drei Briefe Grebels an seinen Schwager Joachim
Watt (Vadianus), den Humanisten, seinerzeitigen Rektor der Universität
Wien, nun Vorkämpfer für die Reformation Zwingiis in der
Stadt St. Gallen; im zweiten Brief vom 18.XII. 1523 drückt Grebel
seine tiefe Enttäuschung über die Haltung Zwingiis in der Frage
Abschaffung der Messe aus.

Nr. 4 ist eines der berühmtesten Schriftstücke des Schweizer
Täufertums, der Brief Conrad Grebels und seiner Gefährten an
Thomas Müntzer vom 5. September 1524, der in den „ Quellen zur
Geschichte der Täufer in der Schweiz, I. Bd., Zürich 1952" abgedruckt
ist; aus ihm spricht teils Übereinstimmung mit Müntzers
Vorgehen, teils Abweichung, besonders in der Frage: Gewalt oder
Widerstandslosigkeit ?

Nr. 5 ist ein weiterer Brief Grebels an Vadian, in dem er seine
auch wirtschaftlich unerfreuliche Lage schildert.

Nr. 8 enthält die dem oben genannten Quellenwerk entnommene
Verteidigungsschrift der Erwachsenentaufe, geschrieben von dem
engsten Mitarbeiter Conrad Grebels, Felix Mantz.

Nr. 9 führt uns in ein gänzlich anderes Gebiet: es sind die 12 Artikel
der Bauernschaft im süddeutschen Raum. Diese Artikel gehen
nicht, wie öfter behauptet wurde, auf Hubmaier zurück; aus dem
Hauptwerk über den Deutschen Bauernkrieg von Günther Franz,
10. Auflage, S. 120-120, kennen wir den Verfasser: es war Sebastian
Lotzer, ein Kürschnergesell aus der Stadt Memlingen; er war ein
gründlicher Kenner der Bibel. Aufreizung zur Gewalt ist in den
Artikeln nicht enthalten; die Forderung nach der Pfarrerwahl zeigt