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Ausgabe:

1978

Spalte:

585-587

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Müller, Ulrich B.

Titel/Untertitel:

Prophetie und Predigt im Neuen Testament 1978

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978Nr.8

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und Nachfolger und c) eine kur ze Zusammenstellung ihrer Lehren
aufgebaut ist. Das Bedeutsame ist, daß die Folge: Vita des (weithin
mit göttlichen Attributen ausgezeichneten) Gründers und Bericht
über seine Schüler sich außer in Philosophenbiographien nur im
lukanischen Doppelwerk findet. „There is no twofold narrative
based on such a pattern to be found in the treatment of any other
kind of figure-literary, political, or military - insofar as I have
been able to determine" (S.134). Wenn der Vf. recht hat mit der
Behauptung, daß das lukanische Doppelwerk seiner Gattung nach
weder einfach ein Geschichtswerk noch ein Roman noch eine Are-
talogie ist, sondern dem biographischen Genre mit Romanmotiven
(vgl. z. B. Apg 27) zuzurechnen ist, dann müßten die einschlägigen
Abschnitte in den Einleitungen in das NT überprüft werden.

Tübingen Joachim Jeremias

Müller, Ulrich B.: Prophctie und Predigt im Neuen Testament.

Formgeschichtliche Untersuchungen zur urchristlichen Prophe-
tie. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1975].
256 S. 8° = Studien zum Neuen Testament, hrsg. v. G. Klein,
W. Marxsen, W. Schräge, 10. Kart. DM 46.-.

Die urchristliche Prophetie ist bis zum heutigen Tage ein weitgehend
unbekanntes Phänomen geblieben. Zwar ist ihre Bedeutung
für die frühe Missionsgeschichte hin- und wieder gewürdigt worden
, und zumindest für den antiochenisch-syrischen Raum beginnt
sich aufgrund der Hinweise in Q, Mt und Did ein Bild ihrer äußeren
Erscheinung wenigstens in Konturen abzuzeichnen, doch fehlen
nach wie vor Zeugnisse für die prophetische Verkündigung. Das
bedeutet aber zugleich, daß ein wesentlicher Sektor der Frühgeschichte
der christlichen Predigt noch im Dunkel liegt. Nun hat es
zwar nicht an Versuchen gefehlt, aus der synoptischen Tradition
Sprüche urchristlicher Propheten zu rekonstruieren, doch blieben
ihre Ergebnisse umstritten. Dies gielt vor allem für Ernst Käsemanns
Hypothese, daß die Jesusüberlieferung Sätze heiligen Rechtes
enthalte, deren Sitz im Leben die Verkündigung von Propheten
gewesen sei (Sätze Heiligen Rechtes im Neuen Testament in:
ders.. Exegetische Versuche und Besinnungen II, 19683, 69-81),
die durch Klaus Berger (NTS 17[1970]10-40) nachdrücklich in
Frage gestellt worden ist.

Ulrich Müller versucht nun, einen anderen Zugang zur prophetischen
Verkündigung zu erschließen, und sein Verfahren verspricht,
wie schon vorweg gesagt werden kann, ungleich mehr Erfolg, auch
wenn die Durchführung im einzelnen zunächst noch manche Fragen
offen läßt. Er folgt dem Hinweis des Paulus in IKor 14, demzufolge
prophetische Rede primär gerade nicht aus in Ekstase
geäußerten knappen Einzelsätzen bestand, sondern ,,mit Vernunft
und Überlegung entfaltete Rede" war (14), deren Ziel es nicht war,
emotional zu überwältigen, sondern zum Verstehen des Willens
Gottes zu überführen in Erbauung und Mahnung (14,3). Das heißt:
Es gab eine prophetische Predigt, und nichts berechtigt deshalb zu
der Annahme, «laß die uruhrist liehe Predigt ausschließlich aus der
hellenistisch-jüdischen Missionsrede und der kynisch-stoischen
Diatribe hervorgegangen sei. Wenn das aber so ist, dann darf
damit gerechnet werden, daß die Gattung der prophetischen Predigt
im NT Spuren hinterlassen hat, die mittels der formgeschichtlichen
Methode identifiziert werden können. Müller läßt sich bei
der Suche nach ihnen durch folgende Kriterien leiten: 1. Es müssen
Texte sein, in .denen sich, trotz ihrer schriftlichen Form, noch
Strukturen mündlicher Rede erkennen lassen (43). - 2. Es müssen
in ihnen die Funktionen der Prophetie - nach IKor 14,3 vor allem
Mahnung und Trost - erkennbar sein (44). - 3. Der „Offenbarungscharakter
" muß in ihnen deutlich hervortreten, d. h. der Redende
muß den Anspruch erheben, durch den Geist bzw. den Kyrios
autorisiert zu sein, was mittels einer Botenformel oder einer äquivalenten
Legitimationsformel zum Ausdruck gebracht worden
kann (44 f.). - 4. Darüber hinaus ist mit Anklängen an weitere für
die at'liche Prophetie typischen Formen zu rechnen: „Eine Gattung
, die im AT typisch für die Prophetie ist und auch in jüdischen
Texten als prophetische Gattung weiterlebt, dürfte bei eventueller
Verwendung in urchristlicher Rede auf prophetischen Charakter
dieser Rede schließen lassen" (45).

Diese Kriterien werden zunächst mit Erfolg an den Sendschreiben
der Apokalypse erprobt: Hier liegt mündliche Redeform vor;
die Botenformel erscheint stereotyp (2,1.8 u. ö.); die prophetischen
Funktionen von Mahnung und Trost treten klar hervor und auch
Anklänge an Redeformen, die im AT im Munde von Propheten geläufig
waren (Gerichtsrede, Heilsorakel) fehlen nicht. Im einzelnen
will Müller hier zwei Grundformen prophetischen Redens identifizieren
: (1.) Die Bußpredigt, bestehend aus Urteil über die
Gemeindesituation (Anklage), Mahnung (als Erinnerung an den
Evangeliumsempfang und als Umkehrruf) und bedingte Gerichtsdrohung
(Apk 2,1-7.12-17.18-29; 3,1-3.14-22). Dieses Schema
entspricht auffällig dem Aufriß der Täuferpredigt nach Q (Mt 3,7
bis 10) und hat auch Entsprechungen im Spätjudentum (Hen 91).
- (2.) Die Heilspredigt, bestehend aus Hinwendung zur Situation
der Gemeinde, Tröstung und Malmung (Apk 2,8-11; 3,4.7-13).

Ähnliche Formen prophetischer Predigt möchte Müller nun auch
bei Paulus erheben. Und in der Tat fällt es nicht allzu schwer, die
genannten Kriterien auf seine Briefe anzuwenden: Sie folgen weithin
den Strukturen mündlicher Rede und geben ein Bild von der
Predigtpraxis des Apostels; Funktionen der Prophetie finden sich
in ihnen in reichem Maße, und auch an Anklängen an Formen der
at'lichen Prophetie fehlt es in ihnen nicht. Schwieriger ist allerdings
schon der Nachweis des „Offenbarungscharakters". Denn
Paulus gebraucht keine Botenformeln und er gibt keine Weisungen
Christi bzw. des Geistes in direkter Rede. Müller sieht einen Ersatz
dafür in dem häufigen Gebrauch von nttgctxaXety mit präpositiona-
lem Ausdruck (<hä toü xvninv o. ä.). Doch die näheren Begründungen
dafür erscheinen zum Teil etwas gewaltsam: Die Vermutung,
Paulus habe „die Botenformel in der Gestalt ,dies sagt der heilige
Geist bzw. der Christus' schon deswegen nicht benutzen" können,
„weil sie damals hellenistisch interpretiert wurde" (129), hat noch
am meisten für sich. Fragwürdiger ist schon die Behauptung, daß
das sich in diesen Wendungen aussprechende Selbstverständnis des
Paulus als eines von Christus Gesandten co ipso prophetisch sei
(u. a. unter Hinweis auf 2Kor 5,20 [124]). Denn dies wäre nur stichhaltig
aufgrund der m. E. unhaltbaren Prämisse der weitgehenden
Identität prophetischen und apostolischen Selbstbewußtseins (128).
Verfehlt ist jedoch m. E. der Versuch, aus Apg 11,28; 21,4 eine
nebenpaulinische Analogie der Wendung „Ich sage euch durch den
Geist . . ." herzuleiten: Beide Stellen meinen doch wohl ein direktes
Reden des Geistes durch den Propheten im Sinne von Apg
21,11! Schließlich wird die unumgängliche Feststellung, daß die
Legitimationsformel „normalerweise gar nicht zu Beginn der jeweiligen
prophetischen Abschnitte des Paulus steht" (138), zu
schnell mit dem Hinweis darauf überspielt, „daß die prophetisch
strukturierten Abschnitte immer im Ganzen der Briefe begegnen",
während die besondere Autorisation jeweils zu Beginn des Briefes
bzw. des paränetischen Teils erfolge (138). Das bedeutet, daß die
Legitimationsformel bestenfalls als allgemeines theologisches Vorzeichen
gelten kann, daß sie aber als formgeschichtliches Kriterium
prophetischer Predigt bei Paulus ausscheiden muß.

Von da her wäre eigentlich zu erwarten gewesen, daß Müller sich
bei seinen Versuchen, in den paulinischen Briefen konkrete Beispiele
der Gattung prophetischer Predigt zu identifizieren, vorwiegend
auf die noch verbleibenden formgeschichtlichen Kriterien
gestützt hätte, nämlich auf Analogien zu at'licher und apokalyptischer
Prophetie einerseits und zu den in der Apk aufgewiesenen
Gattungen andererseits. Stattdessen führt or aber ein inhaltliches
Kriterium ein, das so unscharf gehalten ist, daß es den Weg zu
einer sachgemäßen formgeschichtliehen Analyse ganz erheblich
erschweren muß: Prophetisch sei ein Wort dann, wenn es „eine
göttliche Entscheidung oder Wahrheit verkündet", wenn es proklamierenden
Charakter hat (139).

Von diesem inhaltlichen Kriteritim her will Müller in einer Reihe
von Texten, die die Proklamation des Anspruchs des neuen Äons
mit imperativischen Folgerungen verbinden (Rom 13,11-14;
IThess 5,1-11; IKor 7,29-31) eine Form prophetischer Rede finden
. Doch dies ist keineswegs überzeugend. Denn einerseits ergibt
sich für das Ineinander von Indikativ und Imperativ, wie Müller
selbst erkennt (166), als wahrscheinlicher Sitz im Leben die Tauf-
paränese - und sie war sicherlich keine Form prophetischer Rede .
andererseits bleibt auch der Versuch, lediglich das indikativisch-
proklamatorische Element als prophetisch auszuweisen, in Wider-