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Ausgabe:

1978

Spalte:

584-585

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Talbert, Charles H.

Titel/Untertitel:

Literary patterns, theological themes, and the genre of Luke-Acts 1978

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Theologische Literat urzcitung 103. Jahrgang 11)78 Nr. 8

584

Halle/Saal« Wullgaug WlafU

Hervorbringung und Einnehmen der Flüchte (S.53-61). Zielwort Sein Schüler Werner Schmauch war es auch, der den topographi-

der eschatologischen Rede Lk 17,20-37 ist V. 37 in der Wiedergabe: sehen Angaben der Evangelien in ihrem narrat iven und theologi-

Wo ein Leib ist, werden sich Aasgeier versammeln (S.67). Die der sehen Stellenwert besondere Aufmerksamkeit schenkte. Seine Ar-

Passionsgeschichte bei Mt vorausgehenden Stücke stehen unter beit (Orte der Offenbarung und der Offenbarungsort im Neuen

den Leitworten Verzehr, Ausschluß, Hochzeit (25,1-13), Verbrauch Testament, Berlin - Göttingen 1956) sei als Gegenstück zu der biet

und Produktion (25,14 SO). Kein Zweifel: Wo man sich des Hannes angezeigten nachdrücklich in Erinnerung gerufen,
des linguistischen Zaubers entschlägt, sieht man sich den Konstitu-
tiva des strukturalistischen Mythos gegenüber, wie sio bei l^evi-
Strauss von der Anthropologie structurale (1958; dt. Strukturale
Anthropologie, 1969) über den Pensee sauvage (1962; dt. Das wilde

Denken 1968) bis zu den Mythologica (I-IV; dt. 1970-1974) zur la]berti Charles H.: Literary Patterns, Theological Themes and the

Konstruktion einer neuen Anthropologie verwendet werden. Die Genre of Luke Acts. Missoula, Montana/USA: Society of Bibli-

metanarrative Darstellung der Passionsgeschichto schlägt um in cal Ljterature and Scholar's Press [1974]. IX, 159 S. 8° = So-

eine Sinnverdunkelung nach Maßgabe der strukturalistischen ciety of Biblical Literaturc, Monograph Sories, cd. by E.Keck

Myt hologie. and W.F. Stinespring, 20.

Daß der Judasgcstalt dabei ein besonderer Platz zukommt, wer

schon in der ersten Abhandlung erkennbar, in der zweiten, der Die Dreiteilung des Titels der zu besprechenden Arbeit gibt ihre

„Semiotik des Verräters" geltenden rückt sie in den Mittelpunkt Gedankenführung wieder: Es werden zunächst Lucan Patterns

dos Passionsgeschehens. Der Verräter erscheint als ..Donator", als herausgearbeitet (S. 15-88), dann wird nach der Bedeutung der

Ort des Austauschs in einem Prozeß, der aus zwei Serien besteht, gefundenen Struktur für die lukanische Heilsgeschichte und Chri-

der immanenten, historischen oder ereignishaften (Opposition der stologie gefragt (S. 89-124) und schließlich wird die Gattung des

Pharisäer, Todesplan gegen Jesus) und der anderen, transzenden- lukanischen Doppelwerks untersucht (S. 125-140).

ton Serie, die sich (nach Marin) in der Frage konzentriert: Wie Die Strukturanalyse des Doppelwerks, die den umfangreichsten

kann Gott sterben, damit der Sterbliche lebe? (Diese dem neu- Teil der Arbeit ausmacht, führt zu dem Ergebnis, daß the principle

teetamentliehen Bericht fernliegende „modalistische" Formulie- of balanee bsw. t he law of duality zwar nicht das einzige, wohl aber

rung wird gewählt, um die für die Problemlösung gewünschte das hervorstechendste stilistische Merkmal des Doppelwerks sei.

Konstellation zu schaffen). Die Erzählung selbst habe an den Kreu- Nun wird kein Einsichtiger bestreiten wollen, daßetwadie Geburts-

zungspunkt der Serien, an den Ort des Austausches Judas gestellt. geschichten des Täufers und Jesu gewisse Entsprechungen aufwei-

Er mache das Nötige, aber Unmögliche möglich. Den Vf. scheint sen und daß die Berichte der Apostelgeschichte über Petrus und

diese nur durch heillose dogmatische Überfrachtung der Evange- Paulus Analogien erkennen lassen. Aber damit hat es leider nicht

licnhandlung zustande gekommene Hypothese nicht zu schrecken. sein Bewenden, sondern der Vf. strapaziert die Gutwilligkeit seiner

Sie erlaubt ihm nämlich, die Passionsgeschichte als Mythos in Leser aufs äußerste, wenn er auf Schritt und Tritt im Doppelwerk

jenem Sinne zu qualifizieren, wie ihn Levi-Strauss in seiner Struk- sich entsprechende Abschnitte entdeckt. Das sieht etwa so aus:

turalen Anthropologie als logisches Instrument zur Uberwindung Lk 23,47 und Apg 27,3.43 hat ein Centurio a favorable Opinion of

grundsätzlicher Antinomien eingeführt hat. Jesus bzw. a favorable relation with Paul - und schon haben wir

So ist man entsprechend gerüstet, wenn man dem Vf. im Irr- ein Argument dafür in der Hand, daß die Verhöre (trials) Jesu und
garten des „Signifikantennetz im System des Textes" folgt (S. 109 des Paulus einander entsprechen (aber handelt es sich an den drei
bis 124). Auch hier geht es keineswegs nur um die Passion und um Stellen um trials?). Die übrigen vier Belege für die Entsprechung
die Gestalt des Judas. Quer durch alle vier Evangelien wird mit- der trials sind nicht viel besser: Lk 23,9.14.22 (dreimal erklärt
einander kombiniert, was unter den Stichworten Namen und Pilatus Jesus für unschuldig) soll seine Untsprechung in der Trias
Namengcbung, Austausch, Leib und Nahrung zu verknüpfen ist. Apg 23,9 (lies: 23,29); 25,25; 20,31 haben (drei Männer erklären
Wie die im Schlußabschnitt (S. 126-168) verbundenen Stücke Sal- Paulus für unschuldig); Lk 23,6-12 (Pilatus sendet Jesus zu Hero-
bung in Bethanien, Fußwaschung, Abendmahl eingeordnet wer- des Antipas) soll parallel zu Apg 25,13-26,32 sein (ein Herodianer
den, zeigen die Uberschriften: Das Zeichen des Geldes (S. 129), verhört Paulus); Lk 23,16 sagt Pilatus ü iolvam, Apg 26,32 redet
Wappenkunde des Körpers (S. 133), Abendmahl und fundamenta- Agrippa von inoltXii&at; Lk 23,18 und Apg 21,36 rufen die Juden
ler Austausch (S. 140). Der Vf. hat uns einen unbeabsichtigten zoCtof rerfroV. Oder: Lk 7,1-10 läßt ein Centurio Jesus rufen,
Dienst geleistet, indem er am Schluß bei der johanneisehen Va- dann ist von einer Witwe und einer Auferweckung die Rede; damit
riante der „negativen Eucharistie" (S. 160) von drei Formen narra- soll Apg 9,36 ff. parallel laufen, wo Witwen (allerdings im Plural!),
tiver Substitution spricht, deren Operator der Verräter ist; der eine Totenerweckung und ein Centurio, der Petrus rufen läßt, ermonetären
(Öl gegen Silberlinge, Silberlinge gegen den Menschen- scheinen (allerdings in anderer Reihenfolge). Oder: Die „Paralleli-
sohn), der alimentären (Essen und Trinken als Transformation des tät" von Lk Kap. 3 und 4 soll daran sichtbar werden, daß zwei Fra-
Anderen und sich selbst) und der körperlichen (Salbung, Kuß und gen, die die Sohnschaft Jesu betreffen (4,3.9) und zwei Bejahungen
Schwerthieb als Kontakte der Konjunktion und Disjunktion). Die der Sohnschaft (3,22.38) einander entsprechen; außerdem sollen
Passionsgeschichte ist zum Steinbruch geworden, gerade gut genug, die drei Versuchungen losen Bezug zu den Versuchungen Adams
um Bauelemente zur Verwertung im Gebäude des strukturalisti- haben. So geht es seitenlang weiter.

sehen Mythos zu liefern. Wer sich außerstande sieht, dem Vf. in solchem Aufspüren zahl-
Der Herausgeber empfiehlt die Lektüre im Blick auf das Kon- reicher „Entsprechungen" im Doppelwerk zu folgen, der wird ihm
zept einer narrativen Theologie, die seit einiger Zeit erhebliche An- auch die Anwendung seiner Ergebnisse auf die lukanische Heilsziehungskraft
ausübt (vgl. Harald Weinrich, Narrative Theologie. geschichte und Christologie nicht abnehmen können. Der Vf. findet
Concilium 9, 1973, 329-354). Von da aus scheint die Frage nach auch hier das Gesetz des Gleichgewichtes, z. B. in der Gegenüber-
einem die erprobten Methoden transzendierenden tragfähigen An- Stellung von idealer Anfangszeit und gegenwärtiger Dekadenz oder
satz unabweisbar. Vorerst dürfte dieser weder bei C16venot noch in der Behauptung der Entsprechung der Taufe Jesu und seiner
bei Marin gegeben zu sein. Man wird sie den „wilden Exegesen" Himmelfahrt, die beide antidoketisch zu verstehen sein sollen,
zurechnen müssen. Der Versuch der immanenten, an der Struktur Das Schlußkapitel fragt nach „Lucan Patterns and the Genre of
orientierten Analyse, wie er von Franz Schnider und Walter Sten- Luke-Acts". Aus den Seitenüberschriften sieht man, daß ursprüng-
ger (Beobachtungen zur Struktur der Emmausperikope, BZ 16, lieh „The Genre of Luke-Acts" der Gesamttitel war; das wäre sach-
1972, 94-114) vorgelegt wurde, zeigt, in welcher Weise die Anre- gemäß gewesen, denn die Untersuchung der Gattung des Doppel-
gungen des Strukturalismus fruchtbar gemacht werden können, Werkes ist zwar nicht dem Umfang, wohl aber dem Gewicht nach
wenn man dem Bann seines Mythos nicht verfällt. In diesem Falle der zentrale Abschnitt des Buches. Hier wird das Werk des Dio-
bleibt man vor dem Schicksal des Traditionsbruchs, der bei Marin genes Laertius (3. Jh. n. Chr.): „Lebensläufe der Philosophen und
(weniger bei Clevenot) so bedrückend wirkt, bewahrt. Im deutschen knappe Zusammenfassung ihrer Lehren" analysiert, eine zehn-
Sprachgebiet wäre etwa das inzwischen an die Peripherie des Inter- bändige Philosophiegeschichte, die in der Regel nach dem Schema :
esses gerückte Lebenswerk Ernst Lohmeyers neu zu bewerten. a) Leben der Gründer von Philosophenschulen, b), ihre Schüler