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Ausgabe:

1978

Spalte:

534-536

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Micskey, Koloman N.

Titel/Untertitel:

Die Axiom-Syntax des evangelisch-dogmatischen Denkens 1978

Rezensent:

Gerber, Uwe

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 7

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und Hl. Schrift als spezifisch „orthodoxe Variation des Verhältnisses
von Wort und Geist" (44), die erst von Hunnius
systematisiert worden sei. Er trieb die Entwicklung der Inspirationslehre
voran (50). Bei Luther war die Kenntnis und
das Hinzutreten des Hl. Geistes zum äußeren Wort von Anfang
an unabdingbare Voraussetzung für die Erlösung. Insofern
konnte er von der Klarheit der Hl. Schrift reden. Die
sich nach Luther entwickelnde Inspirationslehre war vom
Ursprung her antirömisch konzipiert. „Die starke Bewertung
der Kirche und insbesondere des ministerium eccle-
siasticum auf lutherischer Seite wären eine Möglichkeit, aus
der lutherisch-katholischen Polarisierung in der Schriftlehre
herauszukommen." Die Orthodoxie begriff jedoch
nicht, „welche ökumenischen Chancen in der Schrift- und
Kirchenlehre" der CA und FC (!) lagen (53 f.). Für G. war
die Schrift „unicum et proprium theologiae principium" (57),
„scriptura sacra est verbum dei scriptum" (66). Dank der
Inspiration „ist die Schrift medium salutis ad vitam aeter-
nam" (60). Die hl. Schriftsteller waren durch den impulsus
divinus bewegt, doch hat G. noch keine ausgebildete Inspirationslehre
(66). „Durch die Verknüpfung des inneren
Geistzeugnisses mit der hl. Schrift rückt es an den Ort der
Selbstevidenz der hl. Schrift und wird in die e f f i -
cacia verbi divini integriert" (72). Das testimo-
nium spiritus sancti internum (= test.) ist Teil der efficacia
scripturae sacrae; für G. ist die Schriftautorität formal aus
dem test. gegeben (76). Dem Subjektivismus wird gesteuert,
denn die Schrift ist ein Wortgeschehen Gottes, „das sich völlig
an das äußere Wort bindet" (77). Für G. ist die Kirche
„der Ort, an dem das Auslegungsgeschehen fortgeführt und
in den durch das innere Geistzeugnis gesteckten Grenzen
korrigiert wird", wobei dem Amt eine große Bedeutung
zukommt, da es Norm, freilich Sekundärnorm, ist (78 f.). Das
Amt ist „Vermittlungsstelle des Geistes" (80). Ziel aller
Auslegung ist die gloria dei und die „hominis informatio ad
salutem aeternam" (92). Das test. „garantiert und provoziert
das Wortgeschehen als Heilsgeschehen" (95). „Im Zeugnis
der Schrift geschieht das Zeugnis des hl. Geistes. In diesem
Sinn ist das Zeugnis des Geistes das Zeugnis der Schrift und
umgekehrt" (97).

III. Teil: „Die Beurteilung der Heiligen Schrift in Bellarmins
Controversiae fidei christianae — Der Heilige Geist als
Auslegungsprinzip" (98-138): Auch für B. ist der Hl. Geist
Kriterium der Schriftauslegung, „aber nicht, wie er sich in
der Schrift, sondern wie er sich durch die Lehre und ihr
Lehramt legitimiert" (101 f.). B. nivelliert die Zäsur zwischen
kanonischer Schrift und kirchlicher Tradition, um die
Kontinuität des Geistes nicht zu vernachlässigen und ihn
nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt, den der ersten Christen
, festzulegen (104). Ihm ist in der Schrift nicht die ganze
notwendige Heilslehre präsent (107). Auch ist die Schrift
nicht so klar, daß sie nicht des Lehramtes bedürfe, ihr Verständnis
hängt wesensmäßig an der Kirche (117 f., 122). Doch
hat B. die Konzilien auf den zweiten Platz nach der Schrift
gewiesen (121), andererseits ist die Schrift so an das Lehramt
gebunden, daß sie „ihre Funktion als erster judex con-
troversiarum ziemlich eingebüßt" hat (122 f.). Das test. „ist
letztlich doch als judicium internum ...ein testi-
monium spiritus sancti ecclesiasticum" (135). Erst das Lehramt
macht auf den normierenden Charakter des Wortes
Gottes aufmerksam (136).

IV. Teil: „Hermeneutische Prinzipien und ihr Stellenwert
im System der Schriftlehre am Beispiel Johann Gerhards
und Robert Bellarmins" (139—168): Über sämtliche Kapitel
des locus „De scriptura sacra" setzt G. sich mit B. auseinander
. Die gemeinsame scholastische Grundlage zeigt, daß
..die Metaphysik keineswegs soviel Schaden anrichtete, wie
immer wieder behauptet wird" (!), im Gegenteil ergibt sich,
daß sie ,.im Rahmen härtester Auseinandersetzungen einen
gemeinsamen Sprachbeitrag gewahrt hat, der
Modell für heutige ökumenische Verständigung sein könnte"
(140)! Im Gegensatz zu B. gehört bei G. die Kirche auf den
zweiten Rang hinter das test., der Hl. Geist ist Richter über

jede Auslegung (157). In der Lehre vom test. erfährt das
luth. Schriftprinzip seine Konkretion, während bei B. die
Kirche hermeneutisches Prinzip ist (162 f.). G.s Lehre vom
test. hinterfragt dabei die unerschütterliche Berufung auf
die Schrift, „weil Buchstabengläubigkeit ebenso gefährlich
ist wie Schwärmerei" (165). Für G. ist die Schrift kein „papierener
Papst" ! Da aber die Schrift auch ohne den Hl. Geist
gelesen werden kann, ist er im Schriftzeugnis unverrechen-
bar. Durch dogmatisches Vorverständnis wurden später die
Widersprüche in der Selbstevidenz der Schrift überdeckt, so
daß der Glaubensstand gesichert, aber keine neue Auslegung
gewagt wurde (165).

V. Teil: „Das testimonium spiritus sancti internum als
Element ökumenischer Verständigung?" (169—190): Vf. bezieht
sich hier besonders auf das sogenannte Malta-Papier
von 1971. Er kritisiert mit vollem Recht, daß in ihm nicht
präzis genug gesprochen wird (z. B.: wo bleibt das Gesetz,
wenn immer nur vom Evangelium gesprochen wird?). In
ihm wird aber betont, daß für beide Seiten die Sache des test.
zentral bleibt, wenn auch G.s Gleichsetzung von verbum dei
und scriptura sacra so einfach nicht mehr möglich ist. Der
wissenschaftlichen Bibelforschung sind jedoch Grenzen gesetzt
, weil mit der Bezeichnung „Hl. Schrift" ein Kategorienwechsel
stattfindet, der das test. signalisiert und den
auch die Kirche respektiert (173). Es wird aber anerkannt,
daß die Schrift Wort Gottes ist, die Kirche ist dagegen nur
Gefäß des Wortes Gottes; damit bahnt sich ein gewisser Konsensus
an (177). Steht aber die Kirche wirklich zwischen der
Skylla des kirchlichen Lehramtes und der Charybdis des
test.? (183) Vf. meint, daß im Malta-Papier „das gemeinsame
Bekenntnis deutlich artikuliert" worden sei, daß aus
dem Dissensus eine Konvergenz in der Schriftlehre gewonnen
und die unterschiedlichen Positionen relativiert worden
seien. Der Gedanke vom test. wurde aufgenommen und als
Ort des Zeugnisses die Kirche genannt (185—187). — Die gewisse
ökumenische Euphorie des Vfs. ist durch „Mysterium
ecclesiae" und die Bewertung des Papiers durch das Bens-
heimer Konfessionskundliche Institut getrübt worden.

Seine Monographie beschließt Vf. mit einem Materialteil
(191—209), Literaturverzeichnis und Anmerkungen.

Die Arbeit ist umfassend, Vf. ist ihrem Gegenstand verpflichtet
, doch nicht unkritisch. Er wagt es mit Recht, Klischeevorstellungen
über die lutherische Orthodoxie bzw.
über die Kontroverstheologie des 17. Jhs. energisch entgegenzutreten
. Sicher haben sich inzwischen hier Konvergenzen
angebahnt. Der heutigen Theologie bleibt es aufgegeben,
die Uberzeugung der Väter vom test. in die hermeneutische
Debatte entschiedener als bisher einzubringen und im ökumenischen
Gespräch beharrlich zu vertreten. Mit der notwendig
bleibenden historisch-kritischen Methode allein ist
eben die Hl. Schrift noch lange nicht ausgelegt. B. und G.
waren beide sachliche Eiferer um die Wahrheit der Schrift.
Damals hat sich keiner gefunden, der ihnen ihre gemeinsamen
Ausgangspunkte und ihre verschiedenen theologischen
Konsequenzen gezeigt hat. Vielleicht war damit in der
Tat ein Kairos vergeben. Ist heute der Kairos gekommen,
das test. ernst zu nehmen und zu betonen? Es ist dem Vf.
gelungen, eindringlich auf die dargestellte Problematik hingewiesen
zu haben.

Schlettau Karl-Hermann Kandier

Micskey, Koloman N.: Die Axiom-Syntax des evangelisch-
dogmatischen Denkens. Strukturanalysen des Denkprozesses
und des Wahrheitsbegriffes in den Wissenschaftstheorien
(Prolegomena) zeitgenössischer systematischer
Theologen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1976].
162 S. gr. 8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen
Theologie, hrsg. von E. Schlink, 35. Kart. DM
28,-.

Läßt sich das Geschehen der sich selbst erweisenden Offenbarung
Gottes in Jesus Christus als die grundlegende