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Ausgabe:

1978

Spalte:

530-531

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Lucier, Pierre

Titel/Untertitel:

Empirisme logique et langage religieux 1978

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 7

530

(S. 98). Auch in der glückenden Kommunikation sieht C.
solch eine Bewegung (S. 100 ff.), ebenso in dem von ihm angenommenen
und erhofften Prozeß der geschichtlichen, vom
Macht- und Beherrschungswillen infizierten Sprachen in
Richtung auf das im normativen Sinne ideale Sprachspiel
einer idealen Kommunikationsgemeinschaft (vgl. S. 141 f.).

Eine sehr wichtige Grundmöglichkeit der Sprache besteht
in ihrer Bedeutungstiefe. Kennzeichnend ist hier, daß die
Worte nicht erschöpfend bezeichnen, was sie etikettieren,
sondern daß sie einladende Winke darstellen in eine aus
ihnen sprechende Tiefe dessen, was für den Menschen selbst
bedeutsam ist (S. 127). Sie haben einen faszinierenden, tau-
tegorischen, evozierend-appellativen Charakter und weisen
eine discerment-commitment-Struktur im Sinne Ramseys
auf (S. 133 ff.). Vom Inhalt her kann man solche Sprache
hinsichtlich der transzendierenden Bewegung, die sie initiiert
, klassifizieren.

Nach Erörterungen über philosophische Theologie, die nur
in philosophischer Mystik bestehen könne (S. 162), wendet
sich der Vf. der Sprache des jüdisch-christlichen Glaubens
zu. Diese Sprache gründet in ganz bestimmten sinnerschließenden
Ereignissen und ist neben den Sprachen der Kunst,
der Ethik und der Philosophie ebenfalls durch die Merkmale
der Bedeutungstiefe gekennzeichnet. Sie besteht nicht
so sehr aus Erklären, Behaupten, Argumentieren, sondern
aus bekennendem Erzählen, das den Hörenden zum eigenen
Bekenntnis und zur Erfahrung eigenen Heils führen will.

Die Sprache des Glaubens als Sprache einer konkreten
Gemeinschaft ist selbstverständlich ebenfalls Entfremdungserscheinungen
verfallen; jedoch sie kann auch zum
Zeichen und zur Ansage künftigen Heils werden und eine
ideale Kommunikationsgemeinschaft, ja sogar das Reich
Gottes antizipieren.

Die Sprache der christlichen Theologie fußt auf der
Sprache des christlichen Glaubens. Sie stellt eine besondere
Entwicklung dieser Sprache zum Zwecke der Tradierung,
Auslegung und Verkündigung der christlichen Botschaft in
Verantwortung vor den Quellen und der jeweiligen geschichtlichen
Vernunft dar.

Zum Schluß gibt der Vf. einen Ausblick auf eine noch zu
erarbeitende theologische Sprachlehre. Diese Sprachlehre
muß wie die sie vorbereitende philosophische Hinführung
von einem hermeneutischen Ansatz aus erstellt werden. Erkenntnisse
der Sprachanalyse lassen sich von Fall zu Fall
mit Erkenntnissen der Hermeneutik verbinden. Prinzipiell
aber stellt das hermeneutische Denken die gemäßeren Phänomenbeschreibungen
bereit (S. 200).

, II

Zu würdigen ist, daß der Vf. es unternimmt, eine Brücke
vom hermeneutischen zum sprachanalytischen Denken zu
schlagen, und die Sprachanalyse für die Hinführung zu einer
theologischen Sprachlehre nutzbar macht. Eine profunde
Kenntnis der Werke L. Wittgensteins, J. L. Austins und anderer
Sprachanalytiker hilft ihm, zu manchen interessanten
Einzelbeobachtungen zu kommen. Auch dort, wo er sich auf
andere Sprachphilosophen beruft oder eigenständig arbeitet,
fehlt es nicht an interessanten Einsichten.

Trotz der guten Kenntnis sprachanalytischer Literatur
unterlaufen dem Vf. jedoch auch Fehlurteile bei ihrer kritischen
Einschätzung. So ist es z. B. durchaus nicht ausgemacht
, daß Wittgenstein die „Probleme des Selbst" eliminiere
(vgl. dazu J. H. Gill, On ,1'. In: Mind, 1970, pp. 229 bis
240). Direkt falsch ist die Behauptung, Wittgenstein setze
die glückende Kommunikation zwischen den Spielern eines
Sprachspiels als das fraglos Selbstverständliche voraus (S. 39;
vgl. dagegen z.B. L.Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen
I § 111. In: Schriften I, Frankfurt/Main: Suhr-
kamp, 1969). Folgenschwer ist es vor allem, daß der Vf. nicht
zur Kenntnis nimmt, daß bei Austin und anderen Sprachanalytikern
Sprachhandlungen nicht nur danach beurteilt
werden, ob sie glücken oder nicht, sondern auch danach, ob
sie auf Grund der Tatsachen und anderer Dinge berechtigt

oder unberechtigt sind. Diese Nachlässigkeit führt nämlich
zu dem für die eigene Sprachtheorie verhängnisvollen Fehlurteil
, „daß es Wirkliches zu Sagendes gebe, das ... möglicherweise
ausschließlich in der Kommunikabilität verifiziert
werde" (S. 87).

Auch bei anderen eigenen sprachphilosophischen Ansichten
des Vfs. ist es geboten, Kritik anzumelden. So überschreiten
die Ausführungen über die „transzendierende Bewegung
der Sprache" bei weitem das sprachphilosophisch
Sagbare in spekulativer Richtung (vgl. dazu L. Wittgenstein
, a.a.O. § 124) oder beruhen einfach auf einer ungenauen
, verschwommenen Theorie der Wortbedeutung. Die
Unklarheit auf diesem Gebiet mag auch der Grund dafür
sein, daß der Bedeutungsanalyse wichtiger Wörter der
Sprache des Glaubens wie z. B. des Wortes „Gott" völlig
ausgewichen wird. Sie ist auch dafür verantwortlich, daß
z. B. die Strawsonsche Distinktion zwischen „meaning" und
„referring" nicht angewandt und der Unterschied zwischen
„Erzählungen von faktisch Geschehenem" und „fiktionalen
Erzählungen" nivelliert wird (S. 182).

Der Hauptmangel des Buches besteht darin, daß der Vf.
trotz hoffnungsvoller Ansätze keinen echten Dialog mit der
sprachanalytischen Philosophie führt. Er meint, er könne
die Ergebnisse der Sprachanalyse von einem hermeneutischen
Standpunkt aus kritisch begutachten, ohne seinen
eigenen Standpunkt selbst in Frage stellen zu lassen (S. 200).
Gegen solch eine Ansicht vertreten wir nun allerdings mit
A. Grabner-Haider die Meinung, daß der Weg durch die
analytische Philosophie für die Theologie gewiß beschwerlicher
sein mag als ein hermeneutischer Weg, daß aber jener
zweifelsohne der effektivere ist (vgl. A. Grabner-Haider,
Semiotik und Theologie, München: Kösel-Verlag, 1973,
S. 208).

Ronneburg Wilfried Flach

Lucier, Pierre: Empirisme logique et langage religieux.

Trois approches anglo-saxonnes contemporaines: R. B.
Braithwaite, R. M. Hare, I. T. Ramsey. Tournai: Des-
clee & Cie.; Montreal: Bellarmin 1976. 461 S. gr. 8° =
Recherches. Philosophie, 17.

Der Vf. wendet sich den Werken dreier bedeutender
Autoren zu, die dem Erbe der analytischen Philosophie
verpflichtet sind und im Licht der strengen Axiome des
logischen Empirismus nach den Eigenarten und von daher
schließlich auch nach den Möglichkeiten und der Berechtigung
religiöser Sätze als gültiger Sätze überhaupt fragen:
Soll das christliche Reden nicht einem esoterischen Ghetto
überlassen werden, so muß es radikal mit den Forderungen
des logischen Empirismus konfrontiert werden, da dessen
Prinzipien ja nicht die Besonderheit einer speziellen philosophischen
Richtung darstellen, sondern die normalen Herausforderungen
durch die Existenzbedingungen der wissenschaftlich
-technischen Welt überhaupt formulieren (16,
404 ff.). Damit sind bestimmte Voraussetzungen als Vorentscheidungen
gegeben: Die Wissenschaftssprache erscheint
als Idealsprache; die Gültigkeit wird nach den Kriterien der
empirischen (Referenzbezug auf beobachtbare Fakten) und
logischen (Deduktion mittels Logik) Kontrollierbarkeit (Verifikation
) bestimmt (390 ff., 414 ff.). Obwohl die drei befragten
Autoren ihre Auffassungen vor der Eingrenzung
der sprachlichen Wirklichkeit in Gebrauchsfelder (..Sprachspiele
") durch Wittgenstein II und der daran anschließenden
Analyse des illokutionären Aspektbereiches der Sprache
(Austin, Evans, 403 f.) entwickelt haben, so ist dem Vf. doch
darin zuzustimmen, daß diese neueren Entwürfe wohl die
Versuchung nahelegen, der Schärfe der logisch-empirischen
Herausforderung zu entgehen (14 f.), doch ist dieser Versuchung
nicht nachzugeben, da die Gesprächslage hinsichtlich
der gegenstandsbezogenen (referentiellen) Aussagen
selbst dadurch nicht modifiziert wurde (390 f.).