Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

526-527

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Engel, Peter

Titel/Untertitel:

Die eine Wahrheit in der gespaltenen Christenheit 1978

Rezensent:

Mager, Inge

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

525

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 7

520

des Verhältnisses von Kirche und Staat und vom gesellschaftlichen
Nutzen der Predigt zeichnen und zusammenfassend
im Sinne Sp.s feststellen: der evangelische Prediger
„übt eine volkserzieherische Wirkung aus, wenn er den ihn
konstituierenden Gemeindeauftrag richtig erfüllt" (S. 124).

Der II. Teil der Arbeit (S. 143-210) ist den Quellen von
Sp.s Theologie gewidmet, während der III. Teil (S. 211-229)
das Reformiertentum als Quelle der Neologie behandelt.

Auch wenn in der vorliegenden Monographie die Intentionen
Sp.s zutreffend bestimmt sind, dürfen die an der Wirkungsgeschichte
aufweisbaren Grenzen des aufgeklärten
Programms nicht übersehen werden. Herder, dessen Angriff
Sp. als die „bitterste" der Entgegnungen empfand, hat das
„sonderbar Unvollständige des Begriffs vom Predigtamt"
gründlich analysiert und mit bissiger Schärfe den Gegensatz
herausgearbeitet. (An Prediger, 1773; An Prediger. Fünfzehn
Provinzialbiätter, 1774) Er erkennt deutlich die durch
die Anpassung bewirkte Selbstentmächtigung: „Ich lese in
einem Buch ,Von Nutzbarkeit der Prediger' viel Gutes, wie
sie ... Tugendlehrer seyn, als solche auch in einem sehr wohl
policirten Staat noch könnten geduldet werden ; wie nützlich
sie auch wohl dem wohlpolicirten Staat seyn dörften, wenn
sie eine bürgerlich unschädliche Religion und Tugend lehrten
! .. . Aber von dem, was Prediger denn recht als Boten
Gottes! der Religion und Tugend, thun sollen ?
nicht blos so leidlich unter den Flügeln des Staates auch mitkriechend
, thun mögen? ... Von dem Allen kein Wort!"
(Herders Sämtl. Werke, hrsg. von B. Suphan, Bd. VII, 1884,
S. 191) „,Predigtamt, Sorge für das ewige Leben' tolerirte
Anstalt der Gesellschaft: und darum siehts auch mit allem,
was es würcken soll, so tolerirt aus ... Die herrschendsten
Ärgernisse und Gräuel — gehn den Prediger nichts an; er
predigt und wird besoldet. Sei kein Störer des Handels und
Wandels, löblicher Geldbringender Schandtaten, Ungerechtigkeiten
, Unterdrückungen und der Lasterpestilenz der
Zeit — tolerirter Prediger und wird besoldet" (Suphan VII,
S. 217).

In Antithese gegen Sp. erklärt Herder die Prediger als
„die Depositairs eines Schatzes von Offenbarung" (Suphan
VII, S. 239). Ablehnend reagierte daher auch der „Leser"
von Sp.s „Nutzbarkeit des Predigtamtes", von dem Herder
berichtet, der das Buch niederlegte und seine Bibel nahm:
„Und du Bibel, sprach er glühend, sollst, so lange ich lebe,
mein Hauptbuch bleiben, was ich glauben, lehren und wie
ich nutzbar werden soll, vor Gott!" (Suphan VII,
S. 237 f.)

Der Rez. kann trotz der quellenmäßig fundierten Darstellung
und der Bemühung des Vfs. um eine differenzierte
Beurteilung des Theologen Sp. nicht umhin, im Hinblick
auf Sp. auf das vom Vf. abgewiesene Urteil, die Neologen
seien mit „dem Dogma" bzw. „dem kirchlichen Dogma" zerfallen
gewesen (S. 50), erneut hinzuweisen. Trotz des Festhaltens
an den vier Grundlehren — Gott, Vorsehung, Unsterblichkeit
und Erlösung — als den zum Heil notwendigen
Wahrheiten, wird das kirchliche Dogma in der Theologie
Sp.s weder rezipiert noch in seiner Relation zum Kerygma
interpretiert.

Eine theologiegeschichtliche Gesamtwertung der Aufklärungstheologie
wird die zeitgenössische Kritik (u. a. Hamann
, Herder) nicht übersehen dürfen. Es bedürfte auch
einer eingehenden Untersuchung, inwieweit die reformierten
Einflüsse, die der Vf. als prägende Elemente derSp.schen
Theologie aufweist, bereits in der Konfrontation mit dem
Deismus modifiziert sind und vom ursprünglichen reformierten
.Bekenntnis' abweichen.

(In dem kritischen Resume der Forschungsgeschichte S. 39
bis 55, das auch stilistisch einer Überarbeitung bedurft hätte,
fehlt W.Philipps Lexikonartikel „Neologie" in EKL; es ist
fraglich, ob K. Barths theologische Position durch ein Tillich-
Zitat [S. 47] zu charakterisieren ist.)

Auch diese theologiegeschichtliche Untersuchung hätte
noch gewonnen, wenn der gesellschaftliche Kontext — über
den biographischen Bezug hinaus — stärker berücksichtigt

worden wäre. (Bereits an der Wirkungsgeschichte — wie Herders
Widerspruch deutlich machte — lassen sich die Grenzen
aufweisen!) Es ist nicht zu übersehen, daß, obwohl die zeitgemäße
Umformung der Glaubenswahrheit (samt den Konsequenzen
für die kirchliche Praxis) der Intention nach
deren Weitergabe dienen sollte, durch die Zeitgebundenheit
im Effekt die Anpassung an obrigkeitliche Erfordernisse
verstärkt worden ist; eine für die Identität des Protestantismus
gefährliche Entwicklung, die von einer vom gesellschaftlichen
Kontext abstrahierenden Theologiegeschichte
oft übersehen wird.
Jena Eberhard H. Pältz

Engel, Peter: Die eine Wahrheit in der gespaltenen Christenheit
. Untersuchungen zur Theologie Georg Calixts. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1976]. 245 S. gr. 8° =
Göttinger Theologische Arbeiten, hrsg. von G. Strecker,
4. Kart. DM 32,-.

Der orthodoxe Theologe Georg Calixt (1586—1656) ist in
mehreren kirchengeschichtlichen Arbeiten der letzten Zeit
wiederentdeckt worden. Nachdem H. Schüssler Calixts Theologie
und Kirchenpolitik eingehend untersuchte, J. Wallmann
seinen rationalen Theologiebegriff in Abgrenzung
gegen Johann Gerhards „Gottesgelehrsamkeit" eindrucksvoll
herausarbeitete und I. Mager die theologische Ethik
analysierte, wird in dieser Göttinger kirchengeschichtlichen
Dissertation versucht, einen Zusammenhang aufzuweisen
zwischen dem theologischen und dem ökumenischen Bemühen
des bis zum heutigen Tage umstrittenen Helmstedter
Irenikers.

Dazu geht der Vf. im ersten Hauptteil der Prinzipienlehre
Calixts nach, legt im zweiten großen Abschnitt seine Hermeneutik
dar und arbeitet im Schlußteil seinen Traditionsbegriff
als zweites theologisches Erkenntnisprinzip heraus.
Obgleich für Calixt alle theologischen Erkenntnisse aus der
Offenbarung fließen und Theologie dementsprechend als
eine „disciplina supernaturalis und superrationalis" zu gelten
hat, ist sie doch auf der anderen Seite ein rationaler
„habitus acquisitus" im Unterschied zum Heilsglauben als
einem „habitus infusus". Vf. bezeichnet diesen bei Calixt
zu beobachtenden Tatbestand als „eine Inkonsequenz gegenüber
der Prinzipienlehre" (S. 60), bemüht sich aber dennoch
— Wallmanns Ergebnisse an einzelnen Stellen modifizierend
— um den Nachweis der elementaren Bezogenheit
von Theologie und Glaube. Gleichwohl ist aber auch für ihn
Theologie bei Calixt ohne den persönlichen Heilsglauben
möglich, ja gerade darin zeigt sich für ihn das die Konfessionsgrenzen
sprengende Ziel dieser Wissenschaft, die zu
allgemeingültigen, von jedermann nachprüfbaren Urteilen
zu gelangen vermag. Da das Geschäft der Theologie bei Calixt
Schriftauslegung schlechthin bedeutet, schreitet Vf.
folgerichtig zur Darlegung der calixtinischen Hermeneutik
fort und entdeckt in ihr durch die klare Unterscheidung von
Wort Gottes und Hl. Schrift nicht nur Ansätze zu einer historisch
-kritischen Exegese, sondern bemerkt darüber hinaus
in Calixts Ablehnung der christologischen Interpretation
des AT eine heraufkommende Ahnung von der Geschichtlichkeit
der Offenbarung und der Kirche samt ihrer Verkündigung
. Calixt selbst hat diese Erkenntnis in den Entwurf
seiner Föderaltheologie eingearbeitet, wodurch ihm die
Kontinuität der einen Wahrheit in der Mannigfaltigkeit der
Heilsgeschichte deutlich wurde. Die so verstandene Schrift
ist für Calixt eine allen Menschen zugängliche Quelle und
kann mit Hilfe der alten Sprachen sowie der philosophischen
Instrumentalwissenschaften genau interpretiert werden;
deshalb muß man sie ebenso wie die Theologie selbst als
Mittlerin interkonfessioneller Annäherung verstehen und
nutzen. Schließlich kann auch die Tradition der alten Kirche,
die ja nichts anderes als ausgelegte und gelebte Schrift ist,
dem Einigungswerk insofern dienen, als sie die apostolische