Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

513-515

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Bibliographie zur Geschichte und Theologie des Augustiner-Eremitenordens bis zum Beginn der Reformation 1978

Rezensent:

Kleineidam, Erich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

513

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 7

514

lards „weckten das Bewußtsein, daß die hohen Schulen nur
in der Stadt inmitten der bürgerlichen Gesellschaft atmen
und leben konnten" (15). Die Betonung der ratio und die
Emanzipierung des Individuums werden als Fortschritte
bezeichnet, „die auf ideologischem Gebiet den ökonomischen
und sozialen Aufstieg Nordwesteuropas reflektierten"
(23). Kap. 3 ist überschrieben: „Die Ratio führt in die Welt
der Städte" (26—35). Resümierend sagt Werner: „Damit
führt von Anselm über Abälard zu St. Viktor und Chartres
eine Strömung, die von Anbeginn an die Stadt gebunden
war, auch wenn sie in der Übergangszeit von Bec noch im
Kloster isoliert blieb. Ledstungswille und Leistungsstreben
des befreiten Bürgers verlangten nach einer neuen Ideologie,
einer .vernünftigen1 Religion, die den homo novus in den
civitates sanktionierte" (33). Kap.4 zeichnet das Gegenbild:
Monastische Theologie: Ideologie der Reaktion? Es geht um
Bernhard von Clairvaux, der von W. positiver beurteilt
wird als sonst meist in marxistischer Literatur. Die Zisterzienser
„schwammen im Strom des agrarischen Aufschwunges
im 12. Jahrhundert" (38). Aber sie „waren keine Reaktionäre
" (39). Sie werden als „konservative Variante der
feudalen Entwicklung" eingeordnet (42). Kap. 5 „Lateinisches
Selbstverständnis: libertas, ratio et labor" (43—64) vergleicht
die Entwicklung in Byzanz, die hinter der des Abendlandes
zurückblieb. Ein „religiöses Überlegenheitsgefühl"
bestimmte „die feudale Mentalität Westeuropas in zunehmendem
Maße" (55). Grundlage dafür war der Wirtschaftsaufschwung
der Städte: „Der Rationalisierung des Glaubens
lief eine Rationalisierung des städtischen Lebens parallel"
(57). Auch die Papstkirche mußte sich „der gesetzmäßigen
Entwicklung des materiellen Lebens anpassen" (58). Die
Scholastik war „ein Kind des europäischen Wirtschafts- und
Sozialaufstiegs im Hochmittelalter" (60). Daher beurteilt W.
die Frühscholastik insgesamt als progressive Erscheinung:
„Der politische Konzentrationsprozeß im geistlichen und
weltlichen Bereich, der rationale Trend städtischer Geschäfts
- und Lebensführung, die Ablösung feudaler con-
suetudines durch fixierte leges, fanden ihre Widerspiegelung
, ihre Autorisierung und ihre Denkanstöße in der Frühscholastik
" (64). Man beachte die Vielfalt der genannten
Möglichkeiten: Widerspiegelung, Autorisierung, Denkanstoß
. Direkte Einwirkungen wirtschaftlicher Prozesse auf
einzelne theologische Lehrstücke sind schwer nachweisbar,
die Entwicklung stimmt nicht immer überein. So sagt W.
über die Zisterzienser: „Zwar übernahm man rationalisierte
Wirtschaftsformen, lehnte aber ein rationalisiertes Denken
ab..." (41). Ökonomie und Theologie sind zwei Bereiche,
deren Zuordnung vielfältig und kompliziert ist. Sicher hat
W. mit seiner Grundthese recht, daß die Scholastik unter bestimmten
ökonomischen Bedingungen sich entwickelt hat;
die Geschichte der Kirche und auch der Theologie vollzog
sich niemals in einem luftleeren Raum. Die Arbeit von W.
verarbeitet eine Fülle von Quellen und Literatur und wird
den interessierten Theologen sicher anregen.
Rostock Gert Haendler

Gindele, Egon: Bibliographie zur Geschichte der Theologie
des Augustiner-Eremitenordens bis zum Beginn der Reformation
, bearb. und hrsg. unter Mitarbeit von H. Geiter
und A. Schuler. Berlin-New York: de Gruyter 1977. XXVI,
353 S. gr. 8° = Spätmittelalter und Reformation. Texte
und Untersuchungen, hrsg. von H. A. Oberman, 1. Lw.
DM 158,-.

Mit dieser Bibliographie beginnt eine neue Reihe von
Veröffentlichungen, die der theologischen Grundlagenforschung
dienen wollen. Die Reihe, deren erster Band hier erscheint
, will Texte und Untersuchungen zur Theologie des
Spätmittelalters und der Reformation herausgeben. Heiko
Oberman, der als Herausgeber zeichnet, schrieb eine kurze
Einleitung, die das Ziel der neuen Reihe angeben möchte
(V—XIII). Bisher habe man für die Bewertung der Reformationszeit
den Maßstab zu sehr entweder der Vergangenheit
— dann redete man vom Zusammenbruch der mittelalterlichen
Welt — oder der Zukunft entnommen und sah
dann in der Reformation vor allem den Aufbruch der Neuzeit
. Auch der Begriff „Übergangszeit" sei eine Verlegenheitslösung
. Oberman hält alle drei Modelle für nicht zeitgemäße
Deutungskategorien. Er schlägt ein neues Deutungsmodell
vor: das des „Umbruchs". Das bisherige Diskontinuitätsdenken
habe versagt; die Verklammerung zwischen
Mittelalter und Reformation sei größer, als bisher
angenommen wurde. Bisher habe man trennende Mauern
zwischen Spätscholastik, Humanismus und Reformation
aufgebaut, die der Wirklichkeit nicht entsprechen. Er hoffe,
mit dem Denkmodell „Umbruch" besser als bisher der geschichtlichen
Wirklichkeit gerecht zu werden. Die Brauchbarkeit
dieses Denkmodells soll zuerst am Augustinismus
erprobt werden, der sich als „koalitionsfähig" sowohl für
die Scholastik wie für den Humanismus als auch für die
Reformation erwiesen habe. Es gäbe eine Denktradition im
Augustinerorden. Zuerst ist sie von Aegidius von Rom geprägt
, der seit 1287 Ordensdoktor ist, dann von Gregor von
Rimini (t 1358), der die schola moderna Augustiniana begründet
habe. In Wittenberg gab es 1508 eine eigene via
Gregoriana, später ebenso in Salamanca einen eigenen
Lehrstuhl. Gregor von Rimini gilt „als der beste Augustinuskenner
des Mittelalters" (D. Trapp). Ihm gelang die Verbindung
mit der via moderna und damit eine Entflechtung
der aegidianischen Verbindung zwischen Thomas von Aquin
und der Augustinertheologie. Besondere Beachtung will die
neue Reihe den beiden Augustinern Johannes Paltz und Johannes
von Staupitz schenken, weil sie mit ihrer Büß- und
Rechtfertigungslehre für die Gedankenwelt, für das Denkklima
und das Lebensgefühl am Vorabend der Reformation
besonders wichtig seien. Der Kampf um Augustinus sei die
erste Etappe in der großen Auseinandersetzung der Reformationszeit
, wo Luther und die Augustiner noch gemeinsam
ihr Anliegen vertreten. Erst das Rechtfertigungsdekret des
Konzils von Trient habe einen Trennungsstrich gezogen.

Dieses neue Denkmodell des „Umbruchs" ist ohne Zweifel
geeignet, uns dem Verständnis dieser so komplexen Zeit
ein Stück näher zu bringen; wieweit es uns hilft, das Rätsel
der Reformationszeit weiter aufzuhellen, wird sich erst zeigen
müssen. Für manche Erscheinungen dieser Zeit wird es
wohl nicht ausreichen; dann erscheint die Reformation eher
wie ein geistiges Erdbeben, das auf einmal so viele Häuser,
die sich der menschliche Geist gebaut hatte, unbewohnbar
machte.

Nach dieser kurzen, aber programmatischen Einleitung
folgt auf 353 Seiten die Bibliographie. Sie gliedert sich in
fünf Abschnitte: Zuerst werden die vorhandenen Bibliographien
, Hilfsmittel und Nachschlagewerke angegeben (1 bis
6), dann folgt die Literatur zur Geschichte des Ordens (7—90),
darauf die zur Theologie und Philosophie (91—130), gegliedert
nach Sachgebieten, wie Gotteslehre, Schöpfungslehre,
Soteriologie; der vierte, größte Teil gibt die Literatur über
die einzelnen Augustiner bis zum Konzil von Trient (131 bis
290), der fünfte Teil stellt die Schriften über den Orden im
Reformationszeitalter zusammen (291—307). Es folgt ein
Autorenregister (308—341) und ein Register der Augustiner
(342-353).

Das Buch will eine möglichst vollständige Bibliographie
bieten, weil bisher für die Erforschung der spätmittelalterlichen
Augustinertheologie keine ausreichend gesicherte
Bibliographie vorhanden war. Das Buch führt 2646 Titel auf
und möchte alle zwischen den Jahren 1945—1972 erschienene
einschlägige Literatur erfassen. Sehr zu begrüßen ist es, daß
auch die vor 1945 gedruckte Literatur aufgenommen wurde,
soweit sie nicht durch danach erschienene Literatur aufgearbeitet
ist. Die zeitliche Begrenzung bis zum Beginn der
Reformationszeit liegt einmal darin begründet, daß Luthers
Auftreten eine tiefgreifende Wende in der Geschichte und
Theologie der Augustinereremiten bedeutet; ferner will
diese Bibliographie nicht nur der Reformationsgeschichte