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Ausgabe:

1978

Spalte:

489-491

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Clavier, Henri

Titel/Untertitel:

Les variétés de la pensée biblique et le problème de son unité 1978

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 7

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stens in der Tendenz droht der (wohltemperierte) Wärmetod
, wenn man auf die traditionellen Kenntnisse der Ursprache
meint um der Vereinfachung der Aufgabe willen
verzichten zu dürfen. Ich hätte an dieser Stelle ganz außerordentliche
Bedenken und würde den allerdings sehr viel
schwierigeren Weg befürworten, einen (möglicherweise kritischen
und daher für die Aufgabe scheinbar belastenden)
Sachkenner zu Rate zu ziehen. Gerade, weil ich die Notwendigkeit
des Gesamtunternehmens begreife!
Borsdorf b. Leipzig Gottfried Schille

Ciavier, Henri: Les Varietes de la pensee biblique et le Probleme
de son unite. Esquisse d'une Theologie de la Bible
sur les textes originaux et dans leur contexte historique.
Leiden: Brill 1976. XVI, 424 S. gr. 8° = Supplements to
Novum Testamentum, ed. W. C. van Unnik, P. Bratsiotis,
K. W. Clark, H. Ciavier, J. W. Doeve, J. Doresse, C. W. Dug-
more, J. Dupont, A. Geyser, W. Groussow, A. F. J. Klijn,
Bo Reicke, K. H. Rengstorf, E. Stauffer, XLIII. Lw. hfl.
152,-.

Das Buch ist insbesondere in dem umfänglichen Teil I die
Frucht von sechs Jahrzehnten biblischer Forschung des
Autors1, ein Alterswerk2, dessen Thema den Vf. seit langem
beschäftigte (IX). Im Blick vor allem auf das Neue Testament
ist es ein Gegenwartsthema3; die Problemstellung bei
Cl. ist jedoch umfassender durch die Einbeziehung des Alten
.

In einer introduction generale (1—57) gibt Cl. zunächst
eine historische Übersicht über das Verständnis des biblischen
Gedankens' (im Sinn seiner Fragestellung) in 20 Jahrhunderten
. Dann skizziert er die methodischen Probleme
biblischer Wissenschaft (29—45); es geht um die Erfordernisse
wissenschaftlicher Forschung überhaupt (Freiheit des
Urteils, Sachlichkeit, Sachkunde besonders sprachlicher und
geschichtlicher Art, psychologische Erklärung) und um die
Anwendung historischer Arbeitsweise auf die Erkundung
des oder der biblischen Gedanken (s), nicht zuletzt von der
Wortgeschichte (developpement semantique [44]) in der
ganzen Bibel her4. Eine kurze Übersicht über die Probleme
der Kritik (45—57) befaßt sich vor allem mit der Geschichte
des Kanons und des Textes.

Die eigentliche Grundlegung dessen, was Cl. zur Einheit
der Bibel zu sagen hat, erfolgt in Teil I seines Werkes, Les
courants de la pensee biblique (61—313). Daß er zunächst
vom Alten Testament her entworfen ist, macht sich schon
in der Gliederung geltend. In c. I (62—94) weist Cl. auf altüberkommene
Vorstellungen im AT hin (das NT wird kaum
erwähnt). Mit der „Wüste" hängt die Bedeutsamkeit der
z. T. symbolisch verwerteten Kennwörter Wasser, Wind
bzw. Geist, Gestirne usw. zusammen. Ebenso sind unter anderem
anthropologische Ausdrücke, kosmologische und Gottesvorstellungen
z. T. übernommen (religionsgeschichtliche
Zusammenhänge sieht Cl. des öfteren besonders mit Sumer).
Die für sein Thema bedeutsamsten Aussagenbereiche stellt
Cl. dar in c. II, ,Der mystische Strom und der biblische5 Gedanke
' (95—144), und III, .Der prophetische Strom im biblischen
Gedanken' (145—267). Als mystisch bezeichnet Cl.
Aussagen über die personale Gemeinschaft mit Gott6, die
Teilhabe an den Schätzen der göttlichen Gnade (97 f.), ferner
den Empfang von Offenbarungen, zumal in der Prophe-
tie (102—104); in dem Zusammenhang äußert sich Cl. auch
über die Ekstase im NT (105—110). Der mystische Glaube
geht in AT und NT über den Glauben der geläufigen Redeweise
hinaus (111; mystische Gottesliebe im AT: 115), nicht
zuletzt in der .Erfahrung des Lebens' (119—132; Cl. redet
hier zum AT insbesondere von der Überwindung des Todes).
Abschnitt 4 ist der Symbolsprache als Ausdruck mystischen
Denkens gewidmet (132—141); auch die auf das Heilsgeschehen
des AT bezogene Typologie des NT wird als mystisch
bezeichnet (138).

Die Beschreibung des prophetischen Stromes, des stärksten
im AT und noch mehr im NT (145), beansprucht fast
ein Drittel des Buches. Nach einem Überblick über Prophe-
tie und Prophetengestalten (einschließlich Paulus und Jesus)
in beiden handelt Cl. über die prophetische Weisheit, den
politischen, den sozialen und ethischen Aspekt der prophetischen
Botschaft sowie über ihre Aussagen zur Zukunft. Zu
diesen unterscheidet er (201—234) zwischen messianischer,
apokalyptischer (Ende der Welt in einer Katastrophe) und
eschatologischer Prophetie; die erste versteht er im weiteren
(von Gen 3,14 an über die Verheißungen an Noah und Abraham
usw.) und im engeren Sinn. Zur dritten wird insbesondere
auch über die nach dem NT bereits in der Erfüllung
begriffene Eschatologie gesprochen (Gegenwart der
Basileia, neuer Mensch usw.). In Abschnitt 4 stellt Cl. vor
allem das prophetische Verständnis Gottes (237—257) und
des Menschen (257-264) dar. Der Gott des AT ist der Eine,
der Heilige, der Gott des Bundes. Zumal der Gedanke der
Liebe Gottes führt zum NT (Kreuz).

In c. IV, ,Der kultische Strom und der biblische Gedanke'
(268-313), stellt Cl. ,die Zweiseitigkeit (ambiguite) des Kultes
' (268—270) in einem .geschichtlichen Überblick über den
Kult in der Bibel' (270—297) heraus. Abirrungen des Kultes
zeigen sich nicht nur im AT (ex opere operato [303 f.]), sondern
auch im NT (so taucht in Hebr die Gefahr des Ritualismus
und Klerikalismus7auf, in Ansätzen selbst bei Paulus8).
Aus dem symbolischen Akt spiritueller Gemeinschaft' (309
A. 256) des Abendmahls wird ein sakramentales Geschehen,
mit dem sich die Gefahr des Automatismus verbindet (296;
zur Taufe s. 293 f.; zu beiden 309).

Indem Cl. die nach ihm maßgebenden Linien der biblischen
Theologie insgesamt durchzog9, hat er entscheidende
Vorarbeit für Teil II geleistet, ,Das Problem der biblischen
Einheit'; so faßt er sich hier kürzer (317—372). Cl. macht zuerst
die Verschiedenheiten sichtbar. Die Frage des c. V: ,Gibt
es Gedankeneinheit in der jüdischen Bibel?' (318—323) beantwortet
er mit Hinweisen auf die Verschiedenheit vor allem
in der Gottesauffassung. Allein schon im Pentateuch
finden sich mehrere Vorstellungen von Gott und von der
Heilsgeschichte (322). In c. VI, ,Gibt es Gedankeneinheit im
Neuen Testament?' (324-347), stellt Cl. zunächst die Besonderheiten
der verschiedenen Schriften heraus, etwa die
Tendenz zu einem mehr oder weniger ausgesprochenen
Dualismus im Johanneischen und Paulinischen Bereich
(333 f.), die erhebliche Differenz zwischen Paulus und den
Synoptikern in der Deutung des Opfers Jesu am Kreuz (337)
oder die besondere Stellung des Hebr, in dem die konkrete
Wirklichkeit des Jesus der Evangelien in den Wolken der
Spekulation verschwindet (339). Das authentische Evangelium
Jesu und seine konkrete Person sind jedoch durch eine
Gegenüberstellung der anderen Schriften mit Q und Mk un -
ter Berücksichtigung des in Teil I (besonders c. III) Erhobenen
herauszuarbeiten (341 f.). Das Kerygma, das Jesus
verkündet und das ihn verkündet, ist das der Liebe des heiligen
Gottes, der dem verlorenen Sohn vergibt (343). Jesus,
der Christus, offenbart sich durch dieses umwälzende Evangelium
als der Mensch nach dem Bild Gottes, als der ihm
ähnlich liebende und geliebte Sohn Gottes (344). Durch sein
freiwilliges Opfer am Kreuz10 hat Jesus den Tod besiegt
(346). In der Mitte der Theologie Jesu stand mit seinem Wissen
um den Vater-Gott, den Gott der Liebe, das Bewußtsein
seiner Messianität und deren besonderer Art, auf Grund
seiner Berufung (325 A. 10). Aus der authentischen Jesusgeschichte
geht die Einheit des NT hervor, und auf sie zielt
sie ab (347). Damit stellt sich die letzte Frage (c. VII): ,Wie
gäbe es Gedankeneinheit von einem Testament zum anderen
?' (348—361). Dazu stellt Cl. einerseits dar. wie das AT im
NT nachwirkt und verwendet wird (348—356); andererseits
— ,Das Neue Testament im Alten' — erinnert er an Beobachtungen
in Teil I, zumal an die Aussagen über den leidenden
Gottesknecht. In c. VIII, ,Die Einheit im Ziel und die Einheit
in der Mitte' (362-368), weist Cl. nochmals auf die Verschiedenheiten
der Theologien und z. T. der .Ströme' hin.