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Ausgabe:

1978

Spalte:

477-484

Autor/Hrsg.:

Andrew, Maurice E.

Titel/Untertitel:

Geschehnis - Reaktion - Anerkennung des Gerichts 1978

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 7

478

Sinnsystem des jeweiligen Milieus — oder relativiert sie als
unterscheidendes Merkmal für die Grenze zwischen der Gesellschaft
und der Subkultur, in der diese Familie lebt, das
Norm- und Sinnsystem der sozialen Umwelt oder hebt sie
dieses gar auf?

1 Chr. Morgenthaler, Sozialisation und Religion (197G).
! A. Vergote, Religionspsychologie (1970).

' H. Sunden, Die Religion und die Rollen (1966).

' H. Reiser, Identität und religiöse Einstellung (1972). D. Stoodt,
Religiöse Sozialisation und emanzipiertes Ich, in: Dahm, K.-W.,
Religion - System und Sozialisation (1972).

* E. Fromm, Das Christusdogma und andere Essays (1965).

■ B. Caesar, Autorität in der Familie (1972).

' E. H. Erikson, Kindheit und Gesellschaft (1968).

< H. Müller-Pozzi, Psychologie des Glaubens (1975).
J. Scharfenberg, Religiöses Bewußtsein als Narzißmus, in: Religion
: Selbstbewußtsein - Identität (1974).

Geschehnis - Reaktion - Anerkennung des Gerichts*

Der theologische Gedankengang von Ezechiel 4-24 in der Anrede an die Verbannten
Von Maurice E. Andrew, Dunedin/Neuseeland

Fast am Ende der Berufungsvision des Ezechiel wird dem schon wieder Jerusalem ist, obwohl sie bereits eine Belage-
Propheten gesagt (3,11): „... gehe hin zu den Verbannten, rung durchgemacht haben

den Mitgliedern deines Volkes und rede zu ihnen: So spricht Später hat man in Kapitel 5, 3 zwar hinzugefugt daß Eze-
Adonaj Jahwe.. - Auffallend ist es dann, daß in dem chiel sich einige Haare nehmen und sie in den Zipfel seines
Hauptstück Kapitel 4-24 hauptsächlich vom Gericht gegen Gewandes binden soll - Ausdruck einesNÜtai Lebenszau-
Jerusalem gesprochen wird. Anscheinend ist es für die bers. Der Gegensatz zur völligen Vernichtung in 5,1 erweist
Verbannten in Babylon von höchster Bedeutung, daß 5, 3 als eine spatere Feststellung der Tatsache daß doch
sie vom Gericht gegen Jerusalem hören. Man weiß al- nicht jeder bei der Belagerung getötet worderi ist Aus der
lerdings, daß nicht jeder von einer Exilstätigkeit Ezechiels realistischen Erfahrung dessen wasjeigentticn' geschehen ist
überzeugt ist, aber ich meine nicht, daß man jede Stelle, die rückt der Gott der Bewahrung nach dem_ Gotdes Gerichte
eine solche Tätigkeit voraussetzt für sekundär erklären ins Blickfeld. Die Theolog e umfaßt n cht nui eine bekann
. Im folgenden geht es hauptsächlich um den theologi- stimmte Zeitspanne Ezechiel selbst hat nicht unbedingt alle
sehen Gedankengang der jetzigen Komposition des Buches. Folgen seiner Botschaft von Anfang an ^hnt
Hier stellt schon der Zusammenhang zwischen dem Gericht In Kap. 6 wird der Angriff gegenJerusalem _auf das ganze
in Jerusalem einerseits und den Menschen an einem anderen Land erweitert, auf die Berge Israels und damit au die
Ort andererseits Vorurteile gegen das Gericht in Frage: Der Hohenheiligtumer und auf aleswas I lael an religiösen
Leser macht sich auch Gedanken über die Beschaffenheit Einrichtungen besaß. Hierzu stehen em ge Aussagen (wie
eines solchen Gerichts, bei dem Verbannte zuerst einmal ir£3-4) ^^-^^ J 8- O^voneimgen e
von der Vernichtung ihrer Heimat hören müssen^ Man muß sprochen d e -tränen s d ^ ^
freilich „zuerst einmal" sagen, weil der Auftrag Ezechiels, wuiueu. »* h=r Pn*

- ^ Verbannten zu gell, 'auch zeigt daß ausgerechnet = ™^<%* ^K^^^e^
das Gericht zur Erneuerung des Volkes fuhren kann (vgL r°nn^n ^™n den (sie) werden meiner gedenken ...
die Verheißung Kap. 33-37). Eb*n deshalb aber darf da f ^^^^ zum Abscheu werden wegen des Bö-
Gericht nicht gemildert werden. Nur so g.bt es Hoffnung auf ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^

eine Erfüllung der Verheißung. die menschliche Reaktion zu einem Handeln aus Einsicht

Die Verbannten in Babylon hätten es für selbstve^and- J, men»*h e ^ ^ ^ ^ ^ b

hch gehalten, ihre Hoffnung auf die noch heile Stadt Jeru ^ Verbannten tatsächlich erst die Ver-

salem zu haben. Aber in drei rasch aufemanderMgenden sondern au ^ ^ ^

Zeichenhandlungen (4,1-2. 9-11; 5,1-2) wird jegche Hoff- J g Vernichtung und Verbannung geben zusam-

nung auf Jerusalem sofort vernichtet. Ezechiel s^ te- dauern g Andeutung der Grund-

schehnisse darstellen: Daß er einen in der Sonne gebrannten Erneue8rung Israels an. •

Ziege stein nimmt, zeigt, daß « hö*stwf "f^f'; Es wäre aber zu bezweifeln, ob man zu einer solchen

Babyion .st. Dort zeichnet er auf den Ziegel eine Stadt und Zusammenhang mit

belagert sie (4,1-2). Danach soll er eine karge Belagerungs • Kap. 7 spricht in V. 2 nicht

kost zubereiten und essen (4, 9-11). Und schließhch soll er g t Land ^ ^

sich auf Jahwes Geheiß ein scharfes Schwe nehmen und |w danach nQch konkreter: Jetzt das Ende

Sich damit scheren; ein Drittel der Haare soll er dannver Dich!» (V. 3). Das heißt, es ist nicht nur so, daß das

brennen, ein weiteres Drittel mit dem Schwert zerhauen ^ ^ ^ ^ ^ ^ MmsAen

und das letzte Drittel zerstreuen (5 1-2). riarff„tellt selber werden immer näher in dieses hineingerückt. Jahwe
Es ist deutlich, daß hier drei Geschehn.sse dargestellt ^ ^ ^ ^ ^ ^
werden: Belagerung, Belagerungsessen und Vernichtung. ^ n ^ , ^ ^
Das heißt, Ezechiel redet nicht zuerst vom GenchJson ^ Kommen als dem Bluhen der .Ungerechtigkeit',
dem er stellt Geschehnisse dar, die als noch kommendan ^ Aufschießen der Vermessenheit, dem Wachsen der Gegenommen
werden müssen. Doch sogar das wurde_ noen ^ ^ ^ ^ Gottlosigkeit (7,10-11). Mit anderen
nicht unbedingt bedeuten, daß sie als Gericht verstanaen ^ ^ Kommen dieses Tages, des Endes, nichts an-
wurden. Erst in der sprachlichen Deutung, die daraut toigt ^ ^ Wachsen der Gottlosigkeit des Volkes selbst,
redet Ezechiel vom Gericht (5, 8). Das heißt das uenenx ^ ^ ^ ^ ^ G&richts das außere
Wird durch ein alltägliches Geschehnis ausgedruckt are Geschehnis der Beiagerung war und in Kap. 6 die Vernich-
noch nicht vollständig. Es ist nun eine Reaktion der men ^ religiösen Stützen, so wird das Geschehnis jetzt
sehen erforderlich, die zur Anerkennung des Gencnts iun ^ Handeln der Menschen selbst konstituiert. Das ist

- erst dann ist das Gericht voll zur Geltung gekommen, ua ^ umfassende Krise (7.25-27). Weder Prophet,
nach strebt Ezechiel in seiner sprachlichen Deutun^„n'^. priester noch Ältester kann hier helfen. Sogar der Fürst
»st Jerusalem" stellt er lakonisch fest (5, 5); die vei Dari kleidet sich mit Entsetzen - auch politische Macht zeigt sich
müssen tatsächlich anerkennen, daß die belagerte o ohne Hoffnung. In der ersten Gerichtsserie Kap. 4-5 ist keine

Hoffnung für Jerusalem zu finden, in 6 auch nicht für die
Religion, und jetzt, in Kap. 7, nicht einmal mehr für den

'^It^oTie^ung, gehalten im Juni 1977 an den Sektionen Theologie einzeinen. Während vorher das Gericht mit einem äußeren
der Universitäten Rostock und Greifswald.