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Ausgabe:

1978

Spalte:

25-27

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lundbom, Jack R.

Titel/Untertitel:

Jeremiah 1978

Rezensent:

Thiel, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 1

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für Vs. 30a die Übersetzung ergibt: „Ich war bei ihm, einem
Meister".

Mit Recht legt K. jedoch das Schwergewicht nicht auf den
Begriff 'ämön, sondern auf das Bild des Spielens der Weisheit
(dies kommt schon im Titel der Arbeit zum Ausdruck), wenn
auch nicht zu übersehen ist, dag die Übersetzung von 'ämön
als „Kind" diesem Bild besser gerecht wird. Von einem Spiel
vor Gott ist im ganzen AT außer Spr 8, 31 nur noch anläßlich
des Tanzes Davids bei der Überführung der Lade nach Jerusalem
2 Sam 6 die Rede. Hingegen sind Spiele zur Belustigung
der Gottheit in Ägypten ikonographisch vielfältig belegt, und
was K. hierzu an Material beibringt, ist geeignet, die Erzählung
von 2 Sam 6 in ganz neue Perspektiven zu rücken (der
vor der Lade das Rad schlagende und dadurch die Entrüstung
der Michal provozierende David). Hierin liegt der eigentliche
Wert der Arbeit. Über das Ziel hinaus schießt K. jedoch, wenn
er die spielende Weisheit von Spr 8, 30 f. motivgeschichtlich
auf die eine Gottheit im Tempel belustigende ägyptische
Priesterin mit dem Titel „Gottesgemahlin" zurückführt oder
auf Kinder, die im Tempel vor der Gottheit spielen (bzw. das
Sistrum schütteln) und vielleicht in besonderer Beziehung zu
Maat und Hathor (die auch Göttin der Musik, des Tanzes und
des Spiels ist) stehen. Spr 8 hat mit Ägypten nichts zu tun (vgl.
dazu jetzt B. Lang, Frau Weisheit, Düsseldorf 1975).

Tübingen Herbert Haag

Lundbom, Jack R.: Jeremiah: A Study in Ancient Hebrew
Rhetoric. Missoula, Montana: Scholars Press. University of
Montana 1975. XIV, 195 S. 8° = The Society of Biblical
Literature. Dissertation Series, 18.

Bisher existieren nur wenige Spezialarbeiten über Struktur-
Probleme innerhalb des Buches Jeremia. In diese Lücke tritt
nun dieses Buch ein, eine im Offsetdruck publizierte phil. Diss.
(Graduate Theological Union, Berkeley, 1973). Anregungen und
Vorarbeiten bes. von J. Muilenburg und W. L. Holladay folgend
, untersucht der Vf. zwei rhetorische Strukturen im
Jeremiabuch, die Inclusio und den Chiasmus, mit dem Ziel, die
Abgrenzung der literarischen Einheiten genauer als bisher
festzustellen, den Aufbau einer Komposition zu erhellen und
die Funktion der rhetorischen Figur in den Texten, d. h. ihren
Einfluß auf die Aussage, zu erheben. Unter diesen Gesichtspunkten
werden vorwiegend die poetischen Bestandteile des
Buches Jeremia betrachtet.

Zuerst untersucht L. die Inclusio (S. 23-60), die durch gleiche
oder ähnliche Terminologie erreichte Balance zwischen Anfang
und Ende einer Einheit. Innerhalb des gesamten Buches
Jeremia umgreifen Inclusionen größere redaktionelle Kompositionen
(1-51; 1-20* die Urrolle; 8,13-9,21; 21,1-23,8; 30-31),
die von Jeremia, Baruch oder Unbekannten stammen. Innerhalb
der poetischen Texte erlaubt das Erscheinen der Inclusio
die Abgrenzung ursprünglicher Einheiten: 3,1-5; 5,10-13;
5,26-31; 9,9(a)b-10; 10,6f.; 14,7-9; 20,4a.6ab«; 20,7-10;
10,14-18; 22,6f.; 22,20-23; 51,11-14. Inclusionen treten schließlich
auch innerhalb urspründlicher Einheiten auf und bezeichnen
hier Stanzen.

In ähnlicher Weise behandelt der Vf. den Chiasmus (S. 61 bis
112), befolgt dabei aber das Strukturprinzip der Inversion,
d. h„ er beginnt mit dem Chiasmus innerhalb jeremianischer
Dichtungen, kommt dann zu chiastisch gebauten Dichtungen
und geht zuletzt auf den Chiasmus innerhalb des ganzen Buches
ein (womit also seine Darstellung selbst einen Chiasmus
bildet). Dabei orientiert er sich in erster Linie an chiastisch
gestellten Stichworten sowie am Chiasmus der Sprecher, dem
er im Jeremiabuch besondere Bedeutung einräumt. Der sog.
Gedankenchiasmus kommt nur am Rande zur Geltung. An
„chiastischen Dichtungen" grenzt L. ab: 2,5-9; 2,33-37 ; 5,1-8;
6.1-7; 6,8-12; 8,13-17; 8,18-21; 9,2-5; 17,13-16a; 23,18.21f.;
51,20-23; 51,34-45. An Sammlungen oder Prosa-Kompilationen
, die chiastisch strukturiert sind, arbeitet er heraus: K. 1;

8,22-9,10; 11,18-20+12,1-3; 22,6-23; K. 29; K. 25.26.35.36
(Der Jojakim-Cluster); K. 24.27.28.29 (Der Zcdekia-Cluster).

Im Zusammenhang mit diesen Strukturanalysen gelangt L.
zu weitreichenden Folgerungen hinsichtlich des Werdeganges
des Jeremiabuches. In den durch Inclusio zusammengeschlossenen
Kapiteln 1-20 sei die Urrolle enthalten. Sie sei von
Jeremia und Baruch durch sukzessive Ausweitung zum vorliegenden
Jeremiabuch ausgestaltet worden. An sie sei zunächst
die Sammlung der Königs- und Prophetensprüche angeschlossen
worden, danach in einer dritten Stufe der „Jojakim-Cluster".
in den auf der vierten Stufe der „Zedekia-Cluster" eingeschoben
wurde, danach folgten 30-33* (in der Letztgestalt entstanden
aus 30f.+32+33,l-13+33,14-26) und 34 und zuletzt
37-44+45. Dies sei Baruchs „Ausgabe letzter Hand", die aus
Ägypten stammende Vorlage der LXX. Hingegen sei, wie der
Vf. aus der Inclusio l,l/51,64b und der Stellung von 51,59-64
schließt, die Vorlage des m babylonischer Herkunft und
stamme von Seraja.

In der „Conclusion" (S. 113-120) kennzeichnet der Vf.
Jeremias Rhetorik als eine Rhetorik des Predigers, der Totalität
, der Argumentation und der Behaftung des Hörers. Die
prophetischen Reden und die Sammlungen seien nicht von
Gattungselementen beherrscht, sondern von den geläufigen
rhetorischen Strukturen des 8.-6. Jhs. Besonders die rhetorische
Tradition, die sich im Deuteronomium (Dtn.) niedergeschlagen
habe, sei das Vorbild für Jeremia (der sie aber in
argumentativer Weise abgewandelt habe) und noch mehr für
Baruch gewesen. Letzterer, ein in der deuteronomischen
Tradition stehender Schreiber, habe schließlich ein dem Dtn.
ähnliches Buch geschaffen, das - wie die Anwendung der
rhetorischen Strukturen zeigt - ebenso wie die vorhergehenden
Teilsammlungen für die Verlesung im Gottesdienst des (noch
bestehenden oder aber des erwarteten neuen) Tempels bestimmt
gewesen sei. Ein Appendix „Christian Schoettgen's
Exergasia Sacra" (S. 121-127), der Anmerkungsteil, das Literaturverzeichnis
sowie die Register der Verfasser und der Bibelstellen
beschließen das Buch.

Zweifellos liefert die Untersuchung von Strukturen wichtige
Einsichten für die Exegese des Einzeltextes wie für die Beurteilung
umfassender Kompositionen. So ist das mühevolle
Zusammentragen von Beobachtungen dieser Art durch den Vf.
zu begrüßen und anzuerkennen, zudem er seine Analyse relativ
nüchtern und ohne sprachphilosophischen Ballast vorträgt.
Problematisch wird die strukturelle Betrachtungsweise allerdings
, wenn sie sich als exegetische Methode absolut setzt. Dieser
Gefahr ist L. leider in hohem Maße verfallen. Literaturkritik
wird nur in bescheidenem Maße geübt, und zwar vor allem
dann, wenn die Strukturanalyse es zu erfordern scheint. Die
Gattungskritik wird abgelehnt bzw. auf eine Formelkritik
reduziert. Vor allem aber wird die Struktur allzu stark dem
Inhalt übergeordnet (ausdrücklich S. 114: „Structure is a key
to meaning and interpretation."). Dies führt zu Entscheidungen,
die vom Inhalt und von der Gattung der prophetischen Rede
her als Fehlurteile, bestenfalls als Engführungen, betrachtet
werden müssen. Zusammengehöriges wird auseinandergerissen,
Ankündigungen werden von den Anklagen getrennt und dann
nicht selten zu Fragmenten erklärt. Besonders problematisch
ist der Nachweis chiastischer Dichtungen. Keine der vorgetragenen
Abgrenzungen leuchtet unmittelbar ein, die meisten
haben starke Argumente, in der Regel inhaltlicher oder
stilistischer Art, gegen sich. Gequält wirkt auch der angeblich
chiastische Aufbau von K. 1: A Articulation of the Call (4-10),
B Vision of the Call (11-12), B' Vision of the Promise (13-14),
A' Articulation of the Promise (15-19), der die Aussagen der
Verse 13—16 auf den Kopf stellt. Der Eindruck, die Struktur
werde auf Kosten des Inhalts überstrapaziert, drängt sich auch
sonst auf, besonders bei den angeblich chiastisch gestalteten
Kompositionen und „Clustern". So wird man auch den weiteren
Folgerungen des Vfs. gegenüber skeptisch bleiben. Daß ein
Prophetenbuch von 51 Kapiteln zur gottesdienstlichen Verlesung
gestaltet sei, ist kaum vorstellbar. Man muß einfach
damit rechnen, daß rhetorische Strukturen zu literarischen Stilformen
wurden. Der aufgewiesene Entstehungsprozeß des