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Ausgabe:

1978

Spalte:

459-461

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Münchow, Christoph

Titel/Untertitel:

Ethik und Eschatologie in der frühjüdischen Apokalyptik und bei Paulus 1978

Rezensent:

Münchow, Christoph

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4öÖ

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 6

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Münchow, Christoph: Ethik und Eschatologie in der frühjüdischen
Apokalyptik und bei Paulus. Ein Beitrag zum Verständnis
der Apokalyptik und deren Rezeption in den pau-
linischcn Briefen. Diss. Berlin/DDR 1977. XXXIX, 395 S.

Obgleich die frühjüdischen Apokalypsen in den letzten Jahren
stärker in den Blickpunkt exegetischer Forschung gerückt
sind, behaupten sich nach wie vor gewisse Klischees und Vorurteile
mit Hartnäckigkeit. Dies zeigt sich besonders am Problem
der Ethik sowie deren Beziehungen zur Eschatologie in
der frühjüdischen Apokalyptik (Apk). Bei der Abfassung der
anzuzeigenden Dissertation stand daher die Aufgabe, einerseits
die Formen der ethischen Belehrung in den Apokalypsen
darzustellen, andererseits nach dem Inhalt der ethischen Belehrung
zu fragen und schließlich aufzuzeigen, welche Bedeutung
der Formulierung und dem Inhalt der eschatologischen
(eschat.) Belehrung für den Inhalt und die Ausformung der
ethischen Belehrung zukommt.

Nach einer allgemeinen Einleitung (§ 1, S. 1-4) werden in
Einzclanalyscn zunächst die wichtigsten Apokalypsen untersucht
: lHcn (§ 2, S. 5-68), Jub (§ 3, S. 69-128), TestMos
(§ 4, S. 129-155), 4Esr (§ 5, S. 156-201) und 2Bar (§ 6, S. 202
bis 243). Dabei wird der Text nach Aussagen zur Ethik, deren
Form, Inhalt und deren Beziehung zur Eschatologie befragt.
Exkurse wenden sich Spezialfragen im Blick auf die Problematik
der ethischen Belehrung in der Apk zu (Die Himmelsreise;
Makarismcn; Abschicdsrcdcn und Testamente; Die Kalendcr-
ordnung im Jubiläenbuch; Aussagen über Engel und Dämo
nen). Ein abschließender Abschnitt faßt jeweils das Spezifische
der ethischen Belehrung zusammen. Traditionsgcschichtliche
Erwägungen versuchen, den Kreis, der durch die jeweilige
Schrift repräsentiert wird, näher in den Blick zu nehmen.

Eine Zusammenfassung der in den Einzclanalysen gewonnenen
Erkenntnisse gibt § 7 („Aspekte des Verhältnisses von
Ethik und Eschatologie in der apokalyptischen Literatur",
S. 244-304). Dabei wird deutlich, daß sich das Verhältnis von
Ethik und Eschatologie in der frühjüdischen Apk als form-
geschichtlichcs Problem hinsichtlich der Formen ethischer
Unterweisung als auch als theologisches Problem entfaltet.

Die Apokalypsen erweisen sich als ein Konglomerat verschiedener
literarischer Formen, die durch Transformation oder
Einbettung in einen apokalyptischen Kontext dem paräne-
tischen Anliegen dienstbar gemacht werden. Sowohl die Mikrostruktur
(bes. die eschat. Begründungen der Mahnungen) als
auch die Makrostruktur (bes. die Zuordnung von paränetischen
und über eschat. Geheimnisse belehrenden Abschnitten im Gesamtaufriß
der Apokalypsen) erweisen die enge formale Zusammengehörigkeit
von Ethik und Eschatologie. Die bevorzugten
Formen ethischer Belehrung sind Einzclmahnungcn,
motivierende Mahnsprüche mit futurischer Apodosis als Bestandteile
der in sich abgeschlossenen Paräncscn wie ebenso
Visionen, Himmelsrcisen, Beispiclerzählungen, Gerichtsdarstellungen
und Gcschichtsüberblickc. Die Darstellung der ethischen
Belehrung in der Apk kann sich daher nicht auf die an der
grammatikalischen Struktur zu erkennenden paränetischen
Texte beschränken, sondern muß den gesamten vielschichtigen
Stoff berücksichtigen.

Die Vielfalt der dem paränetischen Anliegen dienstbar gemachten
Formen und (z. B. angelologisehcn) Traditionen zeigt,
daß die Apokalypsen eine umfassende Wcltdeutung und
Existcnzerhellung als Antwort auf die umfassende geistige und
politische Herausforderung durch den Hellenismus geben wollen
. Dies geschieht vor allem mittels der Zuordnung von Eschatologie
und Ethik, man muß geradezu von einer Intcrdepcn-
denz von Eschatologie und Ethik sprechen: Die Eschatologie
zeigt das kommende Heil als Ausweg aus der notvollen Gegenwart
. Im Blick auf das Eschaton restituiert sie den in der Gegenwart
nicht mehr erfahrbaren Tun-Ergchen-Zusammenhang.
Diese eschat. Heilssetzung Gottes ist aber nur dann ermutigend,
wenn die den Menschen bedrängende Frage der Heilsaneig
nung beantwortet werden kann. Diese Antwort gibt die Ethik.
Die Kontinuität zwischen diesem und dem kommenden Äon
liegt für den Menschen im Bereich der Ethik.

Diese Beobachtungen widersprechen der These, daß die Apk
keine Ethik kenne (wobei „Ethik" meist qualitativ-wcrtend ver
standen wird). Vielmehr werden verschiedene theologische
Vorstellungen dem paränetischen Anliegen dicnslbar gemacht,
so z. B. die Deutung von Gegenwart und Zukunft mit Hilfe von
Dualitäten, indem nämlich die ethische Dualität von Gerechten
und Sündern, die lokale Dualität von „oben" und „unten" sowie
die temporale Dualität von „jetzt" und „dann" durch das
eschat. Eingreifen Gottes aufgelöst werden wird bzw. im himm-
lischen Bereich bereits aufgelöst ist; zu nennen ist auch die
kosmische Aufweitung des Gesetzesbegriffs, da sich auch im
kosmischen Bereich der Gestirne Gehorsam und Ungehorsam
manifestieren.

Von einem Geschichtsverlust der Apk kann nicht gesprochen
werden, da die Geschichtsdarstellungen und Bittgebete einen
starken Bezug zur Geschichte aufweisen. Auch im Bereich des
Kultischen gibt es kein enthusiastisches Überspringen der Gegenwart
. Andererseits ist an dieser Welt nichts Vcrbesscrliches.
Die Gegenwart gilt als Zeit des Gesetzesgehorsams zur Vorbc-
rcitung auf das eschat. Heil. Die Charakteristik des künftigen
Heils schlägt sich jedoch nicht im Inhalt der Mahnungen nieder.
In einer soteriologischen Engführung ist das Heil streng auf
das Bestehen im Endgericht bezogen. Es wird nicht reflektiert,
daß das Tun des Gesetzes das eschat. Heil zeichenhaft in dieser
Welt verwirklichen kann.

Ein grundsätzlicher Quietismus kann für die Apk nicht behauptet
werden, da die Detcrminierung durch Gott nicht der
ethischen Eigenverantwortlichkeil des Menschen widerspricht.
Eine Unterscheidung von aktivistischen und quictislischcn Tendenzen
ist nur im Blick auf die Beteiligung der Gerechten am
Endgeschehen möglich.

Da sich ein eschat. motivierter ethischer Rigorismus in den
Apokalypsen nicht nachweisen läßt, ist das Spezifikum der
Ethik nicht auf der Tatebenc, sondern auf der Motivations
ebene, also in der eschat. Motivierung zu suchen.

Die Frage nach dem Verhältnis von Ethik und Eschatologie
in der Apk entfaltet sich auch als historisch-soziologisches Problem
hinsichtlich des sozialen Subjekts und des historischen
Kontextes der apokalyptischen Bewegung. In § 8 („Die Apoka
lyptik als historische Bewegung", S. 305-345) geht es daher um
die soziologische Ortung der Apokalyptikergruppen.

Der Inhalt der Mahnungen, vor allem die sozialen Bezüge
und die Stellung zum Kult, ferner das Traditionsprinzip apokalyptischer
Schriften, zeigen, daß die Apokalyptikergruppen,
zu denen auch dissidente Priester gestoßen sind, in den unte
ren Volksschichten gesucht werden müssen. Die Binnenstruktur
dieser Kreise läßt sich nur schwer erhellen. Institutionalisierte
Funktionen, die über das Tradieren von Apokalypsen hinaus
gehen, treten nicht in den Blick. Die Abgrenzung von anderen
frühjüdischen Gruppen beruht daher stärker auf der Legitimation
als auf der Institutionalisierung dieser Kreise. Vor allem
das auf Offenbarung begründete Gesetzesverständnis bewirkt
die notwendige Innenkohäsion der Apokalyptikergruppen. Die
für die Apokalypsen charakteristische Verknüpfung von Ethik
und Eschatologie legt nahe, diese Kreise von anderen Gruppierungen
des Frühjudentums zu unterscheiden. Die Apokalyp-
tiker können folglich weder als „die Stillen im Lande" noch
als periphere Erscheinung anderer Gruppen (Essener, Pharisäer
, Zeloten) angesehen werden. Ihre Bedeutung für die Geschichte
des Frühjudentums liegt vorab in der Produktion und
Tradition von Apokalypsen.

„Aspekte der Beziehungen von Ethik und Eschatologie in
den paulinischen Briefen" (§ 9, S. 346-395) werden abschlie
ßend dargestellt. Im Blick auf die engen Beziehungen von
Ethik und Eschatologie in der Apk ist bei Paulus das Spezifi
kum nicht im „Daß", sondern im „Wie" der Verknüpfung von
Ethik und Eschatologie zu sehen. Auf Grund der Christologie
gibt es bei Paulus die für die Apk typische Intcrdcpendcnz von
Ethik und Eschatologie nicht. Die Verschränkung von christo-
logisch begründeten präsentischen und futurischen Hcilsaus
sagen verlangt nach ethischer Entsprechung in der Gegenwart,
da das bereits geschenkte und für die Zukunft erwartete Heil
kein unverlierbarer Besitz ist. Die Eschatologie dient daher