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1978

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Systematische Theologie: Allgemeines

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449

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 6

450

Jörg Rothcrmundts Monographie, durch Schuld des Rezensenten
erst jetzt hier besprochen, verdient alle Beachtung. Mit
I. A. Dorner nimmt Vf. sich einer für die Theologie des 19. Jhs.
besonders repräsentativen Gestalt an und vermag deren Programm
in Ansatz und Durchführung anschaulich und eindrucksvoll
darzustellen. Es ist eine andere Frage, wieweit er
damit auch zur Klärung heutiger Methodenfragen etwas beiträgt
.

Ehe ich auf das Buch in Kürze eingehe, verweise ich auf die
besonders gelungene Skizze in der Einleitung, in der Vf. die
Beurteilung Dorners und der Vermittlungstheologie in der
Theologiegeschichtsschreibung seit der Mitte des Jahrhunderts
bis heute schildert: ein Kabinettstück der Forschungsgeschichte,
meine ich. Dorner und die anderen Vermittlungstheologen fallen
unter das Urteil der Konfessionellen (Kahnis, der Erlanger
Frank, Rocholl, Eiert, Holte), der Liberalen (Carl Schwarz,
Nippold, Landerer, Pfleiderer, Kattenbusch, Troeltsch und
E. Hirsch - der Wiener Gustav Frank wird nur am Rande erwähnt
[S. 31]'); und schließlich einer mittleren Gruppe, zu
denen M. Kahler, R. Seeberg und K. Barth gehören sollen. Ich
würde Holte mit seiner Monographie2 eher zu den zuletzt Genannten
rechnen; auch sonst mag man über die Gruppierung
diskutieren; dabei hat R. auch verdeutlicht, wie es kommen
konnte, daß Dorner und seine ganze Gruppe so in Verschollen-
heit geriet.

Was Dorners eigene Position angeht, so schildert sie der Vf.
in zwei Durchgängen und geht dabei, nicht immer zum Vorteil
der Sache, von dem erst 1879/81, also viel zu spät gedruckten
„System der christlichen Glaubenslehre" aus, in dem man doch
wohl die eigentliche Antwort auf die Glaubenslehre von
D. Fr. Strauß (1840/41) zu erblicken hat. - Zunächst wird
Dorners Dogmatik als Glaubenslehre rekapituliert. Der Glaube
wird als Erfahrung expliziert. Das Verhältnis zur Hl. Schrift
wird erörtert. Individueller und kirchlicher Glaube werden einander
zugeordnet. Schließlich wird der Glaube in seinem Verhältnis
zur Wissenschaft untersucht. Immer wird dabei Dorners
Nähe zu den reformatorischen Lehren in Anspruch genommen
und betont. In einem zweiten Durchgang wird dann seine
Dogmatik als System analysiert, und zwar anhand von vier
leitenden Begriffen, die Dorner dem Denken seines Jahrhunderts
entnommen und der Theologie dienstbar gemacht hat:
Notwendigkeit, Entwicklung, Organismus und personales Gegenüber
.

Im ganzen betrachtet Vf. Dorners Umgang mit diesen Leitideen
seiner Zeit als haltbar und legitim. Was er ihm abspricht,
ist das Bewußtsein für die geistige Krise seines Jahrhunderts.
Gewiß, wer den Briefwechsel zwischen Martcnsen und Dorner
liest, sieht sich in eine recht friedliche Welt versetzt. Bei dem
jungen Dorner klingt es nicht ganz so friedlich. Ich zitiere nur
einige Sätze aus dem Vorwort zur ersten Publikation Dorners,
an dem auch R. nicht vorübergegangen ist (S. 125): „Es ist
erfreulich zu sehen, wie in dem langen Kampf zwischen
Christenthum und Vernunft allmälig immer allgemeiner und
heller der Punkt zum Bewufjtseyn kommt, um den es sich vor
allem handelt, wenn der Streit zur Entscheidung kommen soll.
Alle Streitkräfte der beiderseitigen Parteien versammeln sich
immer mehr um die Person Christi, als um den Mittelpunkt,
wo sich die Sache entscheiden müsse: und damit ist gewifj zur
Versöhnung des harten Streites viel gewonnen. . . Darum ist es
für beide Theile gut, wenn in der großen Schlacht, die zwischen
den größten Mächten der Welt, dem Christenthum und der Vernunft
geschlagen wird, der Kampf sich immer mehr um den
Punkt versammelt, wo allein alles zu gewinnen und alles zu
verlieren steht.'3

Rothcrmundts Darstellung ist mir doch um eine Nuance zu
friedlieh. Das mindert nicht den Wert der vielen Details, aus
denen ich hervorhebe, was Vf. als den Hiatus zwischen Dorners
Ansatz und den jeweiligen Notwendigkeiten der Apologetik
,1(v.(>ichnet; mehr noch die Ausführungen über Dorners bekannteste
, wenn auch kaum nachvollziehbare These von Jesus
Christus als dem Zentralindividuum, womit Dorner dem Angriff
seines Landsmannes und Repctentenkollegen Strauß entgegentreten
wollte: wenn die Idee es nicht liebt, ihre Fülle Hl

ein Individuum auszuschütten, muß eben die Person Jesu
Christi über das Maß des Einzelindividuums hinaus erhöht
werden.

Worauf es R. ankommt, zeigt sein Schlußurteil: „Auch heute
muß die Theologie, wenn sie den universalen Charakter des
Glaubens nicht verleugnen will, eine sachgemäße Synthese von
Glauben und Vernunft, von Theologie und Philosophie anstreben
. Für Dorner war das Verständnis der Wirklichkeit
durch das idealistische Denken gegeben und er sah seine
Arbeit in unmittelbarer Kontinuität mit der kirchlichen Tradition
. Der Idealismus ist zerbrochen, unser Verhältnis zur kirchlichen
Tradition ist dialektisch geworden, aber die Aufgabe
einer Synthese von Personalismus und Ontologie bleibt"
(S. 246). Es muß der heutigen Diskussion überlassen bleiben,
ob wir wirklich auf diesem Wege Theologie und Glaubenserkenntnis
begründen können. Aber damit ist dem Verdienstlichen
dieser Monographie nichts abgebrochen.

Bad Homburg Karl Gerhard Steck

1 Vgl. Gust. frank, Gesch. d. protest. Theologie Vierler Teil: Die Theologie
des 19. Jahrh., a. d. Nachl. hg. v. Gg. Loesche Lpzg. 1905 S. 297: .Die Konfessionellen
versahen sich indes von der durch ihn (sc. T. A. Dorner) angekündigten
Verjüngung nicht viel Gutes, als sie seine Lobrede auf Bunseni kerndeutsche
Gesinnung vernahmen und seine Warnung vor dem mit neo-luthet-isehen
Theorien angefüllten trojanischen Pferde. Vilmar nannte ihn rhetorikotaton.
Seine schwäbischen Landfleute, deren sporadische Freude an der Formula Con-
cordiae und Luthardts Kirchenzeitung ihm wenig erfreulich war. stellten Beck
wgen des größeren realen Tdeenverlages über ihn. Die Hegelianer warfen ihm
affektiertes Schöntun mit der Kirche und unwahres Schöntun mit der Wissenschaft
vor: vor theologischer Prüderie komme er nicht dazu, sich mit qanzem.
vollem Herzen der Philosophie hinzugeben, so viel er sich auch äußerlich von
ihr angeeignet habe und so wenig er mit Respektbezeugungen gegen sie sparsam
sei. Die Katholiken spotteten: mit dem von Dorner so selbstbcwufit#ver-
heifienen Siege der Theologie der Konsensusunion werde für die protestantische
Theologie das Millennium anbrechen, und Strauß im Verein mit allen
starken Geistern sich noch dazu verstehen müssen, aus Dorners Hand gemütlich
Stroh zu fressen."

2 Vgl. Ragnar Holte, Die Vermittlungstheologie. Ihre theolog. Grundbegriffe
kritisch untersucht. Uppsala 1965 212 S.; dazu meine Besprechung in der Theol.
Revue 65, 1969. 57-60.

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Stuttgart 1839 555 S. Aus dem Vprwort S. XI f.

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Dore, Joseph: La resurrection de Jesus ä l'epreuvc du discours
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Dürig, Walter: Ist die Inschrift des Magus-Epitaphs d'c früheste
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Dumas. Andre: La predication de Jesus-Christ (RechSR 65, 1977
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Fischer, Balthasar: „Realisieren", was Eucharistie ist. Hilfen
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