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Ausgabe:

1978

Spalte:

445-447

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ricoeur, Paul

Titel/Untertitel:

Metapher 1978

Rezensent:

Hertzsch, Klaus-Peter

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445

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 6

44G

daß dieser Streit nicht nur - wie bisher aus den Pressefehden
erkennbar - die Führer der beteiligten Arbeiterorganisationen
wie der politischen Organisationen des deutschen Katholizismus
(Zentrum, Volksvercin für das katholische Deutschland)
beschäftigte, sondern auch unter den deutschen Bischöfen zu
langwierigen und verbissen geführten Differenzen Anlaß gab.
Besonders waren daran diejenigen von ihnen beteiligt, in deren
Sprengel die grofjcn Industriercvicre fielen, der Erzbischof von
Köln einerseits und der Fürstbischof von Breslau wie der
Bischof von Trier andererseits. Dem Vf. geht es darum, zu
zeigen, daß der deutsche Episkopat und Papst Pius X. bzw.
seine Ratgeber maßgeblichen Anteil hatten, (vgl. S. 438)
Der in diesem Zusammenhang erfolgte Briefwechsel sowohl
der Bischöfe untereinander als auch mit der Kurie und mit
Politikern, die verschiedenen Bemühungen um Beilegung des
Streits, die dabei zutage tretenden grundlegenden und speziellen
Interessen der verschiedenen Seiten, das alles ist Gegenstand
der vom Vf. vorgenommenen Auswertung. Zu wünschen
ist, daß die Arbeit in Zukunft auch auf die in Rom liegenden,
noch nicht zugänglichen Akten (vgl. S. 7) ausgedehnt werden
kann und darüber hinaus auch in der DDR befindliches Archiv-
matcrial Berücksichtigung findet. (Zu letzterem vgl. die Hinweise
in dem Sammelwerk „Die bürgerlichen Parteien in
Deutschland", Leipzig 1968 und 1970, zu den Artikeln „Gesamtverband
der christlichen Gewerkschaften Deutschlands",
„Katholische Arbeitervereine", „Volksverein für das katholische
Deutschland".)

Bracks Arbeit stellt einen wichtigen Schritt in Richtung auf
eine umfassende Darstellung des Gewerkschaftsstreites dar,
und auch der von anderen Wertungen ausgehende Historiker
wird ihm für die geleistete Arbeit dankbar sein, weil sie die
erschlossenen Quellen in übersichtlicher Form aufbereitet und
in Zusammenhang bringt. Damit sind jedoch auch die Grenzen
dieser - im großen und ganzen - beschreibenden Darstellung
bezeichnet, die sich hauptsächlich auf den immanenten Verlauf
der Auseinandersetzungen konzentriert. Die weitere Erarbeitung
des Stoffes müßte nach Auffassung des Rezensenten freilich
auch die in dem behandelten Zeitraum stattfindenden konkreten
Klassenauseinandersetzungen mitbcrücksichtigcn und
sich der Frage stellen, wieweit z. B. das Ausscheiden des Zentrums
aus der Regierung (1907-1909), sein Wiedereintritt, der
Erfolg der SPD bei den Rcichstagswahlen von 1912, der Ruhrstreik
oder das Vordringen des Revisionismus innerhalb der
SPD die Haltung der am Gewerkschaftsstreit Beteiligten zumindest
in den Nuancierungen mitbestimmt haben. Wenngleich
hier möglicherweise manches im Bereich der Vermutung wird
verbleiben müssen, würde doch diese Fragestellung dazu beitragen
, die bisweilen etwas zu sehr auf die Einzclpcrsönlich-
keit und ihr Verhalten gerichtete Darstellung zu korrigieren.
Dieser vor allem auf die weitere Forschung gerichtete Hinweis
soll indes den oben herausgestellten Wert des Buches nicht
schmälern.

Schöncichc bei Berlin Hans Jürgen Gabriel

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

K'cocur, Paul, u. Eberhard Jüngcl: Metapher. Zur Hermeneutik
religiöser Sprache. Mit einer Einführung v. P. Giscl.
München: Kaiser (1974). 122 S. gr. 8° = Evangelische Theo-
!ogie, Sonderheft. DM 19,50.

Ein Sonderheft der Zeitschrift „Evangelische Theologie"
br'ngt unter dem Gesamttitcl „Metapher" vier Aufsätze. Zunächst
scheint das Heft ganz dem Denken und Werk Paul
Ricocurs gewidmet zu sein; denn Pierre Gisel gibt eine „Einführung
in sein Denken", dem zwei Aufsätze von Ricoeur
selber folgen: „Philosophische und theologische Hermeneutik"
u"d „Stellung und Funktion der Metapher in der biblischen
Sprache". Aber dann bildet ein Aufsalz von Eberhard Jüngcl

den Abschluß, der sich nicht mit Paul Ricoeur beschäftigt, auch
wenn er die Formulierung seines Themas von ihm übernimmt:
„Metaphorische Wahrheit", sondern der „theologische Erwägungen
zur Relevanz der Metapher" enthält. Man könnte also
sagen: die Abfolge in diesem Heft hat eine Trichterform,
indem sie aus der Weite einer philosophischen Gesamtkonzeption
über grundsätzliche Erwägungen zur Hermeneutik zur
Einzclfragc der Metapher engführt. Man könnte aber auch
sagen: sie kommt auf etwas umständlichem Wege schließlich
doch zu ihrem Thema.

Moderne Sprach-Theorie sieht die Metapher nicht mehr als
ein sprachliches Grenzphänomen, sondern als einen Grundvor
gang der Sprache. Davon redet Ricoeur ebenso wie Jüngcl. Der
eine erscheint mehr als theologisch versierter Philosoph, der
von Husscrl herkommt und sich mit linguistischer Struktur
und Frcud'schcr Psychoanalyse beschäftigt hat, der andere
mehr als philosophisch versierter Theologe, der sich in geistesgeschichtlichem
Rückblick mit Nietzsches Sprachkritik und der
Rhetorik des Aristoteles auseinandersetzt. Aber beide wollen
dasselbe deutlich machen: Die Metapher ist nicht nur ein
„Tropos der Rhetorik", ein Schmuck der Rede; ihre Aussage ist
nicht nur dann wahr, wenn sie sich in die verba propria, in die
„eigentliche", bildlose Rede zurückübersetzen läßt. Die
Metapher ist vielmehr „jene Strategie der Rede, durch die sich
die Sprache ihrer gewöhnlichen Funktion entledigt, um der
außerordentlichen Funktion zu dienen". Die Metapher ist in
der Lage, sprachlich neue Dimensionen der Wirklichkeit zu
eröffnen, einen „sekundären Verweisungsbezug", wie Ricoeur
sagt: sie verweist auf unsern Bezug zur „Lebenswclt" (Husscrl
), erhellt unser „In der Welt Sein" (Heidegger). Neue Mög
lichkeiten, in der Welt zu sein, bisher unbekannte und darum
unbenannte, werden eröffnet.

Diese Möglichkeit hat ihre philosophischen, vor allem
sprachphilosophischen Grundlagen, auf die beide eingehen,
besonders aber Ricoeur; denn für ihn ist Verstehen ein Hervorbringen
, und Umsetzung in Sprache ist für ihn ein schöpferischer
Akt, in dem die Dimension des Möglichen aufgetan
wird. Diese Erkenntnis hat dann natürlich ihre Konsequenzen
für die religiöse Sprache, speziell für die Sprache des christlichen
Glaubens, auf die beide eingehen, besonders aber Jüngcl
: denn er weist darauf hin, daß religiöse Rede der Wirklich
keit immer ein „Mehr an Sein zuspricht": Sein, von dem der
christliche Glaube redet, erschöpft sich nicht in dem, was wirklich
ist. Aber „wer von einem Wirklichen etwas aussagt, was
dieses wirklich nicht ist, muß nicht ein Lügner sein, wenn er
metaphorisch redet". Dabei ist zugleich entscheidend, daß
metaphorische Rede ihrem Wesen nach ansprechende Rede ist,
Anrede. Die Sprache des christlichen Glaubens ist darum ganz.
und gar metaphorische Rede: denn in ihr kommt der Gott, der
zur Welt kommt, auch zur Sprache, und diese Aussage ist ihrem
Wesen nach eine Anrede. Es zeigt sich jedenfalls auf diesen
120 Seiten, daß mit dem Thema „Metapher" eine Fülle ontolo-
gischcr, anthropologischer und theologischer Probleme und Erkenntnisse
angesprochen wird.

Trotzdem hat zumindest mich als Praktischen Theologen die
letzte von Eberhard Jüngels Thesen eher erschreckt, mit denen
er den Ertrag seiner Überlegungen zusammenfaßt: „Die Ausarbeitung
einer theologischen Metaphorologie ist sowohl für
die Dogmatik als auch für die Praktische Theologie ein drängendes
Desiderat." Denn ich meine, die Metapher sollte nicht
zum Gegenstand einer neuen theologischen SpezialWissenschaft
werden, sondern all die vorhandenen theologischen Spezial-
wissenschaften sollten sich des metaphorischen Charakters
ihres Denkens und ihrer Sprache je an ihrem Ort bewußt
werden, damit sie offen bleiben oder wieder offen werden für
die „Unendlichkeit des Lebens und der Deutungen" (Ricoeur).
Denn vor all den sublimen Begründungen, die Jüngel und
Ricoeur geben, scheint mir hier die wichtigste Ursache für den
metaphorischen Charakter all unseres Redens zu liegen: daß
das Leben immer reicher ist als der Begriff und daß die ganz
einmalige Erfahrung des Dcus pro me keine Sprache hat wenn
nicht die des Gleichnisses. Deshalb wäre mein Desiderat nicht
eine Anzahl versierter Melaphorologen, sondern es wären