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Ausgabe:

1978

Spalte:

434-435

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Fichtenau, Heinrich

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Mediävistik, Ausgewählte Aufsätze, II: Urkundenforschung 1978

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literattirzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 6

434

Der Mehrschichtigkeit des Unternehmens ist sich der Vf. be- KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

wüßt: seine umsichtigen methodologischen Abgrenzungen in

der Einleitung - eingeplante Beiträge zur Textgeschichte wer- Ficht Heinrich: Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte

den eigens dargeboten (S. 199 ffO. ohne daß _die Studie ein Aufsatze Urkundcnforschung. Stuttgart: Hiersemann

ntcht intendiertes Schwergewicht bekommen wurde - zentrie- ig7? 2g4 g go Lw QM gg _
ren die Analyse der patristischen Texte auf die brennenden

Fragen nach der ekklcsiologischcn Normativität des Anfangs, Band I der Beiträge des Wiener Historikers wurde in ThLZ
Kontinuität in den verschiedenen institutionellen Phasen der 101, 1976 Sp. 938-940 besprochen. Auch Band II über Urkunden-
Kirchengeschichte, Apostelgeschichte in den genannten Stellen forschung bietet dem Theologen manche Anregung. Das Vorais
Ansporn zur Erneuerung, Reform, Utopie usw. In fünf Wort verweist auf den doppelten Sinn des Begriffs Urkunden-
Kapiteln werden gesondert behandelt: Das 3. Jh. bei den forschung: Erforschung der Urkunde und historische Forschung
Griechen (Schwergewicht auf Origencs) und bei den Lateinern rrdt Hilfe von Urkunden. Fichtenau würdigt die Leistungen der
(Cyprian), das 4. Jh. bei den Griechen (Eusebius, Basilios, speziellen Diplomatiker, die es nur mit Urkunden zu tun ha-
Chrysostomos) und bei den Lateinern (Hilarius, Ambrosius, bcn. Doch erstrebt F. den Zusammenhang der Urkunden mit
Hieronymus, Augustinus), und schließlich die monastischen Ge- den verschiedenen historischen Disziplinen. Aufsatz 1 .Zur
meinschaften. Die Arbeitshypothesen, die dem Vf. bei seiner LagC der Diplomatik in Österreich" geht auf die Geschichte
Studie vorschweben: unbedingte patristische Haltung der Wie- dieses Forschungszweiges ein: Einst war »der Typus des Einderherstellung
einer heilen Zeit des Anfangs - als Rückkehr in zclgängers der Normalfall: Ein Archivbeamter, der durch Jahr-
den paradiesischen Zustand oder sonstwie thematisiert - oder zehnte an dem Urkundenbuch seines Landes arbeitete.. ."(3).
praxeologische, prophetische, in der Kontinuität mit der Urkundenforschung im engeren Sinne der Diplomatik erschien
atl. Prophetie bedingte Haltung bei der Auslegung der Texte als „fester Boden, während in der traditionell betriebenen
über die Gemeinde von Jerusalem? Die Namen Eliadc, Cull- Historie alles schwankte" (6). Heute hat die spezielle Urkun-
mann, Ladner ... markieren die jeweilige Umkreisung der denforschung einen „gewissen Perfektionismus" erreicht (9).
Studie, die unter solchen Voraussetzungen angefaßt, auch zu ncuc Wege bieten sich an: Man kann den Kanzlcibrauch
einer umfangreichen Untersuchung des christlichen Zeitgefühls studieren, man kann „Urkundcnlandschaften" erheben,- man
in der alten Kirche wird. sollte die vielfältige Aussagekraft der Urkunden beachten: Es
Die Ergebnisse, beim Übermaß des untersuchten Materials, gibt auch „einen religiösen, moralischen, politischen Inhalt der
fallen sehr differenziert aus Einige Konstanten seien hervor- Urkunden neben dem rechtlichen..." (15). Ein Fachmann der
gehoben, Tertullian und Irenäus als Verfechter und Anreger Liturgicgeschichte könnte Parallelen finden, für die Ccder
Kontinuität; Gefühl der Vcrweltlichung in der Kirche - schichte der christlichen Religiosität ja selbst der Theolog.c
sehr verbreitet, und ekklesiologisch unterschiedlich eingefan- bieten sich hier ergänzende Quellen m- (IQ. Aufsatz 2
9en: Verinnerlichung (Origcnes. monastische Theologie); „Monarchische Propaganda in Urkunden (18-36) untersucht
innerkirchliche, rigoristische Zuwendung zur Reinheit der Herrscherurkunden in Byzanz und im Abendland; monar-
apostolischen Kirchenrealität (Cyprian) -. Beide Typen (die chische Propaganda wurde teils ™t gleichen, teils aber auch
origenistische und die cyprianische Lösung des Problems) wie- „mit grundsätzlich verschiedenen Mitteln betrieben (23) Dabei
derholen sien in unzähligen Variationen im Laufe der Jahr- spielt eine „an die Liturgie gemahnende Feierlichkeit der
hunderte (S. 192). Das Kommunitarischc und das Individua- Diktion" eine Ro le. Schreibgewandte Chronisten hatten beim
listische, als Grundlage der Rückführung zur apostolischen Schreiben von Urkunden große Muhe (33) Theologisches Ma-
Reinheit, werden aber auch je anders gehandhabt nach der terial bietet auch Aufsatz 3 Zur^ Geschichte. der m^at.onen
jeweiligen sozialpolitischen Lage der Kirche: Eusebius sieht in und Devofonsformeln (S 37-61) Die Forme in nomine
der „renovatio imperii" sogar die eschatologische Dimension sanetae et mdividuae trinitat.s ist ebenso geläufig wie die
mitgegeben; beim konsolidierten Monachat, unter Distanzie- Formel „in nomine patr.s et f Uli et sp.r.tus sancü . Nun geht
r„.,~ ■ j L „„uHcrhrn Establishment F. der Frage nach, inwieweit Änderungen dieser geläufigen
rung von einer Kirche, die mit dem politiscncn wbbiwii—» = .... . . „ „ ,

Paktiert Akzentuieruna der cngclgleichen". paradiesischen Invokationsformeln jeweils einem aktuellen Konzept entsprächet
. Akzentu c ung der :cn9c'9,c „„bellen wie die chen. Er kommt zu dem Ergebnis: Die Invokationsformcl hatte
Valenzen der ind vidue en Frömmigkeit - Kcoencn wie uu =

r>„ * , t. .„ TSclinr, Aussöhnung „zeitweise einen konkreten theologisch-politischen Sinn", den

Donatisten verpönen die monastische Losung -. missonnuny °- *. . ,,

i , ■ . , , • , r- j i. u„: Ann -msarwoaenen man nicht ubersehen sollte. „Schlimm wäre es jedoch, allem

zwischen beiden Möglichkeiten findet bei den ausgewogenen ,__

uciun. i uhiriii«: mttps die den- und jedem einen solchen Sinn unterlegen zu wollen (48). Der

Klassikern statt, be enen Bischofen des Volkes Gottes aic cu.ii _ " . . , . ,. „ . , ... , ' ,

, . .. . . , , m i trtt ,.,,,.„„. R icilios Devolionsformel „dei gratia wird naher nachgegangen. Von

noch ursprüng ch dem Monachat verpflichtet waren, uasmos, __. » » m m

Chrysostomos Aucmstim.s - letzterer Kirche liebend, aber auch Paulus her dringt sie in altkirchhehe Konzilsbesthlusse cm;

rysostomos, Augustinus letzterer iuto ,. h der Streit um Pclagius gab ihr im 5. Jh. größere Bedeutung:

Kirche ank agend und re at vicrend in seiner guindiosen esena „, . „. . , .. _ .. . . u . . .

t„i • ? a . " . , -^„„nrt Hin aleich- „Wenn ein Bischof dieser Zeit seiner Amtsbezeichnung ein dei

alogischen Perspektive . Genannte Aussohnun^ , ° C ^ ch- gratia' hinzufügte, bewies er damit, daß er die richtige theolo-

zeitig die seitdem etablierte Unterscheid««T»**"> «h* Ansicht (s 52/53). Dje byzantinischen Ka.ser ver-

tem Kirchenvolk und Mönchen stiftet („1 umCO «JJ»^ ^cndctcn djcsc Forme J*. ^ ware„ aus Gotr (54). Abend.

distinzione sta nel celibato". S. 197). .St abe au ^ n ,andischc Hcrl,chcr verwcndctcn die Formel bald im Sinne

«werten, so der Rezensent, wie wenig offene MoghdiKe LcgitirnationsansprUcheS; die Linie wird bis zur Krönung

tu a"tiken ^JZ, Verfugung Stenden,^STSL Elisabeths II. 1953 durchgezogen (61).

"olle Kirche prophetisch oder sonstwie zu mob,In dic bairische Frühgeschichte führt Aufsatz 4 „Die Urkun-

«« geneigt, dem Vf. eine Resignat.onsgeste be. dei bi dcn „erzog Tassilos III. und der'Stiftbrief'von Kremsmünster"

Bemerkung seiner Studie anzumerken: Die Spannung z • (62-99). Aufsatz 5 „Genesius, Notar Karls d. Gr. (797-803)"

Treue zum Vergangenen und schöpferischer Erneuerung sei wo- asA, daß dieser Notar „manches kaiserlicher zu gestalten

möglich auch phänomenologisch mit dem Islam zu paralle l- sucJltc» (113) Doch hielt er sich weithin an den alten Bestand

s'eren. Das vielleicht vom Vf. intendierte Prozessuale, Praxco- jn Übereinstimmung mit dem Regierungskonzept Karls" (114).

lo9ischc Utopische oder wie man es bezeichnen will, das ver- Aufsatz 6 „Archive der Karolingerzeit" führt zu dem Ergebnis:

heimlich un Beispiel der Gemeinde von Jerusalem zünden ,Was das Archivwesen betrifft, brachte die Karolingerzeit einen

könnte ist iiisaeblieben Bei der Konfrontation mit diesen Aufstieg und einen Abstieg zugleich. Bis dahin im städtischen

ProW ' , „■ u „ihn min nicht übersehen, daß Romanentum lebendige Traditionen gingen zu Ende, und die

Ablernen der alten Kirche sollte man n ch über kirchlichen Archive waren es. die neben dem kurze Zeit blü-

s'ch hfl Abendland erst im 18. Jh. "^V* * i'^rjen- henden Palastarchiv die Aufgabe besorgten, das Vergangene

^olutionistisches, mit der Zeit dialckt.sch operierendes uc ^ weiterzugeben' (125). Der Aufsatz „Rhetorische

ke" (zuallererst in der Biologie) leise zu Wort meldet. Elemente in der ottonisch-salischen Herrscherurkundc" (126-56)

Bamberg Ignacio Escribano-Alberca erörtert primär Herrscherurkunden des 10. und Uu Jhs. Doch