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Ausgabe:

1978

Spalte:

429-430

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Räisänen, Heikki

Titel/Untertitel:

Das Messiasgeheimnis im Markusevangelium 1978

Rezensent:

Kähler, Christoph

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 6

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testantischen Kommentare fast 50 Jahre alt. Die katholische siert). Dazu kommen traditionelle Einzelzüge, wie der Rückzug
Exegese hat nach dem Urteil von B. nicht schon mit Sickenber- aus der Öffentlichkeit 7, 24b u. a. - Diese „widersprüchlichen
ger, sondern erst mit Wikenhauser endgültig den Anschluß an Traditionen" sind durch den „unsystematischen Charakter der
die wissenschaftliche Apokalypsen-Auslegung der Protestanten markinischen Redaktionsarbeit" nicht gegeneinander ausge-
gefunden (S. 21); aber auch dessen Werk ist von seiner Anlage glichen und zu einem Ganzen geformt worden (167).
her kein großer wissenschaftlicher Kommentar, der der For- Während Züge einer theologia crucis im MkEv lediglich
schung neue Wege weist. Das eigenwillige Werk von Kraft traditionell sind (141, etwas anders 164) und nicht mit dem
schließlich repräsentiert gewiß nicht ohne weiteres die gegen- Geheimnismotiv zusammenhängen (164), trifft für das eigent-
wärtig allgemein akzeptierte Forschungssituation. Bei dem liehe Messiasgeheimnis (Schweigegebote an Jünger und Dä-
Verfahren, wie es der Vf. in diesem Teil seiner Arbeit anwen- monen) eine offenbarungsgeschichtliche Deutung noch am
det, bleibt der gesamte Ertrag der Forschung zur Apokalypse, ehesten zu: „Ein wirkliches christologisches Bekenntnis ist erst
wie er sich in Monographien und Aufsätzen niedergeschlagen möglich in der neuen Situation, die durch Tod und Aufhat
, auf der Strecke; er aber ist der gegenwärtig wichtige. Dem erstehung Jesu geschaffen wurde - in der Situation, in der
hilft auch nicht die summarische Nennung von Namen und Jesus als der erhöhte Herr wirkt" (166).

Themen auf, die S. 23f. geboten wird; und auch nicht die So viele kritische Fragen R. der neueren Forschung stellt -

„Stellungnahme", mit der B. jeden der zwölf Abschnitte ab- und hier liegt wohl die Bedeutung des Werkes -, so viele

schlie5t, in denen er die Kommentarmeinungen darbietet. In Fragen läf)t er selbst offen bzw. weckt sie erst:

diesen Stellungnahmen wird nur die von B. bevorzugte Pro- Seltsam wirkt der als Prinzip ausgegebene Grundsatz, wo-

blemlösung der Kommentare sichtbar. Es fragt sich aber über- nach markinische Sprachgarnitur nicht in jedem Fall auf sach-

haupt, ob eine derartige Auswahl, wie B. sie vornimmt, sehr ijcne Interessen des Redaktors weisen soll, sondern zumeist

sinnvoll ist. Es wäre instruktiver gewesen, die jeweilige inter- Vorgegebenes in eigenen Worten wiederholt, ohne tiefere Ab-

pretatorische Grundlage der Kommentare aufzudecken und sichten erkennen zu lassen (58f.). Seine Schärfe gewinnt dieser

dann vielleicht an einigen derartigen Einzclpunkten in ihrer Grundsatz, im Zusammenhang mit einer anderen Erscheinung:

Bedeutung nachzuweisen. Auf die Weise, wie hier vorgegan- r kennt und berücksichtigt das Phänomen nicht, daf) Tradition

gen wird, entsteht zu leicht der Eindruck, als sei Exegese ein zitiert wird, um die eigene Position (des Redaktors) zu mar-

Vorgang, der einzelne Richtigkeiten zu finden habe. kieren. Nach R. scheint die Tradition (auch die umformuliertc)

Die abschließende Bibliographie ist ,-weifcllos nützlich. Sie den Absichten und Interessen des Redaktors gegenüber wesent-

bietet 500 Titel, die der Vf. aus mehr als 1500 von ihm erfafj- Ucfl fremd zu sein.

ten ausgewählt hat. Natürlich kann man über die Auswahl Zugleich scheint R. von Kompositionsanalysen nicht viel zu

rechten; ich bedaure das völlige Ausscheiden der gesamten halten (16f.), d.h. er betreibt im wesentlichen Perikopen-

textkritischen und textgeschichtlichen Arbeit, so daß z. B. exegese. Damit ist die - unter Allegorieverdacht stehende -

J. Schmid in der Bibliographie nicht erscheint (vgl. aber S. 18!). Erhebung kerygmatischer Intentionen schon von der Methode

Doch wird man es in einem solchen Falle schwerlich jedem her abgewiesen, insoweit sie von Kontextanalysen abhängt,

recht machen können. Besonders prekär wird das bei Mk 8, 22-26, wo die symbolische
Deutung der Blindenhcilung nicht zutreffen soll; einen

Halle (Saale) Traugott Holtz redaktionel]en Bezug auf 8, 27ff. schließt R. auch aus. Die

symbolische Blindheit von 8, 18 (!) aber bleibt außerhalb der
Diskussion (126f.). - Ähnlich wird für Mt 9, 27-31 eine vormt

Räisänen, Heikki: Das „Messiasgeheimnis" im Markusevan- ynd vormk (j) Tradition mit Schweigegebot konstruiert, ohne

gelium. Ein redaktionskritischer Versuch. Helsinki: The zu bedenken, daß das möglicherweise aus Mk 5, 21-43 diff.

Finnish Exegetical Society 1976. 192 S. 8° = Schriften der ^ g lg 26 g'tammt

Finnischen Exegetischen Gesellschaft, 28. Die prage nach der Funktion eines Textes wie 4, loff. bzw.

Das Messiasgeheimnis soll nach R. die zufällige Anhäufung nach dem Zusammenhang von Passionsgeschichte und Schilde-
verschiedenartiger Themen und Motive sein. Die Redaktions- rung des Wirkens Jesu jeweils im Ganzen des Evangeliums
kritik gerät ihm damit zur herben Kritik an der redaktions- darf man wohl sowieso nicht an einen religiösen Propagan-
geschichtlichen Forschung und ihren Prämissen. Denn: „Mar- disten aus der lower middle-class stellen (15), der seine Stoffe
kus meint, was er sagt" (16), also sind alle 'symbolisierenden' nur mühsam zusammengeflickt hat.

und 'kerygmatisierenden' Deutungen abzuweisen. Das gilt So richtig und wichtig die Betonung des gesunden Menschen
nahezu für alle bekannten Entwürfe von Marxsen bis Schwei- Verstandes gegenüber allzu geistreichen Deutungen ist, so notier
und Kertelge bis Schreiber, wobei Schreibers höherer Tief- wendig die Markierung der hermeneutischen Differenz zwi-
sinn der ganzen Richtung angelastet wird (13). sehen Mk samt seinen Hörern/Lesern und heutigen theolo-
Dieser Ansatz wird in der Behandlung von Methoden- gischen Entwürfen sein dürfte, so verfehlt erscheint mir das
fragen (I) sowie in einem forschungsgeschichtlichen Referat (II) Verbot, in antiken (wie modernen) Texten zwischen Gesagtem
entfaltet. Die dort gewonnenen Leitfragen werden im eigent- und Gemeintem zu unterscheiden. Denn auf diese Weise wird
Uchen Korpus der Arbeit an die einzelnen exegetischen Korn- die hermeneutische Differenz insofern nicht ernstgenommen,
P'exe gestellt (III), wobei die methodischen und sachlichen als nicht in den Blick kommt, daß wir dem Verstehenshorizont
Ergebnisse schließlich nochmals kurz zusammengefaßt werden damaliger Hörer/Leser nur mühsam nachspüren können.
(W). Kurze Stellen und Autorenregister erleichtern zusammen Einige Einzelfragen könnten nun noch benannt werden. So
mit dem Literaturverzeichnis die Benutzung der Monographie. scheint es mir im Blick auf R. wie auf weitere neuere Arbeiten
Kleinere sprachliche Schnitzer und Druckfehler wird jeder zur Mk-Passion an der Zeit, daß wir zu einer vorsichtigen und
L«er ohne Schwierigkeiten erkennen und tilgen können. zurückhaltenden Konvention über den Gebrauch der Vokabel-
Sachlich ergibt die Monographie, deren Grundthesen bereits Statistik gelangen. (S. 59 fehlt bei R. Lk 4, 35 für eine solche
Mehrfach publiziert wurden (vgl. ThLZ 95, 1970 Sp. 507; Diskussion.)

ThLZ 101 1976 Sp 121-123) folgende Thesen: Das »Messias- Grundsätzlich aber wird man festhalten können, daß die
Seheimnis" stellt kein einheitliches Phänomen dar, darf auch künftige Forschung R.s kritische Fragen aufnehmen und beucht
in nur zwei Komplexe (Luz- Wundergeheimnis diff. antworten muß. Insofern wird die vorliegende Monographie
Nessiasgcheimnis) aufgeteilt werden, sondern zerfällt in vier anregend wirken. Ich bin mir aber sicher, daß die Antworten
bZW fünf Einzclthemen • Die Schweigegebote an die Jünger methodisch und sachlich erheblich über R. hinausfuhren wer-
"nd die Dämonen als eigentliches Messiasgeheimnis (Mk-R); den. Dabei wird sich die kreuzes-theologische Interpretation
d'c geheimen Heilungen als Wundergeheimnis (disparate Tra- des eigentlichen Messiasgeheimnisses wahrscheinlich besser be-
d'tion); die Parabeltheorie (unaufgearbeitete Tradition); das währen, als R. glaubt.
Jungerunverständnis (traditionelles Motiv, von Mk zunächst

b<*chrungs<,cschichtlich, dann katechetisch-paränetisch aktuah- Leipzig G.-Chnstoph Kahler