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Ausgabe:

1978

Spalte:

412-415

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Jesus und Paulus 1978

Rezensent:

Weiß, Hans-Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 6

liehe Movcns des israelitischen Glaubenslebens" angeschen werden
muß. - K.-W. T r ö g e r geht der hermeneutisch wie theologisch
entscheidenden Frage nach: „War der Evangelist Johannes
Christ oder Gnostiker?" (61-80). In kritischer Auseinandersetzung
mit der Gnosis- und Johannes-Interpretation von Bultmann
, Käsemann und besonders L. Schottroff wird der Leser
zu der überzeugenden Einsicht geführt, „daß der vierte
Evangelist das gnostische Denken von innen her durchbricht,
um Gnostikern die Christusbotschaft nahezubringen". Die
johanncischen Aussagen über Gott, Welt, Mensch, Erlöser und
Gemeinde zeigen beachtliche Differenzen zu einer rein gnosti-
schen Gesamtkonzeption, wie sie sich sowohl aus den Texten
von Nag Hammadi als auch aus den durchaus zutreffenden
Darstellungen der Kirchenväter ergibt. -W. v. Rohden entfaltet
im Rahmen einer das ganze vierte Evangelium berücksichtigenden
theologischen Interpretation „die Handlungslehre
nach Joh 13" (81-89). Die sprachlich wie gedanklich eigenwillige
Besinnung will zeigen, daß die Fußwaschung Jesu eine
auf das Wohl der Welt bedachte Jüngerkirche unter der Voraussetzung
des sakramentalen Heils impliziert. - G. S c h i 11 e
äußert sich vorwiegend thetisch zur „Leistung des Lukas in der
Apostelgeschichte", von der er mit Recht feststellt, daß sie sich
nur auf dem Hintergrund der literarkritischen Erhebung und
formalen Bestimmung des verarbeiteten Traditionsgutes erkennen
läßt (91-106). Die wichtigste Umprägung der Überlieferungen
sieht Sch. darin, daß Lukas aus ihnen mit großer
Freiheit „ein Programm für die künftige Kirche" gestaltet.
Seine ekklesiologischc Grundintention beschreibt Sch. als Ablösung
der Judenchristenheit durch die Heidenkirche, als Herauslösung
der Kirche aus dem Judentum, so daß sie einerseits
als legitime Erbin der Väterverheißungen erscheint und sich
andrerseits apologetisch an die hellenistisch-römische Öffentlichkeit
wendet, für die Paulus als klassischer Vertreter des
Christentums aufgeboten wird. - K. Weiß fragt nach „Motiv
und Ziel der Frömmigkeit des Jakobusbriefes" (107-114). Er
definiert es als „eine aus gläubiger Bindung an Gott entspringende
radikale Absage an alle Formen und Erscheinungen der
Säkularität". Um diese These zu belegen, zeichnet W. zuerst
die Grundzüge der positiven Frömmigkeit, dann die Typcn-
bildcr gottlos-weltverfallener Lebensformen des Jakobusbriefes
nach. Hinter beiden vermutet W. ein innerjüdisches Ringen um
die Wiedergewinnung der abgestorbenen Glieder des Bundesvolkes
, so daß ihm am Ende sogar Jakobus der Gerechte, der
Leiter der Jerusalemer Christengemeinde, als Verfasser möglich
erscheint. - H. Schulz legt den Arbeitsbericht eines
theologischen Studienkurses zum Thema „Eschatologie und
Ethik im Alten und Neuen Testament" vor (115-124). Herausgearbeitet
werden die Grundzüge der Eschatologie bei Deutc-
rojesaja und in der Apokalyptik. Die Ethik findet stärkere
Berücksichtigung erst im neutestamentlichen Teil, der sich auf
die Auslegung der Bergpredigt und das sachgemäße Verständnis
der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu konzentriert. - Besondere
Beachtung verdient W. U 11 m a n n s Interpretation
von „Müntzers Randbemerkungen zu Tertullian als Quelle für
das Verständnis seiner Theologie" (125-140). U. sieht in
Müntzers heilsökonomisch bezogener Lehre vom Ordo rerum
nicht nur eine wesentliche, bisher ungenügend beachtete Komponente
seines Denkens, sondern zugleich den Ausdruck seines
Ringens um ein nichtontologisches Verständnis von Schöpfung
und Geschöpf im Interesse einer christologisch-pneumatischen
Gotteslehre, das ihn sowohl von Luther wie von Erasmus
erheblich unterscheidet. Ob freilich damit wirklich, wie U.
meint, allem Rätselraten um die theologische Begründung von
Müntzers politischer Aktivität ein Ende bereitet ist, wird wohl
noch weiter untersucht werden müssen. - Unter der Überschrift
„Theologie und Philosophie der Evolution" stellt
H. Falcke eindrucksvoll „Grundaspekte der Gesellschaftslehre
Friedrich Schleiermachers" dar (141-166). F. zeigt, wie
dem Schleiermacher der „Reden" und der „Monologe" infolge
einseitiger Betonung des Principium individuationis die Vermittlung
von Subjektivität und geschichtlich-gesellschaftlicher
Wirklichkeit nicht gelingt, während die Ethik des späteren
Schleiermacher dank ihrer sehr realistischen Aspekte auf „eine

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groß angelegte Hermeneutik der sozialen Wirklichkeit" hinausläuft
, die sich bewußt zwischen Restauration und Revolution
stellt. Zugleich gelingt F. der Nachweis, daß auch der Politiker
und Sozialethiker Schleiermacher im tiefsten als der christliche
Prediger zu verstehen ist. - Im Anschluß an Äußerungen
D. Bonhoeffers und A. Schweitzers erörtert H.-H. J e n s s e n
„Probleme einer Theologie der Dankbarkeit", wie sie sich im
Horizont des ersten Artikels gerade für Christen im Raum
einer sozialistischen Gesellschaftsordnung ergeben (167-179).
J. betont die stimulierende, Aktivitäten freisetzende Funktion
rechtverstandener Dankbarkeit, die insbesondere die positiven
Seiten des modernen Lebens in Glauben und Frömmigkeit zu
integrieren vermag. - R. B 1 ü h m äußert sich zu „Verkündigung
als Wort Gottes" (181-193). Nach einer Funktionsbestim
mung der Begriffe Wort Gottes und Verkündigung werden zur
praktischen Verbindung beider drei Thesen erläutert, die um
die Übcrlieferungsgcbundenheit, die Zeitverbundenheit und
das Vertrauen des Verkündigers auf Christi Wirksamkeit in
seiner Verkündigung kreisen. Abschließend plädiert B. unter
Bezug auf die moderne Seelsorge- und Kommunikationstheoric
für die Aufnahme des emotionalen Bereiches durch den Prediger
. - K.-H. Kandier steuert eine dogmcngeschichtlichc und
exegetische Untersuchung zum Sinn der Rede vom Brotbrechen
in der Abendmahlstradition bei (195-203). Sie gelangt zu dem
überzeugenden Ergebnis, daß die altlutherische Auffassung,
daß es sich beim Brotbrechen um ein Adiaphoron handelt,
durch die moderne Exegese bestätigt wird, insofern diese
(gegen Jeremias, Otto und Tillich) in ihm nicht mehr als einen
Teil des Aktes der Austeilung sehen kann. - Unter den Leit-
gesichtspunkten von „Zcitökonomic" und „Lernzielorientierung"
nimmt G. Kehnscherper eine zur Diskussion heraus
fordernde Rückfrage an die herkömmliche Gestalt des Konfirmandenunterrichts
vor (205-223). Ihr wird eine Neukonzeption
entgegengestellt, die sich einerseits an den altkirchlichcn
Grundelementcn von Didache, Koinonia, Martyria und Diakonia
orientiert und die andrerseits die Form eines betont lcrnziel-
orientierten Block- und Kursunterrichts verfolgt. Als wesentliche
Arbeitsmethode wird das gestufte Gruppengespräch empfohlen
, das den Teilnehmer in seiner Lebenswirklichkeit
abholt. - W. Wesenberg entwickelt mit seinen „Kriterien
der Laien im Umgang mit der Bibel" zumindest ansatzweisc
eine Theorie der Bibclarbeit in der Gemeinde (225-243). Besonders
interessant sind seine wohlbedachten hermeneutischen
Überlegungen, die einerseits den Ausschließlichkeitsanspruch
der historisch-kritischen Exegese bestreiten und andrerseits
den lutherischen Grundsatz Scriptura sacra sui interpres dahin
auslegen, daß sich die Bibel gegenwärtigem Verstehen auch
unabhängig von dem ursprünglichen historischen Kontext als
verständlich und sinnvoll erweist, wobei selbst allegorisches
Verständnis als Möglichkeit erscheint. - Abschließend bringt
G. Wiederander s eine kunstgeschichtlichc Untersuchung
zum Isenheimer Altar (245-255), die ihn als monumentalen
Abschluß spätmittelalterlicher Frömmigkeit deutet. Biographie
und Werk des Malers lassen als Hintergrund mystisch-apok t
lyptisches Gedankengut erkennen, wie es vor allem in den
Offenbarungen der Birgitta von Schweden weite Verbreitung
fand.

Greifswald Günter Haufe

(Kümmel, Werner Georg): Jesus und Paulus. Pestschrift für
Werner Georg Kümmel zum 70. Geburtstag. Hrsg. von
E. E. Ellis und E. Gräßer. Göttingen: Vandenhocck & Ruprecht
1975. 411 S., 1 Porträt gr. 8°. Kart. DM 48,-.

Unter die Überschrift „Jesus und Paulus" haben die Herausgeber
die Festschrift für W. G. Kümmel nicht um einer „theologischen
Programmatik" willen gestellt, sondern um damit diejenigen
Themenbcrcichc anzuzeigen, denen der Jubilar selbst
in seinen „wissenschaftlichen Arbeiten von Anfang an ein besonderes
Interesse gewidmet" hat (S. 2). Für die Autoren der