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Ausgabe:

1978

Spalte:

384-385

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Courth, Franz

Titel/Untertitel:

Das Leben Jesu von David Friedrich Strauss in der Kritik Johann Evangelist Kuhns 1978

Rezensent:

Gerdes, Hayo

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Diese streng soteriologische Lehre von Jesus Christus als dem
einzigen und wahren Minier zwischen Gott und dein schuldigen
Menschen beherrscht den ganzen darstellenden und begründenden
Teil der Untersuchung aller einschlägigen Fragen des I1K
vornehmlich anhand der Explicationes Ursins (Opera Ursini 1
Sp. 46ff.). Der sorgfällig, aber etwas breil angelegte Gedankengang
münde! in einer „zusammenfassenden Darstellung der
Mittlerlehre" (1(52—167). Dreierlei charakterisiert den mediator
Christus: .. r e <■ oncili a n s Deum irascentem peccatis et
genus humanuni reum aeternae mortis propter peccatum,
satisfaciens divinae justitiae moriendo ei deprecans pro
reis..., efficiens ul peccare desinent" (163). Auf der drillen
Funktion liegt indes der Ton: „Ursinus will nichl eine ein-
seitige Satisfaktionstheorie aufstellen, die sieh in ihrem objektiven
Inh.-dl erschöpft; vielmehr hegt ihm alles daran, eben-
dieses objektive Geschehen in Inkarnation und Kreuzestod auf
den Menschen zu beziehen. Dies wird nirgends deutlicher als in
der Betonung des neuen Lehens, wehlies integrierender ücslnnd-
tei] des einen 1 leilswerkes des Mittlers ist: Jesus Christus ,ipse
perficit velle el perlieere" (164). Das Heilswerk Christi wird
von Ursin abwechselnd als satisfactio, liberatio, reconciliatio
und redemtio ohne definitorische Abgrenzung von einander beschrieben
(IC6). Dies Ami und Werk des Mililers hat den
„Primat" in der Christologie: „Demonstrationes de persona
medialoris ducuntur ab officio mediatoris. Nam propter officium
tale. eliain mediatorem talem esse oportuit" (1l>7i.

„Von einer Übernahme der Anselmschen Satisfaktionstheorie
durch Ursinus kann keine Hede sein" (218). Denn ..Anselms
,Cur Dens homo?' wendet sich an Ungläubige, um sie auf rationale
Weise von der notwendigen Sntisfaklionslcistung des Gott-
menschen zu überzeugen, die Fragen 12—18 des Heidelberger
Katechismus dagegen konfrontieren den Gläubigen mit dem
rational nicht abzuleitenden, offenbarten Geheimnis des Werkes
und der Person Jesu Christi" (217).

Die gründliche Untersuchung von Metz ist aus mehreren
Gründen beachtlich. Zunächst stellt sie den gelungenen Versuch
dar. eine alle theologiegeschichtliche Streitfrage zu lösen. Dabei
erweist sie die ungeminderte Bedeutsamkeit einer klassischen
Bekenntnisschrift der Reformierten Kirche. Dies gelingt dem
Vf. auf eine glückliche Weise, indem er den eigentlichen, jedenfalls
den theologischen I rheber des IIK gleichsam wiederent-
deckt und als berufenen Interpreten seines Werkes endlich zur
Geltung bringt. Diese Auswertung IVsins kommt der Theologie
des IIK merklich zugute. Denn eine speziell dogniengeschichl-
hche Problemstudie wird hier zu der für den ganzen HK
charakteristischen Christologie weiterentwickelt. Iis entspricht
schließlich dem Wesen einer Bekenntnisschrift, daß M. aus der
Mittler-Christologie Ursins gesamtkirchliche Ansprüche ableitet.
„Den Fragen 12—LS ist nestorianische und monophysitische

Christologie gleichcrmnl.ien fremd. Allerdings isl Ursinus daran
gelegen, den Unterschied der beiden Naturen — Im Sinne von
,dislinclio, seil nun separatio!' — gegen eine drohende .Ver-
gottung' der menschlichen Natur von lutherischer Seite festzuhalten
. Dies ist in engem Zusammenhang mit seiner Abend-
mahlstheologie zu sehen, welche aus seiner christologischen Position
konsequent folgi" (183).

Wertvoll isl der abschließende dogmengeschichtliche Exkurs
über die Versöhnungslehre von Anselm bis zu den Reformatoren
(21811.), wobei allerdings Luther selbst oder die Konknr-
dienformel keine Erwähnung oder gar Würdigung erfahren.
Mit dieser Einschränkung kann man in der überschau sagen:
„Der entscheidende Unterschied in der Versöhnungslehre zwischen
dem lutherischen und reformierten Flügel der Reformation
besteht, wie wir gesehen haben, hinsichtlich der Ausrichtung
der Christologie... Während sich also hinsichtlich der Person
lies Mittlers (= Christologie) unter den Reformatoren verschiede
:!.■ Ausrichtungen ergeben, ist die Lehre vom Werk des
Mittlen (= Versöhnungslehre) weitgehend einheitlich: es sind
lediglich verschiedene Akzentuierungen erkennbar..." (220).

Es isl für den Rez. nichl nötig, die mit den unterschiedlichen
„Ausrichtungen" der Lehre von der Person Christi nur locker
umschriebenen altbekannten Kontroversen über „Vergottung der
Menschheil Christi" und über Ubiquität im Abendmahl (vgl.

38'.

147-100) hier aufzunehmen und zu erwidern. Lohnender wäre
eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Vf. bzw. mit
Ursin über das ganz unpaulinische Verständnis der Gerechtigkeit
Golles, das zu der Unterscheidung von rnisericordia und
iustitia in IIK Fr. II führt: „Gott isl wohl barmherzig, er ist
aber auch gerecht . . Was hier In der scharfen Antithese von
Zorn und Gnade zwar in uureformalorischer Diktion, aber

theologisch richtig gesagt ist, bekommt bei Ursin schließlich

eine etwas verblüffende Modifizierung: ..Der Gott des IIK ist
ebenso wie der Gott der Heiligen Schrift der zugleich und
gleichermaßen gerechte und barmherzige Gott. Beide .l'.igen-
schaften' widersprechen sich nicht, sondern sind geeint in der
Weisheit Gottes. Dies ist nicht der autonomen Vernunft, sondern
nur dem in der .plcnior patefaclio' gründenden Glauben
nussagbar" (182). Aber das ist gerade die alle, bis heute kontroverse
Frage, ob es schriftgebundencr Theologie möglich isl.
Gottes Gesetz und Golles Evangelium zu harmonisieren.

Leipzig iugutt Kimme

Conrth, Franz: Das Lehen Jesu von David Friedrich Strauß
in der Kritik Johann Evangelist Kuhns. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung
der Katholischen Tübinger Schuh' rnil dem
Deutschen Idealismus. Göttingen: Vandenhoeck tV Ruprecht
1975. 317 S. gr. 8° = Studien zur 'Theologie u. Geistes-
geschichte des 19. Jahrhunderts, 13. Lw. DM 62,—.

Auch die Kritik Kuhns an Strauß „Lehen Jesu" fälll unter
das Urteil Ferdinand Christian Baurs: „So gut wie alle Theologen
im akademischen Amt ließen ihre Stimme hören, meist
gleich in ganzen Gegenschriften. Von allen Gegenäußerungen
ist nichts mehr lebendig, aber das Buch, wider das sie gingen,
hal noch Kraft, das Wahrheitsgewissen wachzurufen."

Weshalb das so sein mußte, wird an Courths sorgfältiger und
liebevoller Darstellung Kuhns deutlich: auch Kuhn richtet sein
Hauptaugenmerk auf die dogmalische und crkcnnlnislheorclische
Seite der Frage von Glaube und Geschichte, nichl aber auf die
sich eben ans dieser Frage ergehende historische Problematik,
deren vorurteilslose Behandlung die eigentliche liedeulung des
Straußschen „Leben Jesu'* ausmacht, Courth schreibt in der Ein"

Leitung ZU seinem Buch: .....der Dialog zwischen Kuhn und

Strauß... verdeutlicht die Grundfrage christlicher Dogmatik,
ob die Wahrheit des Christentums... eine Idee ist, die sich
von der Geschichte trennen läßt, oder ob die christliche Wahr-
heil notwendig und immer an die konkrete Geschichte Jesu
von Nazareth gebunden bleibt" Hi). Audi Courth übersieht
wie seinerzeit fast die gesamte zeitgenössische Polemik gegen
Strauß —, daß gerade bei Bestreitung der dogmatischen Position
Straußens die durch Strauß vorgelegte historische Destruk-
tloosarhcll ihre volle Wucht gewinnt. Eben mit der llegcli-
schen Trennung von Idee und Geschichte hatte ja Strauß selbst
die zerstörerische Bedeutung seiner „mythischen Exegese" zu

neutralisieren geglaubt

Zwar schreibt Kuhn, es sei „der articulus stanlis el cadentis
des Christentums,... ob sich das christliche Glaubensbekenntnis

glaubwürdig auf den historischen Jesus... zurückführen Läßt
(285). Aber damit ist gerade ilie von Strauß aufgeworfene,
aueli von ihm freilich keineswegs gelöste Frage erst gestellt.
Daß auch Kuhn sie nicht löst, sagt Courth hei Darstellung der

Unzulänglichkeil Kuhnscher Exegese deutlich genug (vgl. z. I!.

S. 206 li. ö.). Dabei dürfte der I lauptein wand gegen Kuhn
seine doppelte geschichlslheologische Prämisse sein, daß „Jesus
nur dann Hinweis auf den absoluten llcilswillen Golles sein
kann, wenn die historische Wahrheit alles dessen feststellt
, was über sein Lebeil berichtet wird" (167) und daß (gut
katholisch) „christlicher Glaube... nur dann wahr isl. wenn
er der Glaube der Gesamtheit isl, d. h. wenn er kirchlicher
Glaube ist" (180).

Courth hat gewiß reiht, wenn er schreibt, daß die u. a. auch
zwischen Strauß und Kuhn verhandelte Frage nach Glaube und
Geschichte „auch eines der zentralen Probleme der Theologie
unserer Tage" sei (283) und in dem Zusammenhang insbeson-

Theologisithe Literaturzeitung 103. Jahrgang I!I78 Nr. 5