Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

371-373

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Scheib, Otto

Titel/Untertitel:

Die Reformationsdiskussionen in der Hansestadt Hamburg 1978

Rezensent:

Müsing, Hans-Werner

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

371

Melanchthon unter <Ii<- vier „großen" Reformatoren aufgenommen
wird, ist die Präzisierung seiner Rolle im Reformatorenkreise
von besonderem Belang.

Zwingiis Andersartigkeit gegenüber den Wittenberger Reformatoren
wird in angemessener Weise betont, und er wird

erfreulicherweise auch nicht, vordergründig an Luther ge.....s-

sen. Die Rolle des Humanismus in seinem frühen Denken wird
genauso beachtet wie seine Einbezogenheit in ein unverwechselbares
Lokalkolorit Letzteres dürfte, so betont der Verfasser,
jedoch nicht dazu führen, ihm „lediglich eine lokale Bedeutung
für die Sdrweiz" 'S. 72) beizumessen. Aland bestätigt hier Iberisch
allerdings mehr, als er dann in der Darstellung selbst geltend
macht. So kann man etwa bedauern, daß <lie liochbeacht-
lidie Literatur der letzten .lalire zur soziologisch-politischen
Komponente des Reformationswerkes Zwingiis so gut wie gar
nicht berücksichtigt worden ist.

Bezüglich der Lebensleistung Ca) vi ns setzt Aland den
Akzent vornehmlich auf dessen „Härte" (S. 97) und „Eifer um
Gottes Ehre" (S. 103), die ihn zu einem „eisernen Zwang"
(S. 85) in seinem A m ls> erslä ml nis geführt hätten. Die von
deutschen Theologen immer wieder behauptete Strenge und
Fremdheit der Genfer Reformation wird von Aland ein übriges
Mal unterstrichen. Es geschieht in der Darstellung des in der
westeuropäischen Refurmationsgeschiehte überragenden Mannes
eigentlich wenig, um ihn unserem Denken und Tun in Theologie
und Kirche im Rahmen eines weiterwirkenden reformatorischen
Impetus nahezubringen. Die Betonung der Schwierigkeil

des Zuganges (S. 1(13) zu diesem Mann mit seinem juristisch-
kühlen Abwägen und Praktizieren schall1 Abstand und weckt
kaum das Verlangen, dort nachzugraben, wo für Theologie und
Ordnung der Kirche unter ganz bestimmten Bezugshorizonten
von Humanismus. Stadtstaatlichkeit und römisch-katholischer
sowie antitrinitarischer I.ehrineiuung Bleibend-Entscheidendes
gesagt worden ist.

bgesehen von dieser kritischen Klnschränkung soll jedoch
gern festgestellt werden, daß Aland über die tragenden Faktoren
im Lebenswerk Calvins, über die verschiedenen Phasen
seiner Entwicklung, besonders präzis über seine „subita con-
versio" (S. 89). lebendig und interessant informiert. Vielleicht
lassen sich jedoch in einer zweiten Auflage des vorliegenden
Bandes auf Kosten der Darstellung der Linzelgegnerschafleu im

Genf Calvins einige «eitere Grundzüge der in der Folgezeit
äußerst wirksamen Theologie Calvins aufzeigen, wie sie zum
Beispiel in den Referaten des „Europäischen Kongresses für
Calvinforschung" (Calvinus Theologus, herausgegeben von \. II.
Neuser. Neukirchen 1976 - vgl. ThLZ 102, 1977 Sp. 447) in
ansprechender Weise zum Ausdruck gebracht worden sind.

Der Gedanke des Vfs., die Porträts der ..grollen Reformatoren
" ans dem Blickwinkel eines Einzelnen in einem in sich
geschlossenen Band, der mit breiter Streuung rechnen kann,
vorzutragen, verdient hohe Anerkennung Er wird ein übriges
tun, um viele Einseitigkeiten abzuwehren, die das Reformationswerk
hauptsächlich entweder mit Wittenberg oder Zürich oder

Genf oder mit der Ausforn.....g der ..dritten Kraft" S. 104.111)

erfunden.

Berlin Joachim Holste

Scheib. Otto; Die Reformationsdiskussionen in der Hansestadl
Hamburg 1522—1528. Zur Struktur und Problematik der
Religionsgespräche. Münster/W.: Aschendorff [19761. XII,
266 S. gr. 8° = Rc forma tionsgeschichtli che Studien und Texte,
in Verb. m. R. Räumer, T. Freudenbeiger, K. Ganzer, K.

Repgen, u. T..-W. /......len, hrsg. v. E. Iserloh, 112 Kart.

DM 68,-.

Auch wenn im Bereich der ökumenischen Bemühungen um
die Einheit der Kirche heule wesentliche Ergebnisse durch theologische
Gespräche erreicht worden sind, so bleibt gerade deshalb
die Frage interessant, welche Bedeutung die Gespräche zwischen
den Reformationsanhängern und den Verfechtern des romischen
Kirehentuins damals während des Entzweiungsprozesses

372

gespielt haben. Der Aufhellung dieses Zusammenhangs widmet

sieh die vorliegende Arbeit, indem sie am Paradigma der llam-

hurgischen Reformationsdiskussionen der Jahre 1522—1528 zu

klären versucht, ..was die Reformationsgesprächc eigentlich waren
, was sie wollten und sollten, in Welchen Tonnen man rang,
welche Funktionen ihnen zugedacht waren, welche sie wirklieh
ausgeübt haben und woran sie gescheiterl sind" S. 5 .

In einer kurzen übersieh! z..... Forschungsstand und der

Quellenlage (S. 5-11) macht der Vf. deutlich, „daß alle Arbeiten
mehr oder minder... den reformatorisch eingestellten Chroniken
verpflichtet sind und es sowohl an einer Analyse wie an
einer wirklichen Erklärung der Diskussionen leiden lassen'
(S. 9). Durch die Hinzuziehung neuer, bislang wenig beachteter
Quellen das Kapitelsprotokoll des Lübecker Domdekans A.
Brand zu den Jahren 1523 L530 und die Akten des Reichs-
kummergerichtsprozesses, den das Hamburger Domkapitel von
I52S 15(11 mit dem Hat wegen der Reformation Hamburgs
geführt hat,/ gewinnt, der Vf. einen kritischen Malistab zur Einschätzung
der vorliegenden Literatur und der ihr zu Grunde
liegenden Quellen. Diese vor allem der ..wahrhaftige bericht

des Reformators Stephan Kempe, der Reformationsbericht der

Gysekeschen Chi.....ik und von katholischer Seite die beiden

Berichte des Dr. J. Moller) unterzieht er einer vorläufigen kritischen
Würdigung (S. 12—24), die den ..Sitz im Leben" und
die Enteressenlagc der betreffenden Quellen herauszuarbeiten
versucht.

Nach einem kur/.cn Überblick über „Hamburg am Vorabend
der Reformation" S. '25 29) informiert die Arbeit über die Anfänge
der Reformation lS. 30—45), analysiert ..Die Diskussionsversuche
des Jahres 1526' S. 46—57), beschreibt das Eingreifen
des Piates durch die ..Anordnung interner Diskussionen...
anstelle der Knnzclpoleinik" (S. 58—62) und unterrichtet über
die „Bemühungen der Piädikanteu um eine mandalsgemäße
Unterredung mit dem Domprediger X. ISustnr;i Im Frühjahr
1527" (S. 63-81).

Inhaltlich am gewichtigsten sind die beiden folgenden Abschnitte
über das „Gespräch vor dem Hat 1527" CS. 82—122)
und das ..Malsverhör von 1528 und der Sieg der Reformation"
(S. 123—179). Die beiden letzten Kapitel beschreiben die
„Sicherung der Reformation" S. ISO ISIIi und die ..Bedeutung

der Hamburger Reformationsdiskussionen" 'S. 190 200), Leitender
Gesichtspunkt der beschriebenen Entwicklung sind Form,
Struktur und Inhalt der statlgefundenen Gespräche.

Der Vf. macht deutlich, dal.! sich die Diskussionen vom an-

länglichen „Verhör eines Ketzerei verfahreua über private Gespräche
und öffentliche Disputationen oder Kolloquien zu Verhandlungen
vor dem Rat im Rahmen eines Mandatsprozesses
auf ('■rund eines Ratsmandates" entwickelten S 190). Die Gespräche
resultierten aus der 1 in ereinbnrkeit der allen und der
neuen Lehre mil ihrer jeweils unterschiedlichen religiösen
Praxis. Die theologische Diskussion war dabei meistens ..in
einen gerichtlichen oder polnischen orgung eingebaut", um
„eindeutige Rechtsfolgen zu sichern" (S. 191). Da keines der
konkurrierenden theologischen Prinzipien sieh als eindeutiger
Maßstab beweisen ließ, scheiterten die Diskussionen, und die

politischen Instanzen waren genötigt, nach bestem Wissen und
Gewissen sowie nach Einschätzung der politischen Gesamt-
situalion eine Entscheidung zu treffen, mit der die Stadt leben

konnte. Nicht nur für die Auseinandersetzung um die Reformation
, sondern auch für die Verfassungsenlwicklung der Stadl
sind die Reformalionsgespräche wichtige Etappen, „wobei dl*

Diskussionen von 1528 die Grenze '.wischen der mittelalterlichen
und reformatorischen Kirche und zwischen Alleinregie'
rung de- Rates und bürgerlicher Mitwirkung In Hamburg markierten
" (S. 103).

Eine Arbeit, die sich mit einem so speziellen Teilgebiet beschäftigt
, wird immer Tragen offen lassen, wie auch der V t
selbst kritisch bemerkt (S. 195), vor allein, wenn man methodisch
so hohe Ansprüche stellt, nicht nur „landes-, Idrchen- und

refnrinniionsgesehichllich, sondern auch recJitsgeschichllich. sn-

rialgeschichtlich, theologiegesthichttich und wissenschaftsgeschiefat'
Beb." zu arbeiten (S. 11). So seien einige Delizite durch Frag*"
Stellungen wenigstens angedeutet War die zwiespältige Predig*

Theologische Lileralurzcitung L03. Jahrgang 1978 Nr. 5