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Ausgabe:

1978

Spalte:

355-357

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Niederwimmer, Kurt

Titel/Untertitel:

Askese und Mysterium 1978

Rezensent:

Hübner, Hans

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J55 Theologische Literaturzeitung

spirierend, auch wenn der ui.>t- !>oi den Fragen des Rezensenten
zunächst wiederholen wird: „aucune codification n'esl
innocente" (88;. Doch wird dies weder sein »och unser letztes
\ ort dazu bleiben können.

Berlin Wolfgang Schenk

Nicderwiminer, Kurl: Askese und Mysterium. Ober Ehe, Ehescheidung
und Eheverzicht in den Anfangen des christlichen
Glaubens. Göttingen: Vandenhocck iv Buprccht 1!»TT». 267 S.
gr. 8° = Forschungen zur Religion und Literat)» des Alten
ii. Neuen Testaments, hrsg. v. E. Käsemann u. E. Würthwein,
II.!. DM 39.-: Lw. DM 45.-.

liii .Ys Buch handelt es sieh um ein Werk sehr hohen Niveaus
, das seine innere Aussagekraft hermeneutischen Grund-
satzreflexionen verdankt, die Vf. an anderer Stelle publiziert
hat (s. ii.). N.s Werke waren immer schon durch das Bemühen
ausgezeichnet, geschichtliche Sachverhalte in ihrer Geschichtlichkeit
zu reflektieren (z. Fi. Der Begriff der Freiheit im NT,
Berlin 1966). Das Bingen um begründete eigenständige Auffassungen
und Urteile kennzeichnet seine ganze bisherige Ar-
heil. Freilich wird das Kigenstündige oft zum Eigenwilligen.
Konkreter: Ausgezeichnete Detailbeobachtungen führen zu einem
Gesamtbild, das weithin von der vorgegebenen hermeneü-
tischen Grundkonzeption bestimm! ist.

Das Buch ist in vier Kapitel und Epilegomena gegliedert:
I. Die eschatologische Moralkritik Jesu. 2. Traditionen aus dem
palästinensischen Judenchrislenlum. 3. Traditionen aus dem
Bereich des judenchrisllichen Missionsrhrislcntuins. Paulus und
die narhpaulinische Tradition. 4. Die Gemeinden im Prozeß der
Katholisierung.

Zum i. Kap. Die Verkündigung Jesu gehört einem
Vermittlungsstand an, der erst durch Interpretation seinen bestimmten
Sinn gewinnt. Kür die älteste Überlieferung ist das
Fehlen der lehrhaften Reflexion charakteristisch. Sie, ist in ihrer
Unmittelbarkeit nicht eindeutig. Doch trifft die mangelnde Eindeutigkeit
nicht für deren Intention zu (12f.). Das Verbot der
Ehescheidung, die Verschärfung des Ehebruch-Verbots und der
Kampf gegen die Konkupiszenz werden zusammen unter die
Überschrift ..Radikalisierung des jüdischen Sexualrigorismus"
gestellt. Die dabei vorgenommenen tradilions- und redaktionsgeschichtlichen
Betrachtungen sind methodisch ordentlich durchgeführt
. Angesichts dessen, daß gerade liier immer wieder Ermessensurteile
unvermeidbar sind, darf der Rezensent nicht
seine eigene Auffassung zum Kriterium machen. Um so mehr
begrüßt er, daß er in nicht geringem Umfang mit dem Autor
übereinstimmt (z. R. Priorität von Mt 5,32 gegenüber der
Q-Korm des Logions). Richtig stellt N. heraus, daß die Verbindlichkeit
des Mt 5,32 Gesagten „von sich selbst her unmittelbar
einleuchtend" sei. „Das Verbot Jesu ist Appell an die sittliche
Einsicht, nicht lex." (21) Richtig auch: „Der ethische
Radikalismus hebt an dieser Stelle das positive Recht auf."
(24) Jedoch, ist wirklich für Jesus charakteristisch, daß jede
Reflexion über Sinn und Realisierbarkeit der radikalen Forderung
völlig fehlt (24)? Läßt sich so direkt sagen, der Rlick sei
ausschließlich auf die Unbedingtlieit der göttlichen Forderung
gerichtet und deshalb die Forderung Jesu eschatolo-
gischer Natur? Ist diese Forderung nicht vielmehr — im Ganzen
der Verkündigung Jesu! — auszulegen als Forderung zugunsten
des zu kurz gekommenen Menschen, in diesem Fall der
Frau? Gilt doch Jesu Ileilsruf gerade den Armen (Lk 6,20)!
Seine Zusage der Golteshcrrschaft gibt doch zu verstehen, daß
Gott auf seilen der Getretenen steht. Die Forderung Mt 5,32
erwächst also aus der Verkündigung der B.isileia. Dann aber
dürfte im Verhältnis Infinitiv Lk 6,20 — „Imperativ" Mt 5,32
ein Stück Reflexion stecken. In seinem Aufsatz „Unmittelbarkeit
und Vermittlung als hermeneu tischet Problem" (Kul)
17,97—112), einer Studie von hohem spekulativem Rang, hat N.
seine grundsätzliche hermeneu tische Position dargelegt. Darin
unterscheidet er verschiedene Stufen der Vermittlung, in denen

103. Jahrgang 1978 Mr. 5 356

<Iiv Geschichte des im Verstehen zu sieh sellist kom.....nden

Glaubens als „dialektische Progression von der Unmittelbarkeit

zur absoluten Vermittlung" dargelegt wird. In dem späteren
Aufsatz ..Das Problem der I nmittelbarkeit in der Verkündigung

Jesu" (Geschichtsmächtigkeit und Geduld, Festschrift der Ev.-
theol. Fakultät der Univ. Wien = Sonderheft EvTh 1972,
91— 9Si charakterisier! er die Verkündigung Jesu im Sinn jener
ersten Darlegungen als auf der (3.) Stufe intcnlionalcr Vermittlung
befindlich. (Bedeutet die jetzt gebrachte richtige!
Feststellung ..Innerhalb des geschieh11ieli-inenscblieben Daseins
gibt es keine reine I nmittelbarkeit" eine Korrektur des Kul)

17,100 überspitzt Gesagten?) Nun kann im Rahmen dieser Rezension
keine Auseinandersetzung mit den beiden Aufsätzen
erfolgen. Zu fragen ist aber, ob das, «:is . im I. Kap. seines
Buches sagt, nicht an Deutlichkeil gewonnen hätte, wenn er die
grundsätzlichen tiedanken der Aufsätze deutlicher hätte werden
lassen. (Sie werden weder zitiert noch im Literaturverzeichnis
genannt!) M. E. hat ihn seine Polemik gegen die Annahme
einer „Theologie Jesu" (2. Aufs., 92 Anin. I) dazu verleitet,
Jesu Verkündigung zu sehr in den Bereich der Unmittelbarkeil
zu verlagern.

Zurück zur 3. Antithese! Sieht man sie im Rahmen der ('■(•-
saintauschauung Jesu, so dürfte es schwerfallen, sie unter die
Badikalisierung des jüdischen Sexualrigorismus zu subsumieren
Auch die 2. Antithese dürfte aus dein Ganzen der Verkündigung
Jesu in ihrer spezifischen Aussageriehtung deutlich werden
: Nicht begehrlich eine andere Frau ansehen, um nicht der

eigenen Frau untreu zu werden und in der Konsequenz, sie zu
en toßen!

N. sieh! Sehr klar, daß sein Verständnis der beiden Antithesen
als Ausdruck der Radikalisierung des jüdischen Sexualrigorismus
wie ein Widerspruch zum Verhalten Jesu erscheint,
gemäß dem er die Gemeinschaft der Zöllner und Sünder nicht
scheute. Freilich erfolgt sofort wieder die Bemerkung, man
dürfe eine ..theologische" Reflexion, die aus diesem Verhalten

erwachse, dem geschichtlichen Jesus nicht zumuten! Charakte

ristisch sei vielmehr die ..souveräne Unmittelbarkeit", mit der
er sich über die rituellen und moralischen Ängste in der Aufnahme
der Gestrauchelten hinwegsetzt (35). her im Blick auf
das Rituelle wird man anders urteilen müssen: Mk 7,15 z, B.
ist ohne „theologische Reflexion" Jesu nicht als authentisches
.Tesuslogicn zu halten. Die Auflösung des Widerspruchs zwischen
der 2. und 3. Antithese einerseits und dein genannten Verhalten
Jesu andererseits sieht N. darin, daß beide Seiten Kritik
an der Positivität der geltenden Normen als grundsätzliche,
eschatologische Kritik üben, die jede Positivität als bloß historische
, als nur Intentional unbedingte deeouvrierl (40). Es ist
schon von N. etwas Richtiges darin gesehen, daß die Vermittlung
der eschatologischen Moralkritik mit der historischen Positivität
ausbleibt. Aber hier bleibt doch die Argumentation etwas
zu stark im Formalen stecken. Zu fragen wäre doch: Was
bedeutet für Jesus der n a h e Hereinbruch der für die Armen
bestimmten Basileia im Zusammenhang mit seinen radikalen
Forderungen? Um es mit N.s Kategorien zu sagen: Wie steht
es mit dem Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung
hinsichtlich des Verhältnisses von Gnade ' Basileia) und Forderung
?

Zum 2. Kap. Die Traditionen des palästinensischen
Judenchristentums tradieren die radikalen Forderungen
Jesu, jedoch nicht mehr in Jesu eigener Unmittelbarkeit.
Die Reflexion setzt, ein. Dies geschieht z. 'I'. durch Übernahme
neuer Motive: erstmalig tauchen sexualpessimistische Züge aus
„hetcrodoxen" Ideologien des zeitgenössischen Judentums nuf
(43). Mk 10,2—9 wird vom androgynen Ilrmenschmythos her
ausgelegt: In der Ehe wird die urständige Einheit wiederhergestellt
; wer jedoch seine Frau wegschickt, sehneidet gleichsam
den „einen" Menschen wieder auseinander und entfremde1
sich selbst. Können aber die späten rnbbinischen Beleg1' für den
Mythos diese Exegese rechtfertigen? Da N. das Sireitgespräch
als Reflexion wertet, er aber Jesus Reflexion nicht zutraut, muß
er spätere Tradition annehmen. M. E. läßt sich aber die Peri-
lu.pc gut als Widerspiegelung der Lehrtätigkeit Jesu verstehen
. — Mt 10,10—12 belegt einen eschatologisch motivierten