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Ausgabe:

1978

Spalte:

297-298

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ginters, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Ausdruckshandlung 1978

Rezensent:

Lerle, Ernst

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297

Theologische Literat urzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 4

288

Ginters, Rudolf: Die Ausdruckshandlung. Eine Untersuchung ihrer
sittlichen Bedeutsamkeit. Düsseldorf: Patmos-Verlag [1976].
120 S. 8° = Moraltheologische Studien. Systematische Abt.,
hrsg. v. B. Schüller, 4. DM 25,80.

Gegenstand der Untersuchung ist eine Problematik, die
im Grenzgebiet zwischen theologischer Ethik und Psychologie
liegt. Der Vf. fragt zunächst in der Begrifflichkeit
katholischer Morallehre nach der Handlungsnormierung
und geht von dem Unterschied zwischen deontologischer
und teleologischer Handlungsnormierung aus. Während
die deontologische Normierung nach Regeln und nach
Verhaltensmaßstäben fragt, geht die teleologische Urteilsbildung
davon aus, ob ein Tun oder ein Unterlassen mehr
Gutes oder weniger Übel zur Folge hat. Das teleologische
Denken, das bis zum Grundsatz „Zweck heiligt die Mittel"
gesteigert werden kann, wird einer scharfen Kritik unterzogen
, und G. findet eine Kategorie von Handlungen, die
nicht teleologisch motiviert sind, die aber auch nicht durch
Verhaltensmaßstäbe im deontologischen Sinn bestimmt
werden. Es sind das die Ausdruckshandlungen, die der Vf.
auf ihre sittliche Bedeutsamkeit hin untersucht.

Unter dem Begriff der Ausdruckshandlungen wird eine
Gruppe zusammengefaßt, die von kurzlebigen Einzelereignissen
(z. B. Gruß oder Kuß) bis hin zu umfangreichen
Handlungsabläufen (z. B. Feier eines Gottesdienstes)
reicht. Von entscheidender Bedeutung ist für den Vf. der
Unterschied zu den Wirkhandlungen in ihren verschiedenen
Ausformungen. Während die Wirkhandlung durch den
zu erreichenden Zweck bestimmt ist, findet G. in der Ausdruckshandlung
eine Antriebsstruktur, die außerhalb der
teleologischen Motivierung liegt . Den psychologischen Zugang
zu dieser Problematik findet der Vf. in Untersuchungen
zur Ausdrucksmotorik, beruft sich auf Ph.Lersch und
übernimmt vor allem dessen Aussagen über das Leib-
Seele-Programm. Aber in der Ethik geht es nicht nur um
spontane Begleiterscheinungen psychischer Zustände wie
Mimik und Gestik. Es geht auch um Handlungen, deren
Antriebsstruktur nicht ausschließlich durch das Ausdrucksgeschehen
bestimmt ist. G. geht auf einige Probleme
aus diesem Fragenkreis ein und unterscheidet zwischen
natürlicher und institutioneller Verleiblichung innerer
Einstellungen. Das Erröten vor Scham oder das
Schreien vor Entsetzen sind natürliche Ausdrucksbewc
gungen, während das Überreichen eines Blumenstraußes
als institutionalisierte Ausdruckshandlung gilt. Dieser begrifflichen
Unterscheidung entspricht jedoch kein wesentlicher
Unterschied im psychischen Aufbau. Wenn nämlich
ein Ertrinkender erst in unartikulierten Lauten und dann
in verständlichen Worten (institutionalisiert) um Hilfe
ruft, so liegen weder in der Motivierung noch in der Antriebsstruktur
wesentliche Unterschiede. Nach G. müßte
dagegen hier der prinzipielle Unterschied zwischen einer
natürlichen Ausdruckshandlung und einer Willenshand-
lung liegen, die auf das Ziel, gerettet zu werden, abgestimmt
ist. Der Unterscheidung zwischen natürlicher und
inst itutionalisierler Verleiblichung innerer Einstellungen
liegl offensichtlich ein theologischer Naturbegriff zugrunde
. Psychologisch gesehen, ist die Institutionalisie-
rung ein durch und durch natürlicher Vorgang.

Als ein weiteres Problem auf dem Gebiet der Antriebs-
struktur von Ausdruckshandlungen wird die Frage der
affektiven Stellungnahmen erörterl. Unter affektiven Erlebnissen
versteht der Vf. „Akte . . ., die neben der theore-
tischen Vernunft auch dir existentiell tieferen Dimensionen
menschlicher Existenz wie Gefühle, Stimmungen,
Vorstellungsverinögen, Einbildungskraft usw. miterfas-
s"n. also der praktischen Vernunft zuzuordnen sind"
(S.70, Anm.). Es geht somit, um eine Fülle von Faktoren,
die für die Motivation von Handlungen bedeutsam sind.
Den psychologischen Aufbau im Vorfeld des Handelns
versucht G. in folgender Weise intellektuell zu erfassen
(S.71): ..I >iese Fundierung aller Willensakle in affektiven
Stellungnahmen macht aber auch deutlich, daß es sieh bei

ihnen nicht um Stellungnahmen im eigentlichen Sinn handeln
kann. Denn grundsätzlich geht ihnen ja die affektive
Antwort logisch voraus, und es entspricht nur deren inne-
ren'Logik, wenn sie unter geeigneten Umständen zum Handeln
führt." Solche summarischen Aussagen werden ticin
jetzigen Stand der Motivationsforschung nicht gerecht.
Die einschlägige psychologische Literatur zu diesem Problemkreis
ist übrigens nur sehr spärlich herangezogen
worden.

Das eigentliche Anliegen des Vfs. ist die Auseinandersetzung
mit der Teleologie sowie der Versuch, teleologisches
Denken zu überwinden. Der Übergang von teleologischen
zu kausalen Erklärungen gehört nämlich anerkannterweise
zum Wesen wissenschaftlichen Fortschritts.
Indem G. in der Ethik die Ausdruckshandlung herausarbeitet
, hofft er, die teleologische Motivierung zu überwinden
. Doch das gelingt ihm nur teilweise. Die ethische
Wertung, die Feststellung, ob eine Ausdruckshandlung
richtig ist, bleibt teleologisch motiviert: „So wie der Einsatz
eines Mittels, das zur Erreichung eines bestimmten
Zwecks notwendig ist, von diesem her seine sittliche Rechtfertigung
erfährt, so ist die Ausdruckshandlung nur von
der Wirkhandlung her zu legitimieren: Ist eine bestimmte
Art von Wirkhandlung richtig, dann sind auch die sie fundierende
Einstellung und die damit notwendig verbundenen
Manifestationen in Form von Ausdruckshandlungen
richtig" (S.73).

Die Untersuchung ist nicht so weit vorangetrieben worden
, daß die sittliche Bedeutsamkeit qualitativer Unterschiede
in der Antriebsstruktur geprüft worden wäre. Die
Bedeutung des rezensierten Buches besteht darin, daß die
Eigenständigkeit der Ausdruckshand hingen für die theologische
Ethik herausgearbeitet worden ist . In der Problematik
ethischer Wertungen im Ausdrucksgeschehen bleiben
jedoch einige Probleme von grundlegender Bedeutung
unerfaßt.

Halle (Saale) Ernst Lerle

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