Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

291-293

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Almén, Edgar

Titel/Untertitel:

Glaube und geschichtliche Verantwortlichkeit 1978

Rezensent:

Krötke, Wolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

291

Theologische Literaturzeitung IOS. Jahrgang 1978 Nr. 4

2! il'

wird, „daß es (seine Gegebenheit nur als Gegebenheit wissen
und haben kann", dieweil Troeltschs Theologie „die
Gegebenheit des Selbstbewußtseins an diesem selbst und
in dessen Tätigkeit vorzustellen versuchte" (S. 130).

Man kann sich eher gefallen lassen, daß auch bei
Troeltsch das theologisch - doxologische Moment, in all
seiner Verhaltenheit bei ihm, aufgewiesen und anerkannt
wird - selbst Barth nannte ihn einen ,in seiner Weise auch
frommen Mann' (KD IV, 1, 427), und die Arbeit Grolls
hat das Verdienst, ihn in der Differenziertheit seines historischen
Urteilen« und theologischen Denkens vorzustellen
-, als daß bei Barth die Offenbarung bewußtseina-
theologiseh funktionalisiert wird.

Wuppertal-Scholler Jürgen Fangmeler

Almen, Eidgar: Glaube und geschichtliche Verantwortlichkeit. Die

Geschichtlichkeit des menschlichen Denkens als theologisches
Problem von den Positionen Karl Barths und Paul Tilliehs her
beleuchtet. Lund: Liber Läromendel (GWK Gleerup) [1976].
VI, 482 S. gr. 8° = Studia Theologica Lundensia. Skrifter ut-
givna av Teologiska Fakulteton i Lund, 35.

Die Absicht dieser Arbeit ist es nicht, ein Problem zu
lösen. Es geht vielmehr darum, ein Problem in seiner
Relevanz für die Theologie zu entdecken. Dieses Problem
keimzeichnet der Vf. als die „Geschichtlichkeit des menschlichen
Denkens". Darunter ist das Phänomen zu verstehen,
daß alles Denken schon immer bezogen ist auf eine vorgegebene
Geschichte und in diesem Kontext seine eigene
Entscheidung im Blick auf eine strittige Wir klichkeit trifft
(vgl. 22ff).

In einem l.Teil der Arbeit versucht der Vf. darum, das
Wesen dieses Problems als allgemein „humanistisches"
Problem zu analysieren (S.l-61). Dabei ergibt sich: Der
Konflikt zwischen dem „Involviertsein" des Denkens von
vorgegebener Geschichte und dem eigenen Denken muß
als Problem der „geschichtlichen Verantwortlichkeit" angesehen
werden, die zu jedem Menschsein gehört. Geschichtlich
verantwortlich sein, heißt: in der Suche nach
der eigenen Identität offen sein für eine Geschichte und
selbst Geschichte durch Entscheidung schaffen. Das aber
führt in eine unausweichliche Aporie der Verantwortlichkeit
. Jede neue Entscheidung spricht dem vorgegebenen
Denken immer auch Verantwortlichkeit ab und ist also in
diesem Punkte nicht mehr offen. Sie wird als verantwortliche
Entscheidung notwendig unverantwortlich (vgl. 49;
306). Daß auch die Theologie, die als „Selbstrefiexion" des
Glaubens zum Zwecke der „Selbstlegitimicrung" verstanden
wird (vgl. 14f.), an dieser fundamentalen Aporio teil
hat und sie keineswegs löst, darauf will der Vf. mit seiner
Untersuchung im folgenden aufmerksam machen. Er beschäftigt
sich exemplarisch mit der Theologie Karl Barths
und Paul Tillichs, weil sich der angestrebte Nachweis gerade
Konzeptionen gegenüber evident machen läßt, die
als völlig verschieden gelten.

Man mag über diese seltsame Fragestellung verwundert
sein, wenn man die Diskussion um Barth und Tillich kennt .
Daß jede Theologie als menschliche Bemühung an den
Problemen menschlichen Denkens teil hat, bedarf keines
Nachweises. Die Frage ist, wie sie in diesen Problemen die
Wahrheit Gottes zur Sprache zu bringen vermag. Daß der
Vf. an dieser Frage nicht primär interessiert ist, hängt mit
seiner Sicht der schwedischen Theologie vor allem auf reli-
gionspädagogischer Ebene zusammen. Dort herrscht nämlich
eine naive Trennung zwischen der sog. „wissenschaftlichen
Wahrheit" und der Geschichte vor, die das Ernstnehmen
des gekennzeichneten Problems aller Humanität
verhindert (vgl. 4). Diese Theologie zur „Selbstkritik" zu
ermuntern, ist das eigentliche Ziel des Vfs. und er gibt zu,
daß seine Arbeit dem „schwer verständlich" sein muß,
„dem dieser Hintergrund fehlt" (4).

Der 2.Teil der Arbeit heißt „Gehörgebungen" (62-260).

In ihm wird das erläuterte Problem als „Fragehorizont"
der Theologie Barths und Tilliehs dargestellt. Denn der
Vf. sieht die beiden Theologen in einer „Probleingemein-
schaft" (303), die vor allem an ihrem theologischen Werdegang
verdeutlich werden soll. Hier zeigt sich, daß es sowohl
Barth wie Tillich um die „neue Identität aus Gnade"
geht, die Gott dem Menschen schenkt . Diese geschenkte
Identität aber muß in der Geschichte „gestaltet" werden,
obwohl sie „sich gleichzeitig weigort, mit irgendeiner Gestaltung
identifiziert zu werden" (303). Barth und Tillich
wenden sich gegen den theologischen Liberalismus, weil er
eine zeitbedingte Entscheidung in der Bestimmung der
neuen Identität verfestigt und also nicht mehr offen ist für
das Geschenk der Identität. Gerade diese Auseinandersetzung
, die für den Vf. der Schlüssel zum Verständnis
Barths und Tillichs ist, macht sichtbar, daß die Unverfügbarkeit
der neuen Identität das gemeinsame Anliegen
beider Theologen ist. Sie unterscheiden sich nur darin,
daß Barth sich weigert, die unverfügbare, neue Identität
des Glaubenden aufzuweisen und sie nur in Christus behauptet
(vgl. S.3541'.), während Tillich auch nach ihrer
Erfahrbarkeit für den Menschen fragt (vgl. S.355).

Diesen Unterschied in der gemeinsamen Fragestellung
diskutiert der Vf. in einem 3. Teil unter den Stichwo-ten
der „Bewältigung der Wirklichkeit" (S. 261 ff.), der„Be-
wältigung der Tradition" (S.236ff.) und der „Bewältigung
der Wahrheit" (S.357ff.). Dabei entdeckt er eine grundlegende
Schwierigkeit sowohl in Barths christologischem
Ansatz wie in Tilliehs ontologischem Bedenken des „protestantischen
Prinzips" der Rechtfertigung. Barth kann
nicht mehr zeigen, wie das Geschenk der Gnade den Menschen
wirklich verändert (vgl. 355). Er spricht deshalb jedem
theologische Verantwortlichkeit ab, der den Versuch
eines solchen Aufweises unternimmt. Tillichs Denken hat
dagegen trotz der Betonung der Paradoxie der neuen
Identität eine Tendenz zum „Genuß der Synthese" von
Gott und Mensch (vgl. 318). In der Ekstase werden letztlich
alle Zweideutigkeiten der irdischen Gestaltung überspielt
. Die sich hier ankündigende „Hybris Hegels" (320)
verliert das Interesse an der Veränderung der Wirklichkeit
. Darum wird hier die inhaltliche Bestimmung der
neuen Identität des Glaubenden ebenso wie bei Barth zur
bloßen Behauptung, zur ,,gesetzliche(n) Identität eines
willkürlichen Behauptens". Schlimmer noch: sie ist bedroht
davon, „in Sinnlosigkeit und Absurdität aufgelöst
zu werden" (384). Und eben dies ist dem Vf. der Beweis
dafür, daß die „Selbstreflexion" des Glaubens an der
Grundaporie der von ihm benannten „humanistischen
Perspektive" partizipiert (vgl. 384). Die Wahrnähme theologischer
Verantwortung führt zu einer „Position". Am
Ende steht „etwas Statisches, ohne Offenheit" (386), das
die Verantwortlichkeit anderer Positionen bestreiten muß
und gerade dadurch geschichtlich unverantwortlich wird.

Der Vf. muß freilich zugeben, daß diese Feststellung,
ur die er selbst keinen Ausweg weiß, damit zusammenhängen
könnte, daß er Barth und Tillich unter dem Gesichtspunkt
der Selbstlegitimierung des Glaubens befragt.
Eigentlich führt doch bei Barth und bei Tillich das Verständnis
der Rechtfertigung zu einem neuen Verständnis
von Identität und damit gewinnt auch das theologische
Behaupten eine andere Qualität. Aber dem nachzudenken,
hatte der Vf. keine Gelegenheit mehr. So bleibt ihm am
Ende nur die Einsicht: „Meine Behandlung des Problems
scheint unausweichlich zu einer Problematisierung meiner
Formulierung des Problems zu führen" (387).

Dem kann man nur zustimmen - wobei man sich freilich
fragt, warum dem Vf. diese Einsicht erst so spät kommt.
Gerade wenn ein solches Gewicht auf Barths und Tillichs
Auseinandersetzung mit dem theologischen Liberalismus
gelegt wird, dann hätte doch schon im Ansatz bemerkt
werden müssen, daß der hier verwendete Begriff der „geschichtlichen
Verantwortlichkeit" der Kritik beider Theologen
unterliegt. Der mögliche Gewinn dieser unkomen-