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Ausgabe:

1978

Spalte:

289-291

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Groll, Wilfried

Titel/Untertitel:

Ernst Troeltsch und Karl Barth - Kontinuität im Widerspruch 1978

Rezensent:

Fangmeier, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Kr. 4

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Epoche durch ihre Fürsprache das Herannahen jener Stunde begünstigen, in der
die Jünger Christi die volle Gemeinschaf t In Glauben wiederfinden werden" (33).

s Vgl. 8.161: „Wir sind Uns dessen be« uUt, daß es zwischen den Vorstellungen
.über die Aufgabe Mariens im lleilswerk' (100) und somit dem ihr zu erweisenden
Kult bei vielen Brüdern anderer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und
der katholischen Lehre nicht geringe "Unterschiede gibt. Da jedoch dieselbe
Macht des Allerhöchsten", der die Jungfrauengeburt bewirkte, „auch in der
heutigen ökumenischen Bewegung wirkt und sie befruchtet, möchten Wir Unserem
Vertrauen Ausdruck geben, daß die Verehrung der demütigen Magd ...
nicht ein Hindernis, sondern . .. Weg und Punkt der Begegnung für die Einheit
aller Christgläubigen wird. Wir freuen Uns feststellen zu können, daß ein besseres
Verständnis der Stellung Mariens . . . den Weg zu einer Begegnung weiter geebnet
hat" (33).

Groll, Wilfried: Ernst Troeltsch und Karl Barth Kontinuität im
Widerspruch. München: Kaiser 11(70. 144 S. 8° — Beiträge zur
evang. Theologie, hrsg. v. E. Jfingel n. R. Smend, 7:1. DM22,—

Dem Buch liegt, eine Münchener Dissertation des Tr.
Rendtorff-Schülers mit dem Titel „Der theologiegeschichl -
liehe Zusammenhang von Ernst Troeltsch und Karl Barth"
zugrunde.

Vf. geht methodisch so vor, daß er Barths direkte Bezugnahmen
auf Troeltsch vorstellt und interpretiert. Das
Umgekehrte ist wenig ergiebig: An schriftlichen Stellungnahmen
Troeltschs zu Barth existiert nur eine Postkarte
Troeltschs an Barth aus dem Jahre 1912; Troeltsch stirbt
1923 (vgl. S. 34f.). Auch für Barth ist Troeltsch nieHaupt-
gesprächspartner gewesen. Die einzige ausführlichere Auseinandersetzung
mit ihm findet sich in KD IV, 1, 423/27.
Gleichwohl hat Barth ihn als Exponenten des Neuprote-
staniismus (auch als Schöpfer dieses Begriffs) ständig mit
vor Augen gehabt und hat er Troeltsch - wie es Barth mit
manchem seiner theologischen Gegner ging! - auch mit
für ihn denkwürdigen Äußerungen immer wieder im Ohr
gehabt. Mehr Zugang als Barth hatte ursprünglich sein
Freund Thurneysen zu Ernst Troeltsch. Die daraufhin
durch Barth angeregte große Auseinandersetzung mit ihm,
um 1916, ist Thurneysen aber schuldig geblieben (vgl.
S.61/3).

Einige Bezugnahmen Barths auf Troeltsch seien hier
kurz genannt:

1. ( = A, II): Barth bezieht sich mehrfach auf Troeltschs
Vortrag über .Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu
für den Glauben', in welchem Tr. eine religiöse Zentralstellung
Jesu für alle Zeiten, z. B. nach einer neuen Eiszeit
, in Zweifel zieht. Wobei Tr. nicht bezweifelt, daß sich
das Göttliche dann neu, in aktueller Gestalt, darbieten
werde. Barth ist mit einer solchen Relativierung Jesu
Christi angesichts seiner Aulerstehung von den Toten
nicht einverstanden.

2. (== B): Barth lehnt den Spitzenbegriff aus Troeltschs
Religionsphilosophie, das „religiöse Apriori", ab. DieweiJ
Tr. Jesus innerhalb der Religionsgeschichte relativiert
und mit dem religiösen Apriori religionsphilosophisch den
festen Punkt setzt, sieht diesen der frühe Barth als Schüler
Wilhelm Herrmanns im inneren Leben Jesu, um nachher
in der Trinität Gottes ein Apriori zu erkennen, ..von
dein Troeltsch allerdings nie auch nur geträumt" habe
(Vortr. II, 263f.). Während Harth sieh dabei als eine
vollige Kehre gegenüber dem Neuprotestantismus vollziehend
versteht, sieht Groll ihn auch hier in Kontinuität
mit demselben: der „Gedanke der unaufhebbaren Subjektivität
Gottes in seiner Offenbarung" stehe, als Glau-
bensgedanke Barl Iis, funkt ional für die religiöse Subjekti-
vita« (vgl. 8.52).

3. (-= C, I): Bei Harth wird aus der Vorordnung der
Ethik vor die Religion (Troeltsch) eine solche der Dogma-
tik vor die Ethik, wobei er auch W.Herrmann in diesem
Sinne zu interpretieren sucht.

4. (= C, III): K.Barth bedient sich in der Auslegung
von Rom 13 in seinem ersten Römerkommentar ( = R1),
S.378, eines längeren Troeltsch-Zitats aus den ,Soziallehren
der christlichen Kirchen und Gruppen' (GS I, 72),
welches das Verhältnis von revolutionärem und konservativem
Element des Christentums zum Gegenstand hat.

Vf. weist auf, daß die Sätze bei Barth eine andere Intention
erhalten als bei Troeltsch. Akzentuiert dieser den
konservativen Zug, so Barth, mit dem Zitat, den revolutionären
- wobei Groll freilich gewisse Spitzen der Mai -
quardtschen Barth-Interpretation als historisch nicht
haltbar abweist (S.65f.). Ich vermag hierbei viel weniger
als Groll bewußte Kritik Barths an Troeltsch (vgl. S.89:
,Einspruch gegen Troeltsch') zu erkennen. Vielmehr hat
Barth Troeltschs ausgewogenes Urteil - „Mischung von
Verachtung, Ergebung und relativer Anerkennung . . ." -
als im wesentlichen treffend akzeptiert. Auch hinsichtlich
der Interpretation erscheint mir das Urteil „gänzlicher
Widerspruch" (S. 71) selbst für den Barth des R1 einerseil s
und den zu Naumann tendierenden Troeltsch als überzogen
. Freilich besteht der große prinzipielle Unterschied,
daß Troeltsch das Christentum historistisch sieht, so daß es
sich in der Geschichte immer „mit anderen Bauherren zu
teilen haben" werde (GS I, 966, Groll S.94), während
Barths R1 nicht ohne chiliastischen Grundzug zu verstehen
ist - welcher indes Barths Wende zur Theologie eröffnet
und deshalb selber prinzipiell als Gottes Sache
und nicht als verfügbare Größe zu gelten hat.

5. (= C, IV): Barth zitiert, erstmals in seinem Tambacher
Vortrag von 1919, das ,merkwürdig treffende'
Troeltsch-Wort, „die Kraft des Jenseits" sei „die Kraft
des Diesseits" (Vortr. I, 66; KD IV, 2, 949). In Troeltschs
,Soziallehren' lautet der Satz: „Das Jenseits ist die Kraft
des Diesseits" (GS I, 979). Hier ist der Genitiv ein gen.
subjectivus; das ethische Subjekt empfängt die Krall
zum Möglichen durch das Bewußtsein, daß das Letzte
nicht auf ihm steht. Bei Barth rückt der gen. subj. auf
.Jenseits'. Der ganze Satz wird von Groll für Barth bewußtseinstheologisch
verstanden: Barth „bringt damit
gerade das in seinem Sinne für das ethische Bewußtsein
entscheidende Moment zur Geltung, daß es seine Tätigkeit
unmittelbar als die Verwirklichung der Gottesgemeinschaft
wissen kann" (S.116). Auch „orthodoxe Offenbarungstheolog
ie" (S. 118) wird verstanden als Modus von
Bewußtseinstheologie. „Weil der Einzelne an und für sich
seine Einheit mit dem allgemeinen Subjekt in der Welt
nicht wissen kann, transformiert Barth den Trotz des
Einzelnen in das Bekenntnis zum Wunder" (S. 126).

Groll beurteilt den so interpretierten Barth affirmativ,
als fortschreitende „Aufklärung". Zwar hätte Barth keinen
Grund gehabt, in KD IV, 1, 423ff. Troeltschs .Glaubenslehre
' als ..Gerede" zu disqualifizieren und für sich
selbst eine „ernsthafte theologische Arbeit von ganz anderswoher
" in Anspruch zu nehmen: Auch Troeltschs
.Glaubenslehre' war „Selbstdarstellung des aktuellen
christlichen Selbstbewußtseins" (S.135), und Barths Dog-
matik kann für Groll nichts anderes sein (vgl. S.134).
Einen Fortschritt der Aufklärung sieht Vf. indes bei Bart h
vollzogen, u. zw. entscheidend im Tambacher Vortrag
,Der Christ in der Gesellschaft' (vgl. S. 118): Hier ist die
Position des allgemeinen Subjekts durch Christus besetzt
. .Christus in uns' als allgemeines Subjekt bedeutet
aber wie ein schöpferisches Ja, so ein kritisches Nein
(Vortr. I, 34); „denn Christus ist immer auch für die andern
, für die, die draußen sind, gestorben" (Barth am gl.
0.), weshalb sieh die Gesellschaft so wenig klerikalisieren
laßt, wie sich Christus nicht säkularisieren läßt (Barth ib.
S. 36.38). Fazit des Vfs.: „daß der Einzelne sich unmittelbar
nur so in Einheit mit dem allgemeinen Subjekt stehend
wissen kann, daß er mittelbar alle Menschen durch das allgemeine
Subjekt bestimmt sein läßt" (S. 123).

Soll diese Aufklärung keine Säkularisierung Christi bedeuten
- und eine solche kommt für Barth besagtermaßen
nicht in Frage -, dann muß Barth zuerkannt werden, daß
er den bewußtseinstheologischen Horizont gesprengt hat,
vielmehr ihn sieh hat sprengen lassen, dann muß man mit
Barth Theologie (immer auch) Doxologie sein lassen. Diese
Dimension sollte in Sicht kommen, wenn Barths Theologie
als „Aufklärung des Selbstbewußtseins darüber" gesehen