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Ausgabe:

1978

Spalte:

285-287

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dembowski, Hermann

Titel/Untertitel:

Einführung in die Christologie 1978

Rezensent:

Gerber, Uwe

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285

Theologische Literat ur/.citung 103. Jahrgang 1978 Mr. 4

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auch gleichzeitig äußerst wichtige Verschiedenheiten aufweisen
. In der „Unendlichkeitsmystik" stiebt der Mensch
naeh ekstatischen Höhenlagen, in denen die eigene Ichidentität
ausgelöscht wird (Plotinos, Eckhart, Shankara
usw.). In der „Persönlichkeitsmystik" trifft der Mensch
mitten in der Geschichte und vielleicht mitten im Leiden
auf den persönlichen Gott, ohne deshalb außerhalb der
Grenzen des normal wachen Bewußtseinszustandes zu treten
(Luther, Pascal, Kierkegaard). Zwischen diesen Extremen
liegen dann alle Zwischenformen. Ihre Positionen
können im Verhältnis zu den beiden Polen genauer bestimmt
werden.

Mit dieser Distinktion als Ausgangspunkt unternahm
Söderblom u. a. seine vielen Lutherstudien. Es kann interessant
sein, dieses Faktum zu unterstreichen, da er nämlich
in großen Zügen schon vor ungefähr 70 Jahren das
aufgezeigt hat, worauf Hoffman unsere Aufmerksamkeit
durch seine Studie richten will. Mit Hilfe seines Orientierungsinstrumentes
konnte Söderblom in vielen Hinsichten
größere Klarheit schaffen als dies Hoffman gelang. Mit diesem
Hinweis wollen wir aber keinesfalls den Wert der Arbeit
Hoffmans diskreditieren. Wir wollen aber aufs neue
unterstreichen, wie wichtig es ist, daß systematische Theologie
und Religionspsychologic zusammenarbeiten.

Der Gesamteindruck bezüglich Hoffmans Buch ist -
trotz der vielen kritischen Anmerkungen - sehr positiv.
Die Darstellung ist sehr anregend und verdient wirklich
allgemeine Beachtung und fortgesetzte Debatte. Denn
seine Deutung ist in Bezug auf die theologische Forschungssituation
und Luthers Religion doch durchaus richtig.

Malraö Ilans Akerbcrg

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Dembowski, Hermann: Einführung in die Christologie. Mit einem
Beitrag von W. Breuning. Darmstadt: Wissenschaftliehe Buch-
gosellschaft 1976. IX, 221 S., 1 Tabelle 8° = Die Theologie.
Einfülmingen in Gegenstand, Methoden und Ergebnisse ihrer
Disziplinen und Nachbarwissenschaften. DM 38,50.

I. Diese „Einführung" klärt in einem ersten Teil ab, inwiefern
Christologie als Bekenntnis und als wissenschaftliche
Arbeit auf das biblische, kirchlich vermittelte Bekenntnis
zu Jesus von Nazareth zurückverweist. An dem
Text Mk 8,27-34 wird exemplarisch gezeigt, daß Christologie
„Rede von Menschen ist, die sich zu Jesus als dem
Christus bekennen". Jesus selbst provoziert Christologie,
die als implizite der Verkündigung, dem Verhalten und
Handeln Jesu zugrunde liegt und nach Ostern als explizite
Christologie in Bekenntnisformeln, Titeln, Erzählungen
usw. in Erscheinung tritt. (Hier hätte man sich einen ausführlichen
Vorweis auf Marxsens Beiträge gewünscht.)
Voraussetzungen solcher Christologie sind:

1. „Jesus in seiner Provokation"

2. der Glaube als ein Grundvertrauen, „das sich auf
Jesus als Verläßlichen verläßt"

3. die Sprache des Glaubens

4. bestimmte, kulturgeschichtlich geprägte Interpreta-
tionsmodello wie Menschensohn, Erlöser, Heiland

5. der mit jeder christologischen Aussage gesetzte Widerspruch
gegen Christologie

6. nichf-ehristologische Faktoren wie politische, soziale
Konstellationen (22ff.).

Wie geht nun Christologie als „verant wortete Behauptung
" von Jesus als dem Heilbringor Gottes mit solchen
Voraussetzungen um, wenn sie als Hinweis, Entwurf und
[nterpretaf ion das ehristologische Feld absteckt zwischen
dem Bezug auf Jesus, auf den Menschen und dessen Welt
and Z"it. dem Widerspruch gegen Christologie sowie der

Gemeinschaft der Christus-Glaubenden? Diese Frage wird
doppelt aufgenommen: zuerst als Entfaltung der christologischen
Vorgabe (= ehristologische Überlieferung vom
NT bis zur Gegenwart, S. 54-211) und dann als Darstellung
der christologischen Aufgabe (S. 211-221).

2. ehristologische Überlieferung ist möglich und notwendig
in Gestalt christologischer Dialekte (S.69ff.), die
auf Jesus, sein Leben, Wirken, Leiden, auf seine Autorität
und Provokation antworten (S.54ff.). Der Versuch, Jesus
mit Gott und Heil zusammenzusprechen, führt von der
soteriologischen Einstellung der Urgemeinde weiter zu
Aussagen über das seinsmäßige Verhältnis von Gott-Vater
zu seinem Sohn (Konstantinopel 381, 69ff.) und der beiden
Naturen in der einen Sohn-Person (Chaleedon 451, lOOff.),
in der zwar der Logos das personbildende Element ist
(Konstantinopel 553), aber zwei Willen sind (Konstantinopel
681).

3. Im Westen stand das soteriologisch-juristisehe Denken
stärker im Vordergrund (117ff.), in gewisser Affinität
zum nestorianischen Denken, so daß hier Jesus als Heil-
bringer oder (in Anlehnung an die von Calvin ausgebaute
Dreiämterlehre) als Prophet (Offenbarer), König (Herr)
und Priester (Erlöser) verehrt und prädiziert wurde
(121 ff.). Die Reformatoren nehmen diese Traditionen
ihrerseits mehr nestorianisch (Zwingli), mehr cyrillisch
(Luther) oder chalcedonensisch (Calvin) auf - unter dem
Aspekt der schenkenden Gerechtigkeit Gottes (Rom
l,16ff.), nicht der bloß fordernden iustitia Dei (133ff.).
Die lehrhafte Ausgestaltung der Christologie in der Folgezeit
: von der Trinitätslehre über Präexistenz, Inkarnation,
Zweinaturen- und Genus-Lehre (Person) bis zur Dreiämterlehre
(Werk) mit der Zweiständelehre (143ff.), die
aristotelisch gefärbte Systemat isicrung findet schärfste
Kritik bei den „Sozialen" (Schwärmer usw.) und bei ih n
ebionitisch denkenden „Humanitären" (Servet, Sozinia-
nor). Die sich darin aussprechende ehristologische Konzentration
auf die Erlöselfunktion Jesu Christi und an-
thropologiseheBetonungderpraxis pietatis hält sieh durch
sowohl im Pietismus (148ff.) als auch in der historisch-
kritischen „Destruktion" der Christologie in der Aufklä-
rungsepoche (150ff.), die die „radikale Fraglichkeit als
selbstverständliche Voraussetzung von Christologie ... an
die Stelle dogmatischer Verbindlichkeiten" setzt (154):
Jesus als wirklicher Mensch. Die folgende kritische Jesusforschung
, die Mythos-Kritik, die Entdeckung der Escha-
tologic und der Umweltbedingtheit Jesu brachten einerseits
Destruktion, andererseits aber auch methodisch gr.
sichertes Wahrnehmen der Überlieferung von Jesus.

4. Die christologischen Bemühungen ab 1800 lassen sich
im Blick auf die drei Epochen des Neuprotestantismus,
der Dialektischen Theologie und der Absage an diese in
zwei Modelle einteilen: entweder geht man von einem umfassenden
Geschichts-, Gottes- oder Seinsbegriff aus und
expliziert dann die Christologie, Soteriologie und Anthropologie
usw. - so bei Hegel, Troeltsch, Barth, Möllmann.
Altizer und Pannenberg (158ff.). Oder man geht vom dialogischen
, existentiellen Gott-Mensch-Bezug aus und entfaltet
Christologie als Medium der Selbstwerdung des
Menschen - so bei Schleiermacher, Herrmann, Bultmann,
Ebeling, (durch Tillich beeinflußt) van Buren, Braun und
Solle.

5. Entsprechend wird das Heil stärker als ein universales
Geschehen gedeutet, an dem der Mensch Anteil erhält
und in das er sich aufnehmen läßt - oder als Zuwendun^s-
ereignis, das dem Menschen in seinem Gewissen Vertrauen
abgewinnt (178ff.). Beide Siehtweisen haben gleichermaßen
die Frage nach dem gnädigen Gewissen, dem gnädigen
Nächsten, den gnädigen Verhältnissen und der gnädigen
Welt zu beantworten. Um diese Frage zu beantworten,
muß zugleich die Grundfrage nach Gott als Krage nach der
Notwendigkeit von Christologie überhaupt gestellt, entfaltet
und beantwortet werden (186ff.).