Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1978

Spalte:

277-279

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Cheney, Christopher R.

Titel/Untertitel:

Pope Innocent III and England 1978

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

277

Theologische Literaturzeit ung 103. Jahrgang 1978 Nr. 4

278

gen die von E.Norden beobachtete Stilistik des orientalischen
Prädikationsstils, insofern die Verben zweimal am
Zeilenanfang und zweimal am Zeilenschluß erscheinen.
Daß dies nicht notwendig ist, haben die von B. zurückgewiesenen
älteren Gliederungsversuche gezeigt . Ich kami
ihm hier nicht folgen.

Daß auf einem so komplizierten Feld wie der Hymnenforschung
, in welcher sich Sprachfeldbestimmungen, Beobachtungen
zu Stil, Rhythmus und Grammatik, allgemeine
literarkritische Gesichtspunkte (Nachweis des Zitat-
Charakters), religionsgeschichtliche und liturgiegeschichtliche
Erwägungen und anderes mehr die Hand reichen
müssen, wenn man auch nur kleine Schritte erzielen will,
echte Erkenntnisse nur spärlich und langsam heranreifen,
ist bekannt. Das soll nicht den Pessimisten bestätigen, der
schon immer wußte, wie wenig hier zu erreichen sei, sondern
zu hohem Dank denen gegenüber verpflichten, die
sich der außergewöhnlich schwierigen Aufgabe dennoch
widmen. Wer Anleitung zu diszipliniertem Vorgehen erhalten
möchte, wird das vorliegende Buch mit Gewinn
benutzen.

Für rezitatives yay habe ich keinen Beleg genannt l
Fehlt in der von B. benutzten Auflage meines Buchs2 S. 16?

Boredorf bei Leipzig Gottfried Schille

1 H. Merklein, Zur Tradition und Komposition von Eph. 2,14-18, BZ NF 17,
1973, S. 79-102. 1 G. Schillo, Frühchristliche Hymnen, Berlin 1962 und 1965.

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Cheney, Christopher R.: Pope Innocent III and England. Stuttgart:
Hiersemann 197G. XII, 433 S. gr. 8° = Päpste und Papsttum,
in Verh. m. R. Elze, O. Engels, W. Gessel, R. Manselli, (i. Müller,
T. Nyberg, W. Ulluiann, E. Weinzierl, P. Wirth u. H. Zimmermann
hrsg. v. G. Denzler. 9. Lv. DM 100,—.

Die großangelegte Monographie geht ein Problem an,
das die Fachwelt bereits seit Generationen beschäftigt
hat.1 Ch. verdeutlicht dies im Vorwort und behandelt hier
vor allem die Schwierigkeiten der Quellenlage, die durch
den mangelhaften Erhaltungszustand zahlreicher Sparten,
so auch der Papstbriefe in den Vatikanischen Archiven,
sowie durch die kontroverse Wertung zahlreicher Ereignisse
und Motivationen bereits im damaligen Europa charakterisiert
ist. In den Vordergrund seiner durch zahlreiche
eigene Arbeiten vorbereiteten Untersuchung wollte Ch.
vor allem die päpstlichen Initiativen der England-Politik
- so die kirchlichen .,Freiheiten" oder die Kreuzzugsappelle
- stellen; es ist zu betonen, daß er letztlich die Gesamtheit
der päpstlichen Beziehungen zu England, wenn
auch mit unterschiedlicher Intensität, unter die Lupe
nimmt, wobei sich zahlreiche Ansätze ZU einer differenzierteren
Einschätzung des Papstes selbst ergeben.

Nach einer kurzen Darstellung der unter Innozenz III.
stark ausgebauten Kurie wird die Haltung der englischen
Könige (Richard T. und Johannes I.) sowie des englischen
Klerus und der Laienschaft mit ihren zahlreichen Wandlungen
gegenüber Rom charakterisiert, und die beiderseitigen
Beziehungen erhalten eine erste Beleuchtung. In
einem zweiten Teil stehen die päpstlichen „Prärogativen"
und Forderungen gegenüber England, insbesondere aber
die Eingriffe in die - von Krone wie Kurie meist mit gleichem
Interesse beachteten - oft über Jahre hinweg strittigen
Bischofswahlen zur Debatte: auch die Beziehungen
des Papstes zu den englischen Klöstern beanspruchen
einen eigenen Abschnitt. Die papstliche Einflußnahme auf
die englische Teilnahme am vierten und fünften Kreuzzug
sehließt den zweiten Teil ab.

Der gewichtige dritte Teil konzentriert sich auf „Poli-
tics" und beleuchtet vor allem die Beziehungen zwischen
England und Frankreich (die durch den Verlust fast aller
englischen Besitzungen auf dein Festland im Gefolge der

Schlacht von Bouvines von 1214 gekennzeichnet sind);
auch der Thronstreit im Reich wird ausgeleuchtet, da Johanns
Beziehungen zu seinem Neffen Otto (IV.) in viele
wichtige Ereignisse eingreifen. Dann werden die weitreichenden
Folgen des Interdiktes über England und der
„freiwilligen" Vasallenstellung Johanns gegenüber dem
Papst, vor allem im Hinblick auf die Durchsetzung der
Magna Charta Libertatum, erörtert, die der König zunächst
anerkannt hatte (S.375: „It was a compromise
aeeepted grudgingly by a king of autoeratie temper and a
group of embittered, bellicose barons"), dann jedoch
„gemeinsam" mit dem Papst bekämpfte.

Ch. begründet seine Positionen in sehr detaillierter
Weise, wobei die eindringliche Wiedergabe und Interpretation
der zeitgeschichtlichen Quellen, normalerweise
auf englisch, gelegentlich zusätzlich mit der lateinischen
Fassung, zum Mitarbeiten anreizt. Auch die sorgfältige
Charakterisierung der Hauptakteure dieser für England
wie für die zur Weltgeltung aufsteigende Kurie sehr einschneidenden
Epoche hilft dort weiter, wo man neben den
Ideen und Ereignissen die Träger und Repräsentanten
sucht: So werden neben Innozenz und den englischen
Königen auch die französischen Herrscher Philipp IL,
August und Ludwig (VHI.) in wesentlichen Zusammenhängen
gewürdigt. Von Bedeutung sind auch die päpstlichen
Legaten (so Nikolaus von Tusculum), mehr noch
die führenden englischen Geistlichen, unter denen Stephen
Langton als Erzbischof von Canterbury vor allem deshalb
herausragt, weil sich an seiner Wahl der Streit zwischen
König und Papst entzündet hat. Geschickt taktierend, hat
er zusammen mit einer „mittleren" Gruppierung von Baronen
und Bischöfen den Kompromiß von Runnymede
mit erwirkt, den die eigentlichen „Rebellen" gegen den
königlichen Lehnsherrn und den päpstlichen Oberlehnsherrn
so nicht zu tragen bereit waren. Eine nüchterne
Würdigung wie die vorliegende konnte gerade des prosopo-
graphischen Materials, das ein wichtiges Fundament darstellt
und die bekannteren Ereignisse über die individuellen
und kollektiven Motivationen oft erst ins rechte Licht
rücken hilft, kaum entraten.

Daß sich Innozenz III., der natürlich am ehesten durch
seine Ketzerverurteilung, seine Kreuzzugswerbung, sein
Eingreifen in die imperiale deutsch-italienische Politik sowie
durch das Zustandebringen des vierten Laterankonzils
vom November 1215 weiterlebt , auch mit seinen auf England
gerichteten Aktivitäten Gewicht verschafft hat, vermochte
Ch. an vielen Einzelpositionen genauer ins historische
Blickfeld zu rücken. Dabei wird klar, daß der Papst
in seinen geistlichen wie weltlichen Bemühungen um «las
„entlegene" England oft durch falsche oder verspätete
Nachrichtenübermittlung beeinflußt war und mithin nicht
selten zu Schlußfolgerungen und Forderungen gelangte,
die sich nicht oder doch nur für kurze Zeit behaupten ließen
. Mit Recht scheint mir Ch. hervorzuheben, daß der
Papst auch mit der Unterwerfung König Johanns als
„Lehnsmann" - einer Aktion, die nicht selten mit dem nur
äußerlich imposanteren Canossa-Gang Heinrichs IV. (direkte
und damit für den Kaiser demütigendere Begegnung
mit Gregor VII.!) verglichen worden ist - nicht allzuviel
erreicht hat. Die überwiegende Meinung der modernen
Forschung, daß die Initiative zur Belehnung vom König
selbst, nicht vom Papst, ausgegangen sei, faßt er denn
auch, obgleich vorsichtig, mit folgenden Worten zusammen
: „King John had pressing reasons for making him-
self t he pope's man. By doing so, he imposed on Innocent
ITT a legal Obligation to support him activoly against Iiis
political enemies, Tf the original idea was John's, it rnust
bc aeclaimed a diplomatie stroke of genius" (S.335). Vielleicht
sollte man hinzufügen, daß Johann es bei allen politischen
Behinderungen noch relativ leicht hatte, sich den
päpst liehen Ansprüchen zu fügen, zumal die seinerzeitigen
Kaiser die inzwischen entwickelte Translationstheorie, die
den jeweiligen Papst auch zum „verus imperator", also