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Ausgabe:

1978

Spalte:

270-271

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Panagopoulus, Joannes

Titel/Untertitel:

Der Prophet von Nazareth. Historische und theologische Untersuchung der Vorstellung von Jesus Christus in den Evangelien (griech.) 1978

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Liternturzeitung H'3. Jahrgang 197S Xr. 4

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Bestimmung des religionsgeschiehtlichen Hintergrunds
von IKor 1-3 nicht minder wichtig wie der sorgfältig
durchgeführte Vergleich des philonischen ziUioi und des
Pneumatikers bzw. vapis bei Paulus. Die einen weitgehenden
Konsens ausdrückenden Gegenüberstellungen (dort
autfia durch Gottesschau, hier mitgeteilt im Rahmen der
Verkündigung; dort Erkenntnis des Seins Gottes, hier seines
Handelns; dort Vermittlung göttlichen Wesens, hier
Pneuma als von Gott stammende Gabe) begründen das
Urteil, daß Philos Sprachgebrauch nur als Vorstufe zur
paulinischen Theologie gewertet werden kann, nicht jedoch
als direkter Sprach- und Vorstellungshorizont .

Im Corpus Hermeticum gibt es eine formale Entsprechung
zwischen dem fov; als Erkenntnisorgan und der
Funktion des nveupa in IKor 2,12ff., jedoch weder die
Gegenüberstellung von nvsSpa und adyt noch die Über-
ordnung des n>>ei)pa über die <^<#if. Erst in den in großer
Breite herangezogenen übrigen gnostischen Texten4
findet sich nicht nur die Vorstellung entgegengesetzter
Menschenklassen, sondern auch ihre Bezeichnung als
Pneumatiker undPsychiker, die Gleichsetzung der :ivev[ia.
itxoi und der xeXeioi, der ünyiy.oi und der oayxixoi; hier trifft
man auch die Anschauung, daß der Pneumatiker sich vom
Psychiker durch die Erkenntnis der geheimen Weisheit
unterscheidet . Die eigentliche crux der Heranziehung gno-
stischer Quellen zur Interpretation neutestamentlicher
Aussagen ist freilich auch vom Vf. nicht aus dem Wege geräumt
, nicht einmal ernstlich diskutiert. Alle diese Texte
stammen aus nachchristlicher Zeit und müssen sich die
Frage gefallen lassen, wie weit sie selbst durch die neu-
testamentliche Terminologie beeinflußt sind.

Es zeigt sich aber auch, daß der Vf. jenseits der durch
diese Unsicherheit bezeichneten Problematik dank seines
abgewogenen Urteils zu Erkenntnissen kommen kann, die
über das von seinen Vorgängern Erarbeitete hinausführen.
Das gilt vor allem für den abschließenden, sehr knapp gehaltenen
exegetischen Teil (S. 207-229). Traditionsgeschichtlich
stellt sich ihm der oft als Fremdkörper empfundene
Abschnitt 2,6-16 als ein im Kern der Herkunft
nach unpaulinischer Überlieferungskomplex dar, ein Stück
von Paulus adaptiert, um von den Voraussetzungen seiner
Gegner aus und somit auf indirektem Wege zu argumentieren
. Damit fällt auf den ganzen Komplex neues Licht.
Paulus nimmt in ihm die Schlagworte der korinthischen
Selbstbezeiclmung auf, bringt aber unter Verwendung der
üiiostischen Bagrifflichkeit die Kritik an seinen Gegnern
vor. Die korinthischen „Pneumatiker" sind eigentlich
./Psychiker", stehen durch ihre Ablehnung des Kreuzes
Christi mit den Nichtchristen auf oiner Stufe. Dennoch
läßt er sich nicht auf die Vorstellung eines wesenhaf t en
Gegensatzes von Pneumatikern und Nichtpneumatikern
ein. Er kennzeichnet die Korinther als Unmündige, d. h.
für ihn als Noeh-nicht-Pneumatiker. Es bleibt die Frage ;
weiui ohnehin ein Funktionswandel der tragenden Begriffe
anzunehmen ist, kann er nicht auf einen Vorstel-
fungshorizonl bezogen .sein wie er bereits in der Anthropologie
des hellenistischen Judentums gegeben ist ? Theologisch
mündet das Problem ein in das schier unaussehöpf-
baro Thema der Beziehung von Indikativ und Imperativ
bei Paulus wie schon 70 Jahre zuvor gleichfalls in einer
Marburger Dissertation, der Erstlingsarbeit von W. Bauer6,
erkannt wurde. Der Autor, dessen Arbeit den seither erreichten
quantitativen (in der Erschließung des religionsgeschiehtlichen
Vergleichsmaterials sichtbaren) und qualitativen
(mit der Verfeinerung des methodischen Instrumentariums
gegebenen) Fortsehritt demonstriert, tat gut
daran, diese Perspektive deutlich zu machen.

tt»M (8Mb) Wolfgang Wiefel

1 Weisheit und Torheit, BHTh 2«, Tubingen 195!); vgl. Rcz. K. Lohse ThLZ 85,
1 !)<!0 Sp. 357-359.

■ Mitte und Norm des Christlichen. Kine Auslegung von 1. Kor. 1.1 3,1 NTA
JTF 5, Munster 1968; vgl. T!ez. U. Lux ThLZ 95, 1970 Sp. 354f.

■ vgl. zuletzt L. Schottroll. Der Glaubende und die feindliche Welt, W'MANT
37, Neukirchen 1970, bes. der Abschnitt: Die paulimsche Auseinandersetzung
mit dualistischer Christologie in IKor 1,18-2,16 (S. 170-227).

4 Herangezogen werden: das Eingangsgebet der Mithrasliturgie, der Bericht
des Irenaus über die Valentinianer (I, 7, 1; I, 21, 4), die Naassenerpredigt; die
Schrift vom WeBen der Archonten (vgl. ThLZ 83, 1958 Sp. 661-670, das Apo-
kryphon Johannes, das Philippusevangelium, das Evangelium veritatis, die
Sophia Jesu Christi.

* Mündige und Unmündige bei Paulus, jetzt in: Aufsätze und kleine Schriften,
Tübingen 1967, S. 122-154; dazu der Vf. S. 15-18.

Panagopoulos, Joannes: '0 llQO(pr]iri s änö N«£a(>ez. Ioto(jcxi)
xai QtvXoyixfj (isieiq lijs nepi 'htaov Xyiotoi tixuvog tu»'
EvayytUüH'. (Der Prophet von Nazareth. Historische und theologische
Untersuchung der Vorstellung von Jesus Christus in den
Evangelien.) Athen: Gregorios K. Parisianos 1973. 226 S. gr, 8°.

Das vorliegende Buch, für dessen späte Anzeige der Rezensent
um Entschuldigung bitten muß, ist die Habilitationsschrift
des Athener Neutestamentiers J. Panagopoulos
. Es zeigt uns eine Möglichkeit der „Frage nach Jesus"
unter den Voraussetzungen der griechisch-orthodoxen
Tradition, jedoch in Fühlungnahme mit der „kontinentalen
" Bibel Wissenschaft.

Wie schon der Titel erkennen läßt, ist es das Anliegen
des Buches, Wesen und Werk Jesu unter der Kategorie des
„Propheten" zu deuten - eine Kategorie, die etwa auch
E. Käsemann versuchsweise an Jesus anlegte (Exegetische
Versuche und Besinnungen I, S.209f.), ohne sie jedoch als
zureichend zu empfinden. P. will unter diesem Stichwort
nicht die vom Volk an Jesus herangetragenen Erwartungen
(vgl. O.Oullmann) oder eine frühe nachösterliche Titulierung
(vgl. F.Hahn) herausstellen; es geht ihm um das
eigene Selbstbewußtsein Jesu. Dabei liegt ihm nicht an
dem Nachweis, daß Jesus die Bezeichnung „Prophet" auf
sich angewandt habe. Vielmehr will er zeigen, daß Jesus in
allen wesentlichen Punkten seines Wirkens von prophet i-
BOhem Bewußtsein erfüllt war. Berufungs-, Sendungs- und
Vollmachtsbewußtsein, insbesondere aber die Bereitschaft
/.um Leiden (daß Jesus sich als den „Leidenden Gottesknecht
" von Jes 53 verstanden habe, steht für P. außer
Frage; S. 139-144) werden in diesem Rahmen dargestellt.
Dabei wird der Begriff des „Propheten" so st ark erweitert ,
daß er im Grunde alle wesentlichen christologischen Aussagen
in sich aufnehmen kann, so insbesondere auch den
Ausschließlichkeitsanspruch und das - johanneisch verstandene
- Sohnesbewußtsein, das dem einzigartigen Verhältnis
Jesu zum Vater entspricht und sich z. B. in seinem
Beten äußert. „Jesus ist das Zentrum der neuen Wahrheit,
der endgültigen Offenbarung, d. h. ei ist nicht nur ihr Verkünder
, sondern auch ihr Inhalt" (S. 163), er ist das „spezifische
Werkzeug der Offenbarung und der Erfüller des
Willens Gottes" (Rückentext).

P. sieht es so, daß das Urgestein der Überlieferung Jesus
als diesen Propheten gezeichnet habe, daß diese Charakterisierung
aber im Laufe der nachösterlichen Tradition anderen
christologischen Titeln Platz machte, die jene Inhalte
übernahmen. Mir scheint eher, daß hier die Kategorie
des „Propheten" von der neutestament liehen Christologie
her in einer Weise gefüllt bzw. überfüllt wird, daß sie in
irgendeinem religionsgeschichtlich vertretbaren Sinne
nicht mehr verstanden werden kann; sie wird zum Index
der Analogielosigkeit Jesu, hat also für P. letztlich bibel-
theologisch-dogmatischen Sinn. Dabei ist Analogielosigkeit
nur die eine Seite der Sache; andererseits ergibt sieh
die Möglichkeit, mit Hilfe dieser Kategorie eine heilsgeschichtliche
Zusammenschau von AT, NT und Kirche
zu erreichen.

Wir erfahren im Vorwort, daß das vorliegende Buch den
mit t leren Teil einer geplanten umfassenden Untersuchung
zur Prophetie in der Bibel darstellt, deren erster und dritter
Teil sich mit dem Wesen der Prophetie im AT bzw. mit
der christlichen Prophetie befassen sollen. Demgemäß beginnt
auch das vorliegende Buch mit einem Teil 1: „Die
Krisisder Alten Prophetie" (S. 21-55), der den Niedergang