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Ausgabe:

1978

Spalte:

212-215

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Feld, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Verstaendnis des Abendmahls 1978

Rezensent:

Brunner, Peter

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1932 am Leitfaden des Begriffes der Entscheidung nach. Er
prüft, wie sich darin „theologische Dialektik und politischer
Dezisionismus" zueinander verhalten (61—114). Die
frühen Schriften „Fichte als religiöser Denker" (1914) und
„Religion und Volkstum" (1915) zeigen, was später als Ergebnis
festgehalten wird: „Gogartens Theologie hatte ihre
Wurzeln in der romantischen Vorstellungswelt, derzufolge
die Heilung und Restitution der Welt als geordneter
Schöpfung inmitten einer in Auflösung befindlichen Welt
einzig durch die Wiedergeburt aus dem Geiste der Religion
und Gläubigkeit sich herstelle. Sie stand von Anfang an in
der Nähe des romantischen Irrationalismus, aus dem letztlich
auch die Ideologie des Nationalsozialismus erklärt
werden kann" (161). Man muß diesen Satz allerdings wörtlich
verstehen. Die Gedankenwelt von Arthur Bonus, Paul
de Lagarde u. a. und der in dieser Optik gesehene späte
Fichte sind gleichsam das Erdreich, in dem die Wurzeln
von Gogartens Theologie liegen. Sie sind nicht die Substanz
dieser Theologie selbst. Leider wird der theologische
Umbruch, der sich in den Aufsätzen der Jahre 1920/21 spiegelt
, nicht hinreichend charakterisiert. Strohm kritisiert
zwar zu Recht die extrem passive Bestimmung des Menschen
in dieser Phase, aber es ist nicht überzeugend, wenn
das Reden vom Gegensatz zwischen Gott und Welt von
vornherein als „Opposition gegen das neu installierte politische
System" verdächtigt wird (80). Gogarten wollte erklärtermaßen
an dem „Ineinander von totalem Werten und
totalem Entwerten der Welt" festhalten („Die Krisis unserer
Kultur", 1920). Politische Option für konservatives
Denken läßt sich erst dort nachweisen, wo der abstrakte
Radikalismus des Anfangs konkretisiert wird. Gogarten
hat damals in fortschreitender Vertiefung das dem Ich begegnende
Du, die Wirklichkeit von Stand und Ordnung
und zuletzt das verbindliche Leben in der Polis als den Ort
gedeutet, wo dem Menschen das Gesetz Gottes begegnet.
Soziale und politische Bestrebungen, die solche Bindungen
der Menschen herzustellen versprachen, gewannen damit
theologische Dignität. Die theologisch angesetzten Begriffe
von Hörigkeit, Autorität und Gehorsam wurden politisch
akzentuiert und in scharfer Polemik gegen die aufgeklärte
Geisteshaltung und deren kulturelle und politische Gestaltungen
ins Feld geführt.

Mit dem Erscheinen der „Politischen Ethik" 1932 und
den Kampfschriften der folgenden Jahre hat sich Gogarten
so weit festgelegt, daß es möglich wird, „das theologische
Modell der politischen Ordnung und seine gesellschaftliche
Funktion" systematisch zu interpretieren (Teil III, 115 bis
160). Gogarten verknüpft die Herrschaft Gottes mit der
Herrschaft des Staates in der Weise, „daß die Herrschaft
Gottes nicht bezeugt werden kann, ohne daß zuvor Herrschaft
in einem analogen Sinn über Menschen ausgeübt
wurde" (124). Er will der Gefährdung des modernen Menschen
und seiner Entfremdung vom christlichen Glauben
so begegnen, daß er den totalen Staat als notwendige Zwischeninstanz
einschaltet. Durch ihn wird das Bösesein der
Menschen nach seinen äußeren Wirkungen gebannt und
das Wissen um die gegenseitige Verantwortung wachgehalten
. In ihm soll die Kirche dieses Wissen auf Gott hin
öffnen und so zugleich die Hoheit des Staates über alles
Irdische bestätigen und nach dem Religiösen hin begrenzen
. Gogartens Stellung 1933 war unter diesen Voraussetzungen
„theologisch klar und folgerichtig motiviert...
unter gleichzeitiger Abwehr der Elemente, die sich in diese
Motivation nicht fügen konnten" (159). Er hat die Ablösung
der Demokratie durch die faschistische Diktatur begrüßt,
sich aber „entschieden gegen alle Versuche einer nationalistischen
Begründung des Staates gewandt und gleichzeitig
allen Zeitströmungen entgegen die Rasseideologie als grausige
Perversion verurteilt" (151). Diese Entscheidung ist
nur so erklärbar, daß sie auf einem Staats-, Gesellschaftsund
Menschenbild aufruht, das über den theologischen
Funktionszusammenhang hinaus inhaltlich aufs stärkste
mit dem Ideengut der konservativen politischen Romantik

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verbunden ist. Das hat Paul Tillich bereits 1933 notiert,
und Strohm belegt es umfassend mit vielen Vergleichen in
der zeitgenössischen Literatur.

Es folgt noch ein kürzerer „Ausblick auf das theologische
Werk Gogartens seit dem Ende des zweiten Weltkrieges"
(161—191). Der Vf. würdigt den „Neuansatz" „in der Betonung
der Mündigkeit als der eigentlichen Verfassung des
Menschen" (178 ff.). Er findet in dessen Durchführung
allerdings auch bestimmte konservative Züge wieder, so
die „radikale Abwehr jeglicher Form utopischen Denkens"
und die Bevorzugung der personalen Lebenswelt, die leicht
zur „Distanz und Ratlosigkeit angesichts der Gegenstandswelt
." wird (187 ff.).

Wir haben in dem Referat bereits angedeutet, worin wir
Schwerpunkt und Bedeutung dieser Untersuchung sehen:
in dem Aufweis der politischen und theologischen Dimensionen
von Gogartens Stellung im Jahr 1933. Hier ist die
Beweisführung dicht und überzeugend. Sie bleibt es nicht
im gleichen Maße, wo sich der Vf. von diesem Zeitraum
entfernt. Widerspruch gegen seine Einschätzung der Erstgestalt
von Gogartens dialektischer Theologie haben wir
oben schon angemeldet. Im I. Teil stehen ganz abwegige
Behauptungen über Schleiermacher (39 ff.; 51), dessen „Reden
" man übrigens nicht nach einer obskuren Ausgabe „in
verkürzter Gestalt" zitieren sollte (40, Anm. 62). Auf S. 86
wird dem Leser zu glauben zugemutet, daß sich „ein Großteil
der innerkirchlichen Gegensätze bis in die Gegenwart
hinein" vom Ausbleiben der Parusie herleiten lasse. Ungleich
wichtiger ist es, daß der Vf. eine Reihe von jüngeren
Arbeiten, die aber 1970 schon vorlagen (Ernst Wolf nennt
die Titel im Vorwort), nicht mehr in die Auseinandersetzung
einbezogen oder noch besser durch eine Überarbeitung
seines Textes berücksichtigt hat3. Hier finden sich
gründliche Analysen von Gogartens Theologie, die nun mit
den Anfragen des Soziologen vermittelt werden müssen.
Das wird das Bild ausgewogener gestalten, als es der frühe
Vorstoß von Strohm nach der damaligen Forschungslage
leisten konnte und wollte.

Berlin Traugott Vogel

1 Neuere deutsche Geschichte und protestantische Theologie, EvTh
23, 1963, 510-536.

2 EvTh 25, 1965, 169.

3 Vor allem: R. Weth, Gott In Jesus. Der Ansatz der Chrlstologie
Friedrich Gogartens, FGLP10, XXXVI, München 1968 und K.-W.
Thyssen, Begegnung und Verantwortung. Der Weg der Theologie
Friedrich Gogartens von den Anfängen bis zum zweiten Weltkrieg,
HUTh 12, Tübingen 1970 (als Dissertation 1968).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Feld, Helmut: Das Verständnis des Abendmahls. Darmstadt
: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976. XXX,
144 S. 8° = Erträge der Forschung, 50. DM 31,50.

Vf. will „die wichtigsten Erträge der modernen Forschung
" zu den mit dem Abendmahl verbundenen Fragen
vorlegen und gelegentlich auch „weiterführende Fragerichtungen
" anzeigen. Das geschieht in drei Abschnitten:
A) Das Abendmahl im NT (73 Seiten), B) in der theologischen
und kirchlichen Tradition (46 Seiten), C) in Theologie
und Kirche der Gegenwart mit einem Anhang, der hinweist
auf Auswirkungen des Abendmahls im säkularen
Bereich der Philosophie und der Dichtung seit Beginn des
19. Jahrhunderts (16 + 6 Seiten). Das Schwergewicht liegt
deutlich auf A), ein Abschnitt, der gewiß unentbehrlich ist.
Wenn aber nach dem „Verständnis des Abendmahls" gefragt
wird, so richtet sich die Erwartung des Lesers doch
hauptsächlich darauf, wie das Abendmahl auf Grund der
exegetischen und dogmengeschichtlichen Forschung heute
in Theologie und Kirche verstanden wird und was in die-

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 3