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Ausgabe:

1978

Spalte:

208-209

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Autor/Hrsg.:

Milanesi, Giancarlo

Titel/Untertitel:

Religionssoziologie 1978

Rezensent:

Kretzschmar, Gottfried

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die 4 und ganz kurz die 10 berücksichtigt wird, sind die
Argumente für philonische Herkunft viel zu schwach.

Zusammenfassend gilt also: der Versuch des Nachweises
christlichen, womöglich origenistischen und philonischen
Einflusses auf Hierokles ist mißglückt — keine der herangezogenen
Stellen ist eindeutig christlich (auch die Schöpfungslehre
nicht). Das wertet aber das Buch in keiner Weise
ab, denn die Fülle seines Materials, die Unmenge feinster
philologischer und philosophischer Beobachtungen
und der Blick für das Gesamtwerk eines der wichtigsten
spätplatonischen Philosophen stellen das Werk unter die
besten Arbeiten zu dieser philosophischen Epoche. Auf das
im Schlußabschnitt versprochene Buch über die Nachwirkungen
Hierokles' in der Renaissance kann man sich mit
Recht freuen.

Carl Schneider t

Heizmann, Winfried: Kants Kritik spekulativer Theologie
und Begriff moralischen Vernunftglaubens im katholischen
Denken der späten Aufklärung. Ein religionsphilosophischer
Vergleich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1976. 183 S. gr. 8° = Studien zur Theologie und
Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts, 21. Kart. DM 38,—.

Die von B. Casper angeregte Augsburger Dissertation erschließt
ein — zumindest im Bereich protestantischer Forschung
— weithin unbekanntes Feld früher Kantrezeption
in dankenswert umfänglichem Maße, ein Feld, auf das bereits
der erste Kant-Biograph L. E. Borowski hinwies. Die
Fülle des hier aufgewiesenen und mitverarbeiteten Materials
zeigt vor allem der erste Teil des Literaturverzeichnisses
: nicht allein die Rezensionen zu Kants Schriften ab
1787 in den führenden katholischen Zeitschriften Süddeutschlands
, sondern gleichfalls die zu den Kantbüchern
der dargestellten Autoren werden alle aufgeführt.

Diese rege literarische Teilnahme der „Oberdeutschen
allg. Literaturzeitung" u. a. katholischer Organe an der
Kantdiskussion der Zeit verhilft dem ersten Teil des Buches
zu einem instruktiven Bild über „das katholische Denken
der späten Aufklärung". Überhaupt gewinnt man aus
diesem Teil eine gute Übersicht der politisch-geistesgeschichtlichen
und philosophisch-theologischen Aspekte des
spezifisch-katholischen Interesses an Kant wie auch seiner
Ablehnung.

Vor diesem mehr allgemeinen Bild diskutiert der dritte
und Hauptteil des Buches detailliert die Kantrezeption
einer Reihe von elf katholischen Autoren in den Jahren
1787—1800 (u.a.: M. Reuß, J. Neeb, J. M. Sailer; weitere
zeitgenössische Denker in Exkursen). In der methodischen
Beschränkung auf Kants „religionsphilosophischen Grundgedanken
" — die „Religion innerhalb ..." trat kaum noch
ins Bewußtsein dieser Männer — kreist die Darstellung um
die beiden Schwerpunkte der Kritik spekulativer Theologie
(Gottesbeweise) und des Begriffs moralischer Vernunftreligion
. Ihrer Vorbereitung dient schon der zweite
Teil: eine äußerst knappe, wenig originelle Exposition von
Kants eigenem Konzept, das bewußt nur so weit skizziert
wird, wie es Grundlage der katholischen Auseinandersetzung
gewesen ist.

Am Leitfaden wichtiger darin implizierter Probleme
(autonome Moral, Postulatenlehre, höchstes Gut, Vernunft
und Offenbarung) profiliert sich dann die Analyse der philosophisch
-theologischen Bemühungen um Kant. Die Klassifikation
der behandelten Autoren gestaltet sich nach dem
Grad ihrer Bejahung von Kants Denken — dem einschlägigen
Anti-Kantianismus ist ein eigener exemplarischer Abschnitt
gewidmet — sowie nach dem sytematischen Stellenwert
des Rezeptionsinteresses. Der Leser findet sich dabei
immer auch über die besonderen Schwierigkeiten aufgeklärt
, Kants Denken unverstellt durch traditionell-metaphysische
und (katholisch-) theologische Prämissen in sei-

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nem authentischen Sinn zu erfassen. Dies wird relevant
bei folgenden Themen: kritischer Vernunftbegriff, theologiefreie
Moral, Unsterblichkeitsglaube und Glückseligkeitshoffnung
, geschichtsphilosophische Interpretation der Offenbarungsreligion
. Hier mag überhaupt der exemplarische
Wert dieser historischen Untersuchung im Blick auf
Versuche, Kant religionsphilosophisch fruchtbar zu machen
, gesehen werden. Übrigens wird der oft interessante
biographische und kirchenpolitische Kontext der katholischen
Autoren stets kurz mit berücksichtigt.

Bei aller Differenziertheit der Rezeption im einzelnen
begründet das Buch den Gesamteindruck, daß Kant für
den denkenden Katholizismus dieser Epoche vor allem als
Exponent der sich in ihm vollendenden Aufklärung Interesse
findet, ohne daß jedoch der wirkliche Umbruch von
jenen Autoren angemessen wahrgenommen und in der nötigen
„Selbständigkeit des Denkens" reflektiert werden
könnte — Bedingungen, unter denen allein Kants Philosophie
zugleich weiterführend hätte begriffen werden können
— auch in Richtung auf eine Neuorientierung theologischen
Denkens.

Kiel Joachim Ringleben

RELIGIONSSOZIOLOGIE

Milanesi, Giancarlo: Religionssoziologie. Wandlungsprozesse
im religiösen Verhalten, übers, v. J. Rast u. Vito Di
Chio [1976]. 202 S. 8° = Religionspädagogik — Theorie
und Praxis, hrsg. v. G. Stachel, E. Feifei u. E. Paul, 31.

Bei diesem Buch handelt es sich um eine von Günter
Stachel initiierte und von Josef Rast sowie von Vito Di
Chio aus dem Italienischen übersetzte „Sociologia della
Religione" (Torino-Leumann 1973). Verfasser ist ein Ordensmann
: Salesianer und Professor an der Universitä Sa-
lesiana in Rom. Sie bietet die Möglichkeit des besonderen
Zusammenwirkens zwischen Theologie und Sozialwissenschaften
. Wer dort soziologische Forschungen betreibt, ist
zugleich ausgebildeter Theologe.

Milanesis Veröffentlichung versteht sich als „Einführung
" in die Religionssoziologie. Ihr trägt der Anhang
(S. 176—202) Rechnung, in dem die wichtigsten soziologischen
Begriffe definiert werden und auch Literaturverzeichnisse
nach unterschiedlichen Gesichtspunkten zusammengestellt
sind.

Nach einem einführenden Kapitel, in dem die Entwicklung
sowie Wesen, Gegenstand und Methode der Religionssoziologie
dargestellt werden, wird im 2. Kapitel von den
Institutionalisierungsprozessen der religiösen Erfahrung
gehandelt. Das 3. Kapitel setzt die Analyse des Institutio-
nalisierungsprozesses der Religion fort und zeigt dies am
Beispiel der Frage nach der Religion als Kultur. Interessant
sind dabei die Ausführungen über die „religiöse Sozialisation
" (S. 50) und die Instanzen, die dabei eine gewichtige
Rolle spielen. An erster Stelle wird die Familie
genannt, die ihren spezifischen Aufgabenbereich hat und
Ansatzpunkte und Möglichkeiten bietet, „das Engagement
der Familie als religiöse Sozialisationsinstanz zu erneuern"
(S. 57). Sodann wird der Schule eine große Bedeutung bei
der religiösen Sozialisation eingeräumt, wobei immer noch
unterschieden wird zwischen der öffentlichen und der konfessionellen
Form. Daß sich an diesem Punkte der große
Unterschied zwischen der Situation in sozialistischen Staaten
und einem so geprägt katholischen Land wie Italien
zeigt, wird in den Ausführungen Milanesis immer wieder
deutlich. Zuletzt werden die „religiösen Organisationen"
(von der Pfarrei bis zur sog. katholischen Aktion) genannt,
die angesichts mancher Krisen in Familie und Schule zu
wichtigen Sozialisationsinstanzen werden.

In den beiden folgenden Kapiteln geht dann der Vf. nä-

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 3