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Ausgabe:

1978

Spalte:

188

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mußner, Franz

Titel/Untertitel:

Theologie der Freiheit nach Paulus 1979

Rezensent:

Wilckens, Ulrich

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hinzu: Einzelzüge der Verfolgertätigkeit und das Geschehen
von Berufung und Sendung, nicht jedoch die bekannte
Wendung 26,14 "'.

Während am Ende des ersten, Paulus gewidmeten Teils
nur eine conclusion versucht wurde (S. 47—50), schließt der
zweite, die lukanische Tradition behandelnde Hauptabschnitt
mit einer historischen Rekonstruktion (S. 150—159),
der es um den Nachweis zu tun ist, daß es hier um mehr
geht als um eine populäre Legende. Daß dabei 9,4 f. eine
zentrale Stellung einnimmt, kann nicht überraschen, sieht
doch der Vf. in der Identifizierung des Erhöhten mit der
Gemeinde auch den Schlüssel zur Theologie des authentischen
Paulus.

So zugerüstet treten wir in den abschließenden, dem topographischen
Problem gewidmeten Abschnitt ein, dessen
Fragestellung dem Verlag so suggestiv erschien, daß er sie
als Untertitel auf der Umschlagseite anbrachte: „Damasco:
ciudad de Siria o regiön de Qumrän?" Die Behandlung der
ersten Möglichkeit hat von vornherein den Charakter einer
negativen Demonstration (S. 164—199). Es werden Zweifel
an der traditionellen Auffassung formuliert: Besteht nach
Gal 1,17 nicht ein enger Zusammenhang von Damaskus zur
Arabia? War der nabatäische Ethnarch Aretas IV., wie
man unter Bezugnahme von 2 Kor 11,32 bislang folgerte,
Herr des syrischen Damaskus und konnten die Römer eine
konkurrierende Souveränität in dieser wichtigen Stadt
hinnehmen? Wie ist die Jurisdiktion des Synedriums für
außerpalästinensische Juden vorzustellen? Fügt sich das
Vorhandensein von Christen im syrischen Damaskus in so
früher Zeit zu dem in Acta vorausgesetzten Geschichtsablauf
? Wie dieser negative ist auch der folgende positive, die
Gleichsetzung Damaskus—Qumran entfaltende Teil (S. 200
bis 220) mit einer Fülle zeitgeschichtlichen und lokalgeschichtlichen
Materials angereichert. Er geht aus von der
Damaskusschrift (besonders untersucht wird die Wendung
„das Land von Damaskus" CD 6,5.19; 8,21; 19,34; 22,12), deren
qumranische Herkunft dank des von H. H. Rowley6 geführten
Nachweises er mit den meisten Forschern annimmt
und insistiert mit Anne Jaubert auf der symbolischen
Deutung von Damaskus7. Der andere Anhaltspunkt
ist die Bezeichnung der Gemeinde als „Weg", was sich in
der Tat mit qumranischer Terminologie eng berührt. Ob
die Auffindung nabatäischer Münzen in Qumran die Annahme
eines Patronats Aretas IV. für diese Region zu tragen
vermag, mögen die Fachleute entscheiden, die dann
auch das Verhältnis seines Patronats zur Jurisdiktion des
Synedriums zu klären hätten.

Nimmt man alles in allem, so bleibt trotz der sorgfältig
durchgeführten und geistvoll vorgetragenen Konstruktion
der Zweifel: Hätten sich Paulus und hernach Lk gegenüber
ihren Lesern des (auch in sich problematischen) symbolisch
verschlüsselten Sprachgebrauchs bedienen dürfen,
ohne auch nur anzudeuten, daß eben nicht das allgemein
bekannte Damaskus gemeint sei? Beide mußten ja Wert
darauf legen, auch hierin richtig verstanden zu werden.
Paulus in seiner Apologie Gal 1, Lk mit seiner deutlich am
Geographischen orientierten Darstellung der Ausbreitung
des Wortes. Mag sich das eine oder andere Detail mit Hilfe
der Hypothese des Vfs. ansprechend erklären lassen, bei
Act 9,22 ff. etwa kann man doch schwerlich zweifeln, daß
man sich in der außerpalästinensischen Diaspora befindet.
Dennoch wäre es unangemessen, die Bewertung dieses facettenreichen
und vielschichtigen Buches allein vom Urteil
über die Tragfähigkeit der im Schlußteil enthaltenen
Hypothese bestimmt sein zu lassen. Es bleibt ein beachtlicher
Wurf. Mit diesem zweiten großen Werk hat Santos
Sabugal (als bislang einziger Spanier) seinen Platz in der
ersten Reihe der weltweiten Forschung am Neuen Testament
bestätigt. Wem es ernst ist um die Internationalität
unserer Wissenschaft, wird am Beitrag dieses Autors künftig
nicht mehr vorübergehen dürfen.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

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1 Zu diesem Fund und seiner Beurteilung K. Aland, NTS 20, 1973/74,
557-581.

2 Christos, Barcelona 1972; vgl. ThLZ 100, 1975 Sp. 266-270 (Rez. G.
Bertram).

" Während auf die Kommentare von J. Jeremias und G. Holtz Bezug
genommen wird, bleibt der des Kathollken N. Brox (Regensburg
1969) hier und im ganzen Buch unberücksichtigt.

* dazu S. 119, Anm. 222 (lukanische Rezeption eines Sprichworts).

5 Zu vergleichen sind aus Jüngster Zelt die Arbeiten von Chr. Bur-
chard, Der dreizehnte Zeuge. FRLANT103, Göttingen 1971 und K.
Lönlng, Die Saulustraditlon in der Apostelgeschichte. NTA NF 9,
Münster 1973 (dazu Burchard ThLZ 100, 1975 Sp. 878-895).

• Neben dem genannten Beitrag von H. H. Rowley BJRL 35, 1952,
111-154 hätten auch die gleichzeitigen Ausführungen von P. Kahle
eine Erwähnung verdient: ThLZ 77, 1952 Sp. 401-412 — Opera minora,
Leiden 1956, 96-112.

' RevBibl 65, 1958, 215-248. - Zu den Vertretern der nichtsymbolischen
, literalen Deutung gehört außer den S. 206, Anm. 140 aufgeführten
Forschern auch H. Bardtke, Die Handschriftenfunde am Toten
Meer, I, Berlin 1954, 144f.; II, 1958, 192f.

Mußner, Franz: Theologie der Freiheit nach Paulus. Freiburg
— Basel — Wien: Herder [1976]. IL 83 S. 8° = Quae-
stiones Disputatae, hrsg. v. K. Rahner u. H. Schlier, 75.
Kart. DM 12,80.

Der kleine Traktat ist dem Vf. aus der Arbeit an seinem
großen Galater-Kommentar erwachsen. Er ordnet die
wichtigen Motive des paulinischen Freiheitsgedankens so
zusammen, daß sich von seiner Begründung in der Rechtfertigungserfahrung
ein Weg zeigt, der von dem eschatolo-
gischen Perfekt der in Christus geschehenen Befreiung von
Gesetz, Sünde, Tod und „Weltelementen" ausgeht und in
dem eschatologischen Futurum der vollendeten Freiheit
ausmündet. Unter diesem heilsgeschichtlichen Spannungs-
bogen, der sich im Spannungsfeld von Indikativ und Imperativ
anthropologisch auswirkt, beschreibt Vf. die Bedeutung
der Freiheit in der christlichen Existenz und die
eschatologische Einbeziehung der gesamten Schöpfung in
die „Freiheit der Kinder Gottes" nach Römer 8. Ferner
wird herausgestellt, wie Paulus den Freiheitsgedanken in
der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu ausarbeitet, und wie
der christliche Freiheitsgedanke sich zu dem Freiheitsverständnis
in Judentum, Griechentum und Gnosis verhält.
Schließlich nimmt Vf. zu den aktuellen Fragenkreisen
„Lehrfreiheit" und „christliche Freiheit und kirchliche
Einheit" Stellung.

In dem begrenzten Rahmen dieses Traktats mußte Vf.
auf alle wissenschaftliche Auseinandersetzung, die sich
bei diesem Thema natürlich auf Schritt und Tritt aufdrängt
, weitgehend verzichten. Sehr zu danken ist ihm,
daß er die schöne, zu wenig beachtete Studie von K. Nie-
derwimmer: Der Begriff der Freiheit im Neuen Testament
(1966), vielfach zu Wort kommen läßt.

Hamburg Ulrich Wilckens

Lührmann, Dieter: Glaube im frühen Christentum. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1976]. 99 S. 8°.
Kart. DM 24,—.

Das Buch will „Grundlinien frühchristlichen Glaubensverständnisses
" zusammenfassen (8) und damit die heute
von manchen Seiten geforderte „Biblische Theologie" möglicherweise
sachlich legitimieren (87). Eine Betheler Arbeitsgemeinschaft
mit U. Luck und H. H. Schmid ist deutlich
zu spüren. Hier versucht man, die biblischen Uberlieferungen
vom fundamentalen Problem menschlicher Welterfahrung
her zu erschließen und einheitlich zu verstehen.
Wie unterschiedlich auch immer die Traditionen im Uberlieferungsprozeß
ausgeformt wurden, es handelt sich dennoch
nur um die Aufweitung der ontologischen Strukturen
des einen Grundproblems: wie geschieht Bewältigung
des Lebens in der Spannung zwischen Realitätserfahrung
und Vertrauen, daß diese Welt Gottes Schöpfung ist
(H. H. Schmid). „Welterfahrung und Glaube" werden in
diesem Zusammenhang als „Grundproblem biblischer
Theologie" angesehen (U. Luck).

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 3