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Ausgabe:

1978

Spalte:

183-185

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Theisohn, Johannes

Titel/Untertitel:

Der auserwählte Richter 1978

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Der 2. Band schildert dann — anhebend mit Jesu Auferstehung
— die Geschichte des Urchristentums und endet
mit den Toleranzedikten, die Konstantin und Licinius erließen
, „die der Kirche endlich den ersehnten Frieden
brachten" (II, 237). Während der durch die Römerherrschaft
bestimmte politische Rahmen dieser Geschichte sehr
anschaulich geboten wird, vermißt man eine Darstellung
der religiösen Umwelt des frühen Christentums. Vf. geht
nicht auf die hellenistischen Wanderprediger und Wundertäter
und auch nicht auf den heidnischen Polytheismus
und auf die Mysterienreligionen ein, erwähnt zwar im
Blick auf Apg 8 und auf den Kolosserbrief „eine Art Frühform
der Gnosis", ohne diese aber genauer zu untersuchen.
Vf. erachtet dies deshalb nicht für notwendig, weil eine
Beeinflussung des „ursprünglichen Wesens des Christentums
als einer Glaubens- und Lebenshaltung, die nicht auf
eine Mysterienhandlung, sondern auf eine historische Persönlichkeit
und auf datierbare Ereignisse begründet waren
" (II, 81), nicht erfolgt sei.

Verzeichnisse der Abkürzungen (I, 214—216; II, 239—241),
der Literatur (11,242—246), der Bibelstellen (1,217—222;
11,247—251) sowie Autoren- (11,252—255), Personen- (II,
256—261), geographisches Namen- (11,262—265) und Sach-
Register (II, 266—271) sollen die Benutzung dieser beiden,
bewußt auf Allgemeinverständlichkeit ausgerichteten Bände
erleichtern. Recht unbefriedigend ist leider das Literaturverzeichnis
: weder werden die kritischen Ausgaben und
Ubersetzungen der Werke Philos, Josephus', Tacitus' und
Suetons angegeben noch finden sich Hinweise darauf, wo
man jüdische Apokryphen und Pseudepigraphen, Qumran-
texte, rabbinische Schriften, neutestamentliche Apokryphen
, apostolische Väter und frühe Kirchenväter abgedruckt
und übersetzt finden kann. Bei der angegebenen
Sekundärliteratur fällt auf, daß die meisten neueren
deutschsprachigen Untersuchungen ungenannt bleiben. Da
die englische Ausgabe dieser „Zeitgeschichte" bereits 1969
erschienen ist, hätten Übersetzer und Verlagslektor unbedingt
darauf achten. müssen, daß die danach veröffentlichte
Literatur nachgetragen und die deutschen Lesern
zugängliche Literatur besonders berücksichtigt wird. Es
wirkt doch wohl etwas komisch, wenn in Anmerkungen
nicht auf die deutsche Urfassung, sondern auf die sekundäre
englische Übersetzung von Bornkamm- und Rengs-
torf-Aufsätzen verwiesen wird (Vgl. 1,128 Anm. 28; 178
Anm. 18)! Auch die deutschen Ubersetzungen ursprünglich
englisch geschriebener Werke hätten angeführt werden
sollen (vgl. z. B. 1,105 Anm. 26; 185 Anm. 5), ebenso die
neuesten Auflagen von Standardwerken (vgl. z. B. II, 45
Anm. 25; 81 Anm. 3). Die Übersetzung selbst zeigt manche
sprachlichen Kuriosa (vgl. z. B. I, 66: „Komplizität"; 1,132:
„Exilanten"; 1,203: „Messianat"; 11,43: „Zerbruch" und
11,31: „Simonier"). Rez. kann sich des Eindrucks nicht erwehren
, daß der Verlag aus bestimmten Interessen heraus
diese Übersetzung sehr kurzfristig anfertigen und ohne die
nötige kritische Sorgfalt drucken ließ und dadurch dem
Werk mehr geschadet als genützt hat.

Berlin Günther Baumbach

Theisohn, Johannes: Der auserwählte Richter. Untersuchungen
zum traditionsgeschichtlichen Ort der Men-
schensohngestalt der Bilderreden des Äthiopischen He-
noch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1975]. XIV,
308 S. gr. 8° = Studien zur Umwelt des Neuen Testaments,
hrsg. v. K. G. Kuhn, 12. DM 42,—.

Die Untersuchung „hat keine Ambitionen, sich in religionsgeschichtliche
Fragen nach der Herkunft der MS
(= Menschensohn)-Vorstellung einzulassen" (S. 3). Sie will
vielmehr den traditionsgeschichtlichen Ort der MS-Gestalt
der Bilderreden im aeth Hen (= BR)1 bestimmen und darüber
hinaus den direkt nachweisbaren Einfluß der MS-

184

Gestalt der BR auf die synoptische Überlieferung eingrenzen
.

Zunächst untersucht der Vf. das Verhältnis der MS-Aus-
sagen der BR zu Daniel. Er kommt zu dem Ergebnis, daß
in Dan 7,9 f. 13 f. zwar eine ältere MS-Tradition durch den
Verfasser des Daniel-Buches aufgenommen worden ist,
daß die BR aber diese ältere MS-Tradition nicht direkt,
sondern nur im Verband des Daniel-Textes gekannt und
verarbeitet haben. Die MS-Gestalt der BR ist eine Interpretation
des danielschen MS durch die BR selbst. „Das
Verhältnis der Bezeichnungen Erw.(ählter) und MS in den
BR und der mit ihnen verbundenen, fast völlig identischen
Aussagen verleihen dem Interpretationsvorgang einen besonderen
Charakter: die Interpretation des Menschenähnlichen
von Dan 7 geschieht durch seine Identifikation mit
dem Erw., einer eschatologischen Richtergestalt, der escha-
tologischen Richtergestalt einer Gruppe oder Schicht, der
die BR entstammen. Die BR füllen den MS-Titel also mit
einer völlig neuen Vorstellung ... und konstituieren dadurch
eine eigene, völlig neue MS-Tradition" (S. 51).

Das ist die Arbeitshypothese, die im folgenden mit methodischer
und sachlicher Akribie ausgearbeitet wird. Die
wichtige Konsequenz aus ihr ist die Ablehnung der Annahme
, „daß in den BR eine wie auch immer geartete .ursprüngliche
' MS-Vorstellung, die wegen der völligen Geschiedenheit
zur danielischen und vordanielischen MS-
Tradition wohl außerjüdischer Provenienz sein müßte, erhalten
ist. Insbesondere lehnt sie die Richterfunktion des
MS/Erw., die den Kern der MS-Vorstellung der BR ausmacht
, als .ursprünglichen' MS-Zug ab" (S. 52). Der Vf. erweist
die Richtigkeit seiner Arbeitshypothese und der genannten
Konsequenz aus ihr durch den positiven Nachweis
einerseits des jüdischen Hintergrunds der richterlichen
Aussagen von MS/Erw. in den BR (Kap. 3, S. 53—99),
andrerseits des Vorhandenseins richterlicher Funktionsaussagen
mit Blick auf die Messiasgestalt in der Literatur
des nachalttestamentlichen Judentums auch sonst (Kap. 4,
S. 100—113). Schließlich faßt Th. „die Besonderheiten der
Richtergestalt der Bilderreden" in den Blick (Kap. 5, S. 114
bis 148). Es geht dabei näherhin um den Einfluß der Ebed-
Jahwe-Tradition (Jes 49,1 ff.) sowie den der Weisheitsvorstellung
(Prov 8) auf die BR. Für den Vf. ist die eschatolo-
gische Gestalt der BR aus dem Zusammenkommen dreier
Traditionsstränge entstanden: den Grundstock bildet die
Richtertradition, der sich die beiden eben genannten anderen
verbunden haben.

In dem abschließenden Kap. 6 behandelt Th. den „Einfluß
der Menschensohntradition auf die synoptische Men-
schensohnüberlieferung" (S. 149—201). In methodisch analoger
Weise wie in den vorangehenden Teilen seiner
Untersuchung fragt er streng nach dem nachweisbaren unmittelbaren
Einfluß einer spezifischen MS-Aussage der BR
auf die synoptische MS-Tradition. Er findet ihn nur in der
Schicht der matthäischen Redaktion (Mt 19,28; 25,31) sowie
in Mt 13,40—43, „ein von BR-Vorstellungen geprägtes
jüdisches Traditionsstück", das Mt aufgenommen und bearbeitet
hat (S. 205). Auf Joh 5,27 geht Th. leider nirgends
ein.

Die Untersuchung, eine Mainzer Dissertation von 1973,
die von F. Hahn betreut wurde, ist gründlich und methodisch
verantwortet gearbeitet. Wichtig ist sie vor allem
durch den Nachweis der durchgehenden Eingeflochtenheit
der MS-Gestalt der BR in alttestamentlich-jüdische Traditionen
bezüglich der eschatologisch-messianischen Gestalt.
Das gilt insbesondere von der Darstellung des MS als
eschatologischer Richter.

Gleichwohl bleiben grundlegende Fragen offen. Die
entscheidende Weiche stellt Th. gleich zu Beginn, indem er
die Beziehung der BR zu der vordanielischen Tradition von
Dan 7,9 f. 13 f. als eine allein durch das Daniel-Buch vermittelte
ansieht. Demgegenüber fällt nun aber doch wohl
ins Gewicht, daß zwar eine Abhängigkeit der BR-Stellen
von Dan 7,9 f. 13 f. „zweifelsfrei zu belegen ist" (S. 47), daß

Theologische Literaturzeitung 103. Jahrgang 1978 Nr. 3