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Ausgabe:

1977

Spalte:

143-146

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Geschichte der ökumenischen Bewegung 1977

Rezensent:

Wolf, Hans-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 2

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bewußt nicht religiös denken und handeln wollen. Der Vf.
erörtert ferner die Konsequenzen seiner Auffassung für
die Wahl geeigneter Religionslehrer und für deren Ausbildung
. In einem Lernzielkatalog führt er Einzelziele auf,
die aus seinem Globalziel abzuleiten sind, und nennt dazugehörige
Themen. Für diesen Weltanschauungsunterricht
ist nicht wertneutrale Information gefordert, wohl aber
die Bereitschaft dos Lehrers, die eigene Weltanschauung
durch das Gogenüber zu andern Weltanschauungen relativieren
zu lassen und den Schüler zu ermutigen, eine eigene,
von der des Lehrers evtl. abweichende Position aufzubauen
.

Göpfert deckt gewiß manche Fragwürdigkeiten des konfessionell
gebundenen Religionsunterrichts auf, aber er befindet
sich immer noch in einer ähnlichen Position wie die
von ihm bekämpften Dogmatiker: Auch er meldet einen
Absolutheitsanspruch an, indem sein Weltanschauungsunterricht
für alle Schüler obligatorisch sein soll. Denn
„jeder Mensch braucht ein Weltbild, ohne diese Orientierung
kann er kaum leben" (S. 144). Das ist ein dogmatischer
Satz, der empirisch leicht zu widerlegen wäre. Wie will
Göpfert sich gegenüber Schülern und deren Eltern verhalten
, die finden, man könne sehr wohl leben, ohno sich
Gedanken über ein Weltbild zu machen ? Wie will der Vf.
seine Position begründen gegenüber technokratischen Pädagogen
und Politikern, die einen Weltanschauungsuntcr-
richt für verlorene Zeit halten ? Was gedenkt er zu tun
gegenüber streng religiösen Eltern, die ihre Kinder unter
keinen Umständen in einen solchen Weltanschauungs-
untenioht schicken wollen? Auf diese Fragen habo ich bei
Göpfert keine Autwort gefunden.

Noch andere, für mich wichtige Fragen, bleiben unberücksichtigt
: Welclio Wertentscheidungen setzt der kritische
Rationalismus voraus, wenn er annimmt, daß in jedem
Fall und für jeden Menschen kritische Rationalität die optimale
Lösung von eigenen Problemen und Konflikten ermöglichen
wird ? Welche Psychologie liegt dieser Vorentscheidung
zugrunde? Ferner: Welclio Institutionen und
Interessengruppen werden sich für dio Verwirklichung des
von Göpfert vorgeschlagenen Weltanschauungsuntcrrichts
politisch einsetzen ? Da die Kirchen sich kaum für seine
Konzeption gewinnen lassen, müßte sich der Vf. immerhin
überlegen, wie seine Ideen sich politisch verwirklichen
lassen, sonst bleiben seine Vorschläge nur bedrucktes
Papier.

Mase l Walter Neidhart

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE

Fey, Harold E.: (icscliirlilc der ökllineiiisehen Kpwpkiiiii; 1948
Iiis l!M!8, hrsg. im Auftrag des Ausschusses für ökumenische
Geschichte, Genf. Deutsche Ausgabo bearb. v. G. (Jussmann.
Übers, v. 1). BencS, A. Boyens, U. Bühler, U. Gassmann u.
P.-G. Nohl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1974].
639 S. gr. 8° = Theologie der Ökumene, 13. Lw. DM 98.—.

Das schon im Jahre 1970 in englischer Sprache herausgekommene
Werk liegt nun auch in deutscher Übersetzung
vor. Es bildet zusammen mit der von R. Rouse und St.
Neill veröffentlichten zweibändigen „Geschichte der ökumenischen
Bewegung 1517—1948" den dritten Band, in
dorn weitere zwanzig Jahre seit Gründung des Ökumenischen
Rates im Jahre 1948 geschildert werden. Wohlgemerkt
, es ist von ökumenischer Bewegung dio Rede. Sie
erschöpft sich nicht in der Darstellung des Ökumenischen
Rates der Kirchen. Es gehört vieles andere an ökomeni-
schen Entwicklungen und Bestrebungen dazu. Dies ist im
vorliegenden Band weithin mit berücksichtigt, und zwar
im Kontext der verschiedenen Arbeitsfelder, auf denen der
Ökumenische Rat tätig ist.

Die 15 Kapitel des Buches sind in den meisten Fällen
von ehemaligen oder auch noch im Amt befindliehen Mitgliedern
des Stabes des ÖR in Genf gesehrieben worden.
Das hat den Vorzug authentischer und detaillierter Kenntnis
der Materie, vielleicht aber auch den Nachteil mangelnder
Distanz zum Geschehen, aus der heraus leichter größero
Zusammenhänge gesehen und zur Darstellung gebracht
werden können. Der deutsche Herausgeber G. Gassmann
spricht von einer „vorläufigen Bestandsaufnahme'', die
dieser Band bietet. Was von „Pionieren" und „Architekten
" erarbeitet wurde, das soll nun nach Visser't Hoofts
Worten in die dritte Generation der in der Ökumene Tätigen
weitergegeben werden.

Zwanzig Jahre, über die berichtot wird, sind ein verhältnismäßig
kurzer Zeitabschnitt. Der terminus ad quem
war zunächst von dem Datum der 4. Vollversammlung in
Uppsala im Jahre 1968 bestimmt.

W. Visser't Hooft, der erste Generalsekretär des ÖR,
liefert den ersten Beitrag mit dein Thema „Dio allgemeine
ökumenische Entwicklung seit 1948". Damit tritt dem
Leser ein kohärentes Bild der vielfältigen Entwicklung
und ihrer Hintergründe vor Augen, zu dem in allen folgenden
Einzelbeiträgeu die Details aus den verschiedenen Arbeitsgebieten
geliefert werden. Der verdienstvolle Herausgeber
des Ganzen, H. E. Fey, hat das Seine getan, um eine
gewisso Koordination der 15 Beiträge zu erreichen. Sie ist
mehr oder weniger gelungen. Auch wenn die „Bestandsaufnahme
" weniger im Vorarbeiten größerer Zusammenhänge
als in Berichten über wichtige Goschohnisso in
Einzelbereichen besteht, also eine Art Nachschlagewerk
darstellt, hat sie für die grundlegende! Orientierung des
interessierten Lesers ihren hohen Wert, zumal Bibliographie
, Sach- und Namenregister vorhegen.

Dem Beitrag von Visser't Hoof? folgen zwei weitere des
allgemeinen Überblicks: „Leben und Wirksamkeit dos
Ökumenischen Rates der Kirchen" (H. Krüger), „Aus allen
Kontinenten und Völkern" (H. R. Weber). Letzterer zeigt,
wio es in der „Überwindung des westlichen Parochialis-
mus" dazu kommt, in allen Erdteilen ökumenische Regionalgremien
zu gründen. Es entstehen „Nationalo Christenräte
" (F. Short) als „Institutionen dos Übergangs" auf dem
Wege zur kirchlichen Einheit. „Konfessionello Weltbünde
" (H. E. Fey) helfen einerseits dazu, das Interesse
für das joweiligo Erbe zu wahren und in das ökumenische
Gespräch einzubringen. Sie bedeuten aber andererseits die
Gefahr der konfessionellen Isolierung, gerado auch im
Bereich der Jungen Kirchen, die beginnen, sich von unkritisch
übernommener Tradition westlicher Kirchen frei
zu machon und sich auf die Eigenart des christlichen Glaubens
im Zusammenhang ihrer eigenen Geschichto zu besinnen
.

Die nächsten fünf Kapitel sind der eigentlichen Arbeit
des ÖR in fünf Bereichen gewidmet, in denen die Thematik
von Glaubo und Kirchenverfassung (M. B. Handspicker),
von Weltmission (L. Newbigin), vom Dienst in zwischenkirchlicher
und zwischenmenschlicher Hilfe (G. Murray),
von der Verantwortung der Kirchen in sozialen und politischen
Fragen (P. Albrecht und O. F. Nolde) behandelt
wird, nicht im Sinne einer dogmatischen Abhandlung, sondern
im Kontext der Begegnung von Kirchen verschiedener
Konfessionen, dio sich gerufen fühlen, ihr Getrenntsein
zu überwinden und in neu gefundener Gemeinsamkeit
sich glaubwürdiger im Dienst am Menschon zu engagieren.

Dabei wird in jo einom besonderen Kapitel darauf hingewiesen
, daß diese Begegnung durch wachsende Beteiligung
der orthodoxen Kirchen (V. T. Istavridis), dio seit
19(51 dem ÖR angehören, wie auch durch Vertreter der
Römisch-katholischen Kirche (L. Vischor), dio nicht Mitgliedskirche
, aber in bestimmten Arbeitsbereichen offiziell
vertreten ist, ökumenisch relevant wird. In dieser Begegnung
sind Schwerpunkte in der ökumenischen Debatte
gesetzt: ekklesiologischo Fragen treten in den Vordergrund
, die Woltverantwortung der Kirchen wird nach de