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Ausgabe:

1977

Spalte:

135-137

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie; 19 1977

Rezensent:

Nagel, William

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135

Theologisoho Literaturzeitung 102. Jahrgang 1077 Nr. 2

130

LITURGIEWISSENSCHAFT

Jahrbuch für LHurgik und Hyinnologie, 10. Bd. 1075. Hrsg. v.
K. Ameln, Ch. Mahrrnhnlz, K. F. Müller f. Kassel: Johannen
Stauda Verlag 1075. XVI, 314 S. gr. 8°. Hlw. DM 88.—.

Zu Eingang werden der Lebensweg und die wissenschaftlichen
Leistungen des am Iß. 8. 74 so unerwartet
heimgerufenen Dr. Karl Ferdinand Müller dargestellt. Er
hat als Mitbegründer und Mitherausgeber dem Jahrbuch
in mancher Hinsicht seine Prägung gegeben. Vor allem
ihm ist es zu danken, daß das Jahrbuch gemäß seiner
eigenen Entwicklung und nicht zuletzt durch seine Beiträge
sich mehr und mehr der Gegenwartsproblematik
öffnete. Die Schriftleitung für Liturgik ist nun an Pfarrei-
Alexander Völker übergegangen, wenn auch dieser Band
noch Beiträge aus dem Nachlaß von Dr. Müller bringt. Mit
dem Wechsel in der Schriftleitung mag es zusammenhängen
, daß diesmal der Literaturbericht zur Liturgik (15 S.)
in keinem ausgewogenen Verhältnis zum hymnologisehen
(39 S.) steht.

Die Reihe der „Hauptbeiträge" eröffnet Werner Merten
mit dem überarbeiteten ersten Teil seiner Göttinger Dissertation
über „Die ,Psalmodia' dos Lucas Lossius" (1553 und
später), in welchem er deren Gottosdienstordnung in ihrem
Verhältnis zu den Kirchenordnungen von Lüneburg und
Braunschweig (mit Luthers „Deutscher Messe" im Hintergrund
) und den „Binnenaufbau" der „Psalmodia" im Vergleich
zur katholischen Messe und Luthers Forderungen
untersucht. Auch Mette und Vesper sowio an Hochfesten
das Completorium werden daraufhin geprüft. Die Ergebnisse
können die Frage nach der Kontinuität der reformatorischen
Liturgie klären holfen. Eckart Otto geht es mit
seiner Arbeit „Sigmund Mowinckels Bedeutung für die
gegenwärtige Liturgiedebatto" um die Frage, „ob der
israelitische Kultus im voroxilischen Jerusalem Motive beinhaltet
, die Anregung und Anfrage an die heutige Liturgiedebatte
sein können" (20). Dessen Konzeption bei M. ermöglicht
eine solche Fragestellung, weil hier die Erklärung
des vorexilischen Jerusalemer Kultes die Frage nach seiner
Bedeutung und Funktion für das konkrete Leben der isrne-
litischen Gesellschaft und des einzelnen Israeliten einschließt
. Indem die von M. herausgearbeitete Fremdartigkeit
des Kultes im alten Israel gerade in der deutschsprachigen
alttestamentlichen Forschung aus systematisch -
theologischen Motiven zugunsten einer unhistorischen Aktualisierung
biblischer Überlieferung verdrängt wurde, trat
auch die Frage nach dessen Funktion in der israelitischen
Gesellschaft in den Hintergrund. Vf. versucht sie nun mit
modernen soziologischen Kategorien statt der von M. verwandten
Kategorien der Religionswissenschaft des 19.
Jhs. zu klären. Damit stellt er sich der Vermittlungs- und
Applikationsproblematik 'historischer Forschungsergebnisse
in deren Bezug auf Problemfelder gegenwärtiger
Lebensgestaltung. Die von J. Habermas den Roligions-
systemon zugeschriebenen drei Funktionen, nämlich Konstituierung
von Gruppen- und Tchidentität, kognitive
Deutung der Welt zwecks Bewältigung von Überlebons-
problemen, Verarbeitung der Kontingenzen einer mangelhaft
kontrollierten Umwelt gleichzeitig mit den Grund-
risiken der menschlichen Existenz, meint Vf. nun auch im
israelitischen Kultus aufweisen zu können, um dann von
hier aus ..die Applikabilität von Motivelementen des israelitischen
Kultes für gegenwärtige Liturgieproblematik zu
bestimmen" (30). Heute weisen diese Elemente nach Vf.
in folgende Richtung: Klage von Erfahrungen des Leides
und der Sinnlosigkeit von Leben, deren Verarbeitung im
Diskurs der Kingenden, aber auch ..die spielerische Feier
als .darstellendes Handeln' des diskursiv akzeptierten
Wissens um einen von Gott getragenen Lebenssinn" (35)
sollten zu Momenten des „Gottesdienstes" werden, der
„nicht mehr als isolierte, punktuelle Veranstaltung zu verstehen
ist, sondern als Glied der Inngen Kette eines kontinuierlichen
Prozesses, auf den sich eine Gottesdienst-
gomeindo einläßt" (35). Doch wenn Vf. seine Untersuchung
mit dem Satz beschließt „Wir erwarten schließlich nicht
mehr, daß durch kultdramatisches Geschehen Gott vorweg
den Lauf des Geschehens bestimmt; vielmehr haben wir
zunehmend in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit aktiv
zu realisieren, was in Diskurs und spielerischer Feier schon
als Heil sichtbar wurde" (30), wird man fragen, ob der
Dissensus im Zentralen des vorexilischen israelitischen
Kultes nicht, auch die einer Applikation zugänglich scheinenden
Momente in ihrer Gewichtigkeit mindern muß.
„Überlegungen und Theson zur heutigen Gottesdienstpro-
blomatik" bietet Klaus-Peter Jörns und damit einen überarbeiteten
Vortrag, der im Auftrag des ständigen Theol.
Ausschusses der Ev. Kirche im Rheinland 1972 unter dem
Thema „Was wird im Blick auf den Gottesdienst .gesollt' ?"
gehalten wurde. Exegetische Ergebnisse, systematische
Überlegungen und die Berücksichtigung gottesdienstlicher
Praxis bis hin zu Kirchbaufragen, aber auch der primär
niehttheologischen Implikationen der Gottesdienstfrago
werden am Schluß in sieben praxisbezogenen und durch
Unterthesen aufgegliederten Hauptthesen zusammengefaßt
: 1. Zurück zur Vielfalt der Formen! 2. Dio Gestaltung
des Gottesdienstes ist Sache der Gemeinden. 3. Der Gottesdienst
hat seine Fortsetzung in der aus dem Glaubon kommenden
Aktion innerhalb und außerhalb der Gemeindon.
4. Christlicher Gottesdienst ist die komplementäre Ganzheit
aus Heilig und Profan und überwindet die religiösen
Verzerrungen des Glaubens. 5. Gottesdienst ist konkreter
Dienst Gottes an den Menschen. Die Vielfältigkeit der
menschlichen Nöte ist. Anlaß für vielfältige Gottesdienstformen
. 0. Gottesdienst ist Dienst, an der Auferbauung der
Gemeinde. 7. Gottesdienst ist öffentlicher Dienst Gottes
und der Gemeinde in der Welt. — Angesichts der entschlossenen
Weltzugewandtheit dieses Entwurfs sollte man dio
Warnung des Vfs. vor der Gefahr des „Zurüektretens der
csehatologisch.cn Dimension des adventus Gottes, der dio
Cestaltungskraft für das futurum freisetzt", nicht überhören
! Frieder Schulz führt unter dem Titel „Das Gedächtnis
der Zeugen" in'die Vorgeschichte, Gestaltung und
Bedeutung des Ev. Namenkalenders ein, an dessen Zustandekommen
Vf. selbst, einen entscheidenden und dankenswerten
Anteil hat. Daß es dabei nicht um eine heute
im Grund antiquierte Sache geht, kann uns der Satz bewußt
maohon: „Auoh dort, wo man der kirchlichen Überlieferung
distanziert gegenübersteht, spielen Namen und Personen,
mit denen man sieh identifizieren kann, eine Rolle als Beispiele
eines auf Verwirklichung bedachten ansehaubaron
Glaubens" (90).

Der hymnologischo Hauptbeitrag von Hans-Christoph
Piper untersucht die Beziehungen von „Ars moriondi und
Sterbelied". Am Schluß zeigt hier ein heutiges „Sterbelied"
aus dem neuen niederländischen Gesangbuch, wie „dio Anfechtungen
der Ars moriondi offenbar dieselben geblieben
sind — wenn sie heute in der Regel auch in einem Gewand
erscheinen, in dem sie als solche nicht sogleich erkonnbar
werden" (120). In einem weiteren Beitrag führt Martin
Rößler in einem überarbeiteten Kapitel seiner Dissertation
„Dio Liedpredigt — Geschichte einer Predigtgattung"
(Tübingen 1970) in „Dio Frühzeit hymnologischer Forschung
" ein. indem er diese Forschung nach 1700 in ihror
Bedeutung, ihrem Umfang an Fragekomplexen und der
Vielfalt ihrer Lösungsversuoho darstellt und so als eine
eigene und wichtige Epoche der Hymnologio erstmals zur
Geltung bringt. Tn welchem Umfang Vf. dafür unbekanntes
oder wieder vergossenes Quellenmnterial auswertet, zeigt
die angefügte Bibliographie von 23 Seiten.

„Kleine Beiträge und Miszellen" werden zunächst zur
Liturgik gegeben: Hier stellt H. Goltzen Herkunft, und
Bedeutung der „Aoolamatio anamnoseos" dar, also der
Gemeinde-Anamnese im ouoharistiRchcn Hoehgobiet. Indem
heute auch Kirchen des Abendlandes dieses in dio