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Ausgabe:

1977

Spalte:

133-134

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Ihr seid teuer erkauft 1977

Rezensent:

Lerle, Ernst

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Seite 1

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133

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 2

134

mit R. Ottos Annahme einer „verborgenen Anlage des
menschlichen Geistes" für die Entstehung numinosen Er-
lebens entscheidet sich Vf. dahingehend, daß man ein
„a-priori-Eingostelltscin auf Religion" als seelische Grund-
funktion nicht vorfinden könne. Aber ein Mindestmaß an
geistiger Erregbarkeit und an Anreizen, die auf das Göttlich
-Heilige hinweisen (das heilige Wort, (! renzsituat innen
Ii. ä.), sei notwendig. Für den Leser unserer Zeit sind die
Ausführungen über die chemischo Stimulierung religiöser
Erlebnisse und ihre Motivation und den Einfluß der Persönlichkeit
auf das religiöse Erlebnis nach Drogengenul.S
besonders aufschlußreich. Von dieser Problematik aus or-
gilft sich abschließend die Krage nach der phänomenologischen
, charakterologischen und ontologischen Echtheit,
religiöser Krlebnisso.

Die vorliegende Schrift ist, ein Meisterwerk exakter und
differenzierter psychologischer Analyse. Sie wird aus reicher
Kenntnis der neuen Ergebnisse in der Psychologie,
Psychotherapie und Theologie und zugleich in kritischer
Auseinandersetzung mit, ihnen durchgeführt. Es gelingt
Vf., Religionspsychologie als empirische, wortungsfreio
Wissenschaft, jedoch nicht „von außerhalb" (Mann),sondern
durchdrungen von den Erfahrungen des religiös erlebenden
Menschen und Christi n durchzuführen, zu betreiben. Die
vorherrschend phänomenologische Analyse behält auch die
Ergebnisse (puuit ifizierender Met hoden im Auge und geschieht
in stetiger Verbindung mit den empirischen Gegebenheiten
, wie sie in der religionspsyehologisehen Literatur
vorliegen. Das Werk ist, in der FüUs der aufgenommenen
Aspekte und Problome eine ausgezeichnete Grundlage
für weitere religionspsychologischo Forschung und
will als offenes System dafür verstanden werden. Die Kehrseite
der vielseitigen, bis ins kleinste Detail vordringenden
Darstellung ist der meist notwendige Verzicht auf ausführlichere
Beispiele. Man wünschte sich mehr Voranschau-
lichung an Hand längerer Solbstzeugnisso, und wenn dies
nur in einem Anhang (evtl. in Form einiger Längsschnittanalysen
) geschähe. Die Psychologie des Unbewußten und
die Erfahrungen der Psychotherapio sollten noch etwas
stärker berücksichtigt werden. Die ganzhoitliche Struktur
des religiösen Erlebons und zugleich seino Widersprüch-
liehkeit zwischen bewußtere Bekenntnis nnd unbewußten
'llaubensbindungen, die unbewußte Nötigung, an etwas
zu glauben, und die ans alledem sich ergehenden Konflikte
und Wandlungen der Person und ihres Schicksals würden
sich dabei noch deutlicher zeigen. Wünschenswert wäre
eine Abrundung der Religionspsychologie des Vfs. in einem
(geplanten?) dritten Hand, in dem typische Formen des
Glaubenslebens und der persönlichen Glaubensgesehichte
dargestellt würden.

Abschließend sei gesagt, daß das „für die Fruchtbarkeit
, der religionspsychologischen Forschung ausschlaggebende
Entspreehungsvorhälfnis zwischen der religiösen
Ergriffenheit des Forschers und sachgerechter Kenntnisnahme
religiös wertiger Gegebenheiten durch ihn" (22) in
Polls Werk zu finden ist. Da in der Untersuchung religiöser
Erlebnisse der Bezug zur geistigen Situation der Gegenwart
immer wieder hergestellt wird (z. B. auch Würdigung
der .Tesusbewegung), ist das Werk für den Forscher und
Padagogisch-seolsorgerlioh interessierten Praktiker von
großom persönlichem und sachlichem Werl.

Leipzig Adelheid Rcnsch

PRAKTISCHE THEOLOGIE

DmwsI, Hartwig [Hrag.]i Predl fftgedankf n im Verannsenheif
und <ietcenwarf. Meide I). Merlin: Evang. Verlagaanstall
1975/76. 8°.

"and || VtrfcWgWt Weisheit (Joffes. I. Advent Iiis Kstomihi.
252 S.

liiiinl 2: Ich Hill euer («off sein. Invokavrl Iiis Pfingstmontag.
«44 s.

i Band :!: Ihr seid teuer erksaft. Trinitaf ia bis I I. Sanntag nach
Trinitatis. 1S7 S.

Hund 4: Ifefreil /.um Ifiensf. 15. Sonntag nach Trinitatis bis
Letzter Bonntag des Kirchenjahres. 200 S.

Mit Predigthilfen für die vierte Reihe wird ein umfangreiches
Werk weitergeführt, das seit, 1900 erscheint. Die
eisten zehn Hände sind in dieser Zeitschrift (ThLZ 911.
1905, Sp. 777—780) von Joachim Konrad rezensiert worden
. Nachdem Helmut Ristow, der die Predigtgedanken

für ilie erste, /.weile, fünfte und sechste Reihe ausgewählt
hat, verstorben ist, besorgt Hartwig Daewel eine Auswahl
von Gedanken für die vierte Reihe und bringt mit diesen

Arbeiten das Gesamtwerk zum Abschluß.

Die Auswahl der Predigtgedanken erfolgt nach den
gleichen Grundsätzen wie früher, doch kommt auch der
eigene Arbeitsstil des neuen Herausgebers zum Ausdruck.
Die zitierton Abschnitte sind im Durchschnitl et was kürzer,
häufiger bietet D. eigene Beit räge, die auf Verkündigungs-
möglichkeiten an Hand der gegebenen Bibelstellen hinweisen
. Die Arbeit an den vorliegenden Bänden war dadurch
erschwert, daß die Reihe viele Texte umfaßt, zu
denen es keine umfangreiche Predigttradition gibt. Der
Herausgeber ist offensichtlich um eine ansgowogene Auswahl
bemüht und bietet Ausschnitte aus Predigten oder
aus Schriften VOM Theologen verschiedener Riehtungen und
Zeiten, von Johann Tauler bis Gerhard Bassarak und von
Martin Luther bis Willi Marxsen. An der Auswahl der

Exzerpte und an der Häufigkeit der Zitate ist der tl.....-

logische Standort des Herausgebers erkennbar. Zu den
vierzig Texten, die in den ersten beiden Händen behandelt
sind, wird Schleiermacher ncunundvierzigmal. Karl Harth
wird zweiunddreißgmal zitiert. Andere Theologen kommen
seltener zu Wort. In den letzten beiden Bänden sind die
Gewichte etwas gleichmäßiger verteilt. Die Auswahl ist
nicht ausschließlich auf Zitate aus Predigten über die
bet reffenden Texto begrenzt. Es werden auch theologische
Schriften bis in den Bereich der Dogmatik hinein zitiert.
Die gesammelten Anregungen umfassen Überlegungen, wie
man über einen bestimmten Text predigen kann, und
stimulieren somit die Meditation; häufiger bieten sie sieh
jedoch für eine direkte Übernahme in den eigenen Verkündi-
gungsvollzug an. Die Bereitstellung solcher Gedanken
ist offensichtlich das Hauptanliegen des gesamten Werkes.
Hinweise, die zeigen, wie hervorragende Prediger au Hand
eines Textes die Gemeinde angeredet haben, können mithelfen
, den Stil und die Diktion theologischer Abbandlungen
im Vorkündigungsvollzug zu überwinden und die
eigene direkte Anrede zu formulieren. Wenig berücksichtigt
sind in der Materialsammlung Predigttraktate und
erbauliches Kleiusehrifttum, das zuweilen in größeren Auflagen
verbreitet wird und die Verkündigungsinhaiti- bildhaft
und gemeindegemäß entfallet. Es ist allerdings schwierig
, diese Literatur zu erfassen, weil Kleinschriften für die
Gemeinde nur von wenigen theologischen Bibliotheken so
gesammelt werden wie Predigtbände, die von Professoren
verfaßt sind und die auch D. ausgiebig zitiert.

Das Werk in seiner Gesamtheit hat sich seit 1900 neben
den üblichen gedruckten Meditationen behauptet. Im Unterschied
zu den herkömmlichen Predigthilfen bringt es nicht
nur die Arbeit einzelner Verfasser zur Geltung, sondern es
bietet eine Vielfalt von Anregungen. Dobei hätten allerdings
Beobachtungen am Text und exegetische Einzelergebnisse
, die für den Verkündigungsvollzug unmittelbar
bedeutsam sind, stärker herangezogen werden können.
Daß der Rezensent die Schwerpunkte der Auswahl lieber
an anderen Stellen gesehen hätte, ändert prinzipiell nichts
an der Brauchbarkeit des Verfahrens. Die Methode bewährt
sich, deshalb sollte die Auswahl von Predigtgedanken
als homiletisches Hilfsmittel neben anderen Predigthilfen
ihren Platz behalten.

Ibillc-(Sanlc) Ernst Lerlo