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Ausgabe:

1977

Spalte:

126-127

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ebeling, Gerhard

Titel/Untertitel:

Studium der Theologie 1977

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 2

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Ekklesiologio in der heutigen Weltsituation" (3(58) überschritten
, indem M. die vier klassischen Kennzeichen
durch je ein :weiteres ergänzt: „Einheit in Freiheit",
„Katholizität und Parteinahme", „Hoiligkoit in Armut",
„Apostolizität im Leiden".

Die Sicht der Kirche, wie M. sie vorlegt, ist faszinierend
, Sic erweckt Hoffnung, Engagement, neues Zutrauen
zur Sache des Evangeliums und der Kirche. Denn sie dockt
Dimensionen der Kirche auf, die geeignet sind, ihr eine
weithin verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugeben, ohne
sie doch oinfach zu einem Weltfaktor unter anderen zu
machen. Daß die Kirche nicht um ihrer selbst, sondern um
der Welt willen da ist; daß das Evangelium Christi, dem
die Kirche dient, den ganzen Menschen nach Leib und
Socio, auch in seinen sozialen Bezügen, meint; daß die
Kirch«' daher an die Soito der Armen gehört; daß in ihr,
wenn es mit rochton Dingen zugeht, ein Stück cschatolo-
gisclion Lobens vorweggenommen und in die Menschheit
eingebracht wird — darin wird man M. gern zustimmen.
Gorado lutherische Ekklesiologio muß sicli fragen, ob sie
nicht manche der von M. herausgearbeiteten Aspekte
weithin allzusehr vernachlässigt hat.

Man wird immerhin bedauern, daß M. sich kaum mit
anderen (z. B. lutherischen) ekklesiologischen Entwürfen
auseinandersetzt. Das führt dann doch auch zu Problemverkürzungen
: so bei der Ämter-Frage, wo das des Vfs.
Konzeption entgegenstehende Bild, das Lk. und Fast,
bieton, weder dargestellt noch in die Überlegung einbezogen
wird (325), oder dort, wo das Ordinationsproblem
mit einem bloßen Hinweis auf einen (in dieser Form nicht
ganz einleuchtenden) Zusammenhang mit der Kindertaufe
„erledigt" wird (340). Die Bedeutung der Taufe bei Barth
wird nach dessen Position von 1947 ohne Berücksichtigung
von KD 1V/4 dargestellt. (Dabei bedürfte die Bestreitung
des Rechts der Kindortaufo durch M. einer eigenen Auseinandersetzung
.) Auch die für den Kirchenbegriff entscheidende
, heute auch soziologisch stark diskutierte Problematik
von Recht und Institution wird nicht aufgearbeitet
.

Die Hauptfrage, über die nun gerade auch lutherische
Ekklesiologio mit M. diskutioron müßte, scheint mir in
seiner Durchführung der Ideo des „Messianischon" zu
liegen. Wie verhält sich die von der Kirche zu verkündende
und zu lebende Herrschaft Gottes zu den Möglichkeiten
und notwendigen Bemühungen im politisch-gesellschaftlichen
Bereich ? Sätze wie die folgenden lassen nachdenklich
werden: „In der Situation der Weltkrisen wird
aber für den Christen das welterhaltende Wirken des Geistes
sehr ong an das erlösende Wirken des Geistes heranrücken
" (216). „Indem das Eschatologischo . . . geschichtlich
wird, wird das Geschichtliche eschatologisch" (217).
>.Dio Antizipation des Kommenden wird auch diesen politischen
Widerstand [sc. einer sich selbst bestätigenden Gesellschaft
; Vf. hat die Gesellschaft der BRD im Blick]
brechen und die geschlossene, immunisierte Gesellschaft
zu einer ,offonen Gesellschaft' verändern" (219). Das befreiende
Wort „will die Seele und den Leib, den Einzelnen
l'nd die sozialen Verhältnisse, die menschlichen und die
natürlichen Systeme" befreien (249). Man möchte zu solchen
Sätzen Ja und Nein sagen. Ja: weil tatsächlich Christus
Erlöser dor ganzen Welt ist, der Geist nicht an Kirchen-
mauorn haltmachen und weltverändernde Kraft erweisen
will. Noin: weil die besondere Weise, in der das Christusheil
und der Geist vorändernd wirksam sind, in diesen
Sätzen nicht überall unmißverständlich bleibt. Das Evangelium
will primär Glauben und Umkehr, der Geist will
Herzen verändern; die Front, an der hier gekämpft wird,
ist der in sich selbst gefangene Mensch, den Bibel und Tradition
als Sünder bezeichnen, der Mensch, der die eigentliche
Ursache des Zustandes unserer Welt ist. Und nur,
wenn hier überwunden wird, wachsen auch im Bereich von
Gesellschaft und Politik Früchte wahren Heils und wahrer
Erlösung. Gewiß weiß M. um diese grundlegende Dimension
(vgl. z. B. die Formulierungen S. 249 f.). Aber müßto
dann nicht das „erlösende Wirken dos Geistes" gerade in
seiner Unterschiedcnheit vom „welterhaltenden Wirken
des Geistes" (welchen Geist-Begriff hat Vf. hier ?) festgehalten
werden ? Wenn das Eschatologischo geschichtlich
wird, ist dann gleichzeitig auch das Umgekehrte wahr ?
Wenn geschlossene Systemo je wirklich befreit werden,
L H ige das nicht nur über jene vom Geist bewirkte „Revolution
dor Herzen" — oder vorsteht M. unter „Befreiung"
mitunter doch anderes, als was man etwa bei Paulus
lernen kann ?

Von dahor wären Wesen, Dimensionen, Aufgaben,
Ziele der Kirche in der Welt noch einmal zu bedenken.
Gewiß hat die Kirche den Auftrag des Dienstes der Versöhnung
und dos Eintretens für Gerechtigkeit in der gcsell-
schaftlich-politischen Welt. Aber hat sie das nicht vor
allem auf indirekte Weise, nämlich so, daß sie Menschen
durch das Wort für den Glauben und dio Liebe, für Verantwortung
und selbstlosen Einsatz gewinnt; femer so,
daß sie durch ihr glaubwürdiges Leben, ihren Lebensstil,
ihre Wahrhaftigkeit, ihre Solidarität, ihr „Mitleiden", ihre
„Caritas" Zeugnis von Christus ablegt; und nur „im
Nebenamt" auch so, daß sie ihr Gewicht als moralischpolitische
(!röße in der Welt geltend macht V Müßto hier
nicht auch zwischen dem. was dio Kirche als Kirche zu
tun hat und dein Einsatz und dein Dienst der Christen
(in selbstverständlichem Zusammenwirken mit Nicht-
christen) stärker differenziert werden? Und müßto nicht
deutlicher unterschieden worden zwischen dem aus dem
befreienden Handeln Gottes in Christus resultierenden
„messianischon Leben" und dem, was an Befreiung im
politisch-gesellschaftlichen Bereich unter Einsatz aller
Kräfto möglich (und dringend notwendig!) ist?

M. sagt gerade über jenes Eigentliche auch so viel
Gutes: über den die Herzen lösenden Freispruch des
Evangeliums, über das Herrcnmahl, übor den Gottesdienst
als Fest, über die Kirche als brüderliche Gemeinschaft, daß
jene Fragen aufgrund eines weitreichenden Einverständnisses
zu stellen sind. Diese Fragen mindern nicht den
Dank für die hier vorgelegte Ekklesiologie, die gerade
auch für die ökumenische Besinnung von großer Bedeutung
sein dürfte.

Leipzig Ulrich Kühn

Kliding, Gerhard: SlMilium der Theologie. Eine enzyklopädische
Orientierung. Tübingen: Mohr [1975]. XVI, 190 S. 8° = Uni-
Taschenbüchor, 446. DM 15.80.

Diese Einführung in die Theologie (nicht eigentlich in
ihr „Studium") ist nicht für Anfänger geschrieben, sondern
führt ein Fachgespräch, dem man jahrzehntelange
Reflexion des Autors über seinen Gegenstand (s. den
bibliographischen Anhang) anmerkt. Keine leicht entworfene
Skizze, sondern eine bedächtig sich hin und her wendende
Abhandlung — gedankenreich und konzentriert,
manchmal sehr abstrakt, ja formal. Wagte man den Vergleich
mit Schleiermachers ,Kurzer Darstellung des theologischen
Studiums', so fiele eine gewisse Deduktion der
Problematik aus ihrom innersten Wesen auf, vermißte man
aber doch die Reihe und Kette konkreter Einzelfragen, die
jene Enzyklopädie — paradoxerweise — so zoitlos gültig
macht.

Im äußeren Aufbau handelt das Buch (nach einein
kurzen Blick auf „das Ganze der Theologie", die heute
„wie ein zersprungener Spiegel, in dem sich das Bild vom
Ganzen der Theologie vielfältig bricht," wirke, S. 9) dio
Disziplinen ab, hierbei nicht das vorfindlich Empirische,
sondern den geistigen Plan einer inneren Verknüpfung
(die wichtigste Disziplin, „Fundumentaltheologie", überhaupt
erst postulierend, S. 169) vor Augon. „Im einzelnen
verläuft die Reihenfolge von der neutestamentlichen zur