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Ausgabe:

1977

Spalte:

123-126

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Kirche in der Kraft des Geistes 1977

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 2

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suchung regen zu weiteren Forschungen an, wofür ihm sehr
zu danken ist.

Halle (Saale) Rolf Lieberwirth

1 Sehubert-Fikentscher, Gertrud: ZIU! (Genn. A), 87 (1970), S. 49].

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Holtmann, Jürgen: Kirch« in der Kraft des Oistes. Ein Beitrag
zur messianischen Ekklesiologie. München: Kaiser [1975].
392 S. gr. 8°. Lw. DM 38.—.

Nach der „Theologie der Hoffnung" (1964) und dem
„Gekreuzigten Gott" (1972) legt Moltmann nun einen
„Beitrag zur messianischen Ekklesiologie" vor. Dieser
dl il te Schritt ist schon deshalb zu begrüßen, weil M. durch
Beine langjährige Mitarbeit auf dem Felde ökumenischer
Besinnung einen erheblichen Beitrag zum Weg der Kirchen
in der Ökumene geleistet hat. Das Buch ist denn auch
durchgehend durch ökumenischen Geist und ökumenische
Weite gekennzeichnet, so sehr es gleichzeitig unverkennbar
ein Werk aus reformierter Tradition ist. Es will der theologischen
und praktischen Orientierung der Kirche dienen,
wofür M. bereits einleitend als Ziel formuliert: „Von der
pastoralen Betreuungskirche für das Volk zur Gemein -
sohaftskircho des Volkes im Volk!" (13).

In sieben Kapiteln trägt M. seine Überlegungen vor.
Nach Kap. I müssen heute besonders vier „Dimensionen
einer Lehre von der Kirche" beachtet werden: die christo-
logische, die missionarische, die ökumonische und die politische
Dimension; denn sie zeigen in besonderem Maße
unsere Erfahrungen „mit der Kirche in der Welt" und
„damit unseren konkreten Ort in der Geschichte" auf
(32). Kap. II („Die Kirche in der Geschichte") entwickelt
den Ansatz einer „relationalen Ekklesiologie" (33), indem es
übergreifende Zusammenhänge für die Kirche benennt:
Die Differenz von geglaubter und erfahrener Kirche, dio
Bedeutung der Geschichte des Hl. Geistes als des Sinnes
der Geschichte Jesu Christi, die theologisch gegensätzlich
deutbaren geistos- und sozialgeschiehtlichen Entwicklungen
von Neuzeit und Gegenwart („Kirche im Bann
der .Zeichen der Zeit'"). Die Darlegungen münden in eine
trinitarische Grundlegung („Kirche in der trinitarischen
Geschichte Gottes"). Einer „inklusiven Trinitätslehre" zufolge
öffnet sich das trinitarische Geheimnis Gottes hinein
in eine „Geschichte der sich mitteilenden Lebendigkeit
Gottes" (72) mit dem Ziel der „Sammlung, Vereinigung
und Verherrlichung der Welt in Gott und Gottes in der
Welt" (70).

Kap. III—VI entfalten die Theologie der Kirche im
Blick auf ihren Grund in Christus (Kap. III), ihro Zukunft
im Reich Gottes (Kap. IV), ihre Gegenwart im Heiligen
Geist (Kap. V u. VI). Wenn der Ort der Kirche die Gegenwart
Christi ist („Ubi Christus, ibi ecclesia", 141), dann
kommt Christus nicht nur als Gründer, Stifter oder Anfang
der Kirche in Betracht, dann ist die Kirche auch nicht einfach
der „Christus prolongatus", sondern Christus ist der
Grund der Kirche als eschatologische Person, nämlich als
„Repräsentant jener Zukunft der Geschichte, in der Gott
Gott ist und der Mensch zu seiner Herrlichkeit kommt"
(92). M. entfaltet das in Kap. III nach dem Leitbild der
Drei-Ämter-Lehre von der messianischen Sendung des vorösterlichen
Jesus, von seiner Passion und von seiner Auferstehung
als dem Geschehen von 'Befreiung her (hier
nimmt er wie bereits bei der trinitarischen Grundlegung
Gedanken aus dem „Gekreuzigten Gott" auf), ferner im
Blick auf die Herrlichkeit Jesu als der ästhetischen, festlichen
Seite seiner Auferstehung, und er faßt es in der Bezeichnung
Jesu als des „Freundes" zusammen. Bemerkenswert
ist der Gedanke einer doppelten Gegenwart Christ i:

einer Gegenwart im Apostolat und einer Mt 25 angezeigten
Gegenwart in der Erwartung der Leidenden und
Geringen. „Das Apostolat sagt, was dio Kirche ist, dio
Geringsten sagen, wohin die Kirche gehört" (148).

Andererseits ist die Kirche als „Volk des Reiches
Gottes" (221) dessen Antizipation und Vorhut in der Geschichte
. Um das in konkreten geschichtlichen Bezügen zu
erweisen, entwickelt M. in Kap. IV statt einer abstrakten
Zukunftsvision eine „konkrete Hoffnungslehre für die Beziehungen
der Christenheit in der Welt" (154): nämlich
für die Beziehungen der Kirche zu Israel (dessen Berufung
eine bleibende ist), zu den Religionen (dio im Dialog nicht
verkirchlicht oder verchristlicht, abor doch „mossianisch
auf das Reich ausgerichtet" werden sollen), zu den ökonomischen
, politischen, kulturellen Lebensprozessen der
Welt (innerhalb deren die Christenheit dio sich aus ihrer
messianischen Sendung ergebende Verantwortung wahrzunehmen
hat).

Dio Erinnerung Christi und die Hoffnung auf das Reich
qualifizieren die Kirche in der gegenwärtigen Kraft des
Heiligen Geistes zur „messianischen Dienstgemeinschaft
am Reich Gottes" (223), wobei der Begriff des ..Messin-
nischen" das Eschatologische mit dem Geschichtliehen vermittelt
(217). Von daher kritisiert M. in Kap. V z. B. eine
exklusiv christologischo Fassung des Sakramentsbegriffs
(230) und begreift das Evangelium (in Auseinandersetzung
mit Barth, Bultmann, Pannenberg) als das „befreiende
Wort im Namen des kommenden Gottes": „Jede christliche
Verkündigung bringt auf die eino oder andere Weise
zum Ausdruck: Ego te absolvo" (249 f.). Die Taufe ist
Zeichen der Berufung und Befreiung zum messianischen
Dienst in der Welt (204, 207), wns den Glauben voraussetzt
und die Praxis der Kindertaufe nicht zuläßt. Das
Herrenmahl ist „ein öffentliches und offenes Gemeinschaftsmahl
für den Frieden und die Cereehtigkeit Gottes
in der Welt" (270). Denn „zwischen dem Mahl mit Christus
und dem großen Mahl der Völker im Reich Gottes liegt
der Hunger und das Elend der Welt" (280). Der Gottesdienst
ist ein „messianisches Fest" im fremden Lande
(287); in diesem Zusammenhang nimmt M. frühere Gedanken
fiber die „messianisehe Festlichkeit des ganzen
Lebens" und die Einheit von Gottesdienst und Ethik, von
Fest und Alltag auf. „Messianiseher Lebensstil" schließlich
ist gekennzeichnet durch das spa.nnungsreiehe Bei- und
Ineinander von „Gebet und Treue zur Erde" (Bonhoeffer),
„Kontemplation und politischem Ka7npf" (Taiz/i), „Tran-
szendenzfrömmit;keit und Solidaritätsfrömmigkeit" (310ff.).

Auch die Ämter der Kirche müssen — wie die Sakramente
— „in der Bewegung und Gegenwart des Geistes"
(und nicht umgekehrt der Geist in den Sakramenten und
Ämtern) begriffen werden (310). Dabei ordnet M. in Kap.
VT mit E. Käsemann dem der ganzen Gemeinde gegebenen
Auftrag (allgemeines Priestertum) die vielfältigen,
besonderen Aufträge einzelner zu. Diese einzelnen „treten
aus dem Volk Gottes vor das Volk Gottes und handeln im
Namen Gottes" (330). Dio Einheit der Gemeinde ist durch
die Dienstgemeinschaft der Beauftragten (unter einem
Vorsteher), diejenige der Gesamtkirche durch einen „Petrusdienst
" oder — besser — durch ein Konzil zu wahren.
Die Einheit durch die Geschichte hindurch ist dio Einheit
der apostolischen Verkündigung nach Inhalt und Akt.
Aller Ordnung der Dienste liegt aber das Wesen der Kirche
als „Gemeinde von Brüdern" oder „Gemeinschaft der
Freunde" zugrunde (hier ist der Kirchenbegriff von CA 7
zu ergänzen). Nur „aus der Wiedergeburt konkreter Gemeinschaft
wird die Kirche ihre gegenwärtige Krise überwinden
" (343). Diese Gemeinschaft ist eino „Gemeinde,
die sich versammelt" und damit die volkskirchliehen Abwege
großkirchlicher Organisation einerseits, privatisierendes
Christentum andererseits vermeidet (301).

Tm Sohlußkapitel VTT: „Die Kennzeichen der- Kirche"
wird die klassische „binnenkirchliche" Ekklesiologie noch
einmal betont in Richtung einer „konfliktorientierten