Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

115-117

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Schriften und Briefe, 1522 bis März 1525 1977

Rezensent:

Fligge, Jörg

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

115

Die Schriften sind ursprünglich Predigtzyklen gewesen,
wie die eingestreuten Schlußformeln zeigen. Wenn der
Herausgeber (S. X) meint, wo Heinrich die Predigton
zuerst — vielleicht in deutscher Sprache — vorgetragen
habe, und für welches Publikum sie bestimmt waren, sei
nicht mehr auszumachen, so ist dem zu widersprechen.
Denn der Inhalt ist nicht der von Predigton, sondern von
theologischen Traktaten. Die Fachterminologie (die nicht
an eine Übersetzung aus dem Deutschen denken läßt), das
Argumentieren mit dogmatischen Begriffen, ja die ganze
Art der Argumentation, die sich der in der Wissenschaft
üblichen Formeln bedient (patet, ad quod dicendum, probo,
quare et cetera für den nicht ausgeführten Beweis, usw.)
zeigen, daß nur an Theologen als Zuhörer gedacht werden
kann. Zwar sind die Traktate nicht nach Quaestionen aufgebaut
. Doch verfolgt der Vf. ein Droierschema, das nur
selten durchbrochen, im übrigen aber mit ermüdender
Strenge durchgehalten wird: von den drei Hauptteilen
wird jeder dreimal unterteilt, jeder Teil wird nach drei
Gesichtspunkten abgehandelt, usf. Gelegentlich schlägt
auch die Form der Quaestio durch (S. 46, Z. 340—349).

Ohne daß damit genaueren Untersuchungen vorgegriffen
werden soll, kann der erste Eindruck folgendermaßen
formuliert werden: Der Mystiker Heinrich bezieht
sich vor allem auf das Canticum, Augustin, Dionysius Areo-
pagita, Bernhard, Richard von St. Victor. Die Grundgedanken
sind wie das Vokabular das in seiner Zeit übliche :
Caritas, lumen, transformatio, gustatio, amplexus, imago,
etc. Wenn auch dor meist zitierte Autor Augustinus ist,
so kann doch Heinrichs Mystik kaum als augustinisch bezeichnet
worden. Doch leuchten allenthalben die Vorstellungen
des großen Kirchenvaters durch. Besonders dessen
Triuitülsichre weiß Heinrich mystisch auszubeuten. Von
Eckehart und anderen Zeitgenossen unterscheidet sich
Heinrich durch hausbackene Vernünftigkeit. Diese bewahrt
ihn vor dem Geruch der Ketzerei, jede Wesensiunung
wird abgelehnt, um so mehr das Ethische betont. Die Weltabwendung
, von Eckehart in ontologische Kategorien
gefaßt, ist bei Heinrich vernünftiger Gebrauch irdischer
Güter. Während Kckehart um den Ausdruck des Unaussprechlichen
ringt, preßt Heinrich glühendes Verlangen
und göttliche Süße in schematische Deduktion.

Hingewiesen werden muß auf die Alleinwirksamkeit
der Gnade, dio Heinrich besonders in Do adventu Verbi
betont, vgl. etwa: mens per gratiam roborata nihil suis
viribus adscribit, sed totum robur suuin divinae bonitati
attribuit (S. 9).

Dem Herausgeber gebührt Dank für oino mustergültige
Edition.

Greifswald Hans Georg Thümmel

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Oslander d. Ä., Andreas: Schriften und Briefe 1522 bis März

1685. In Zusammenarb. m. G. Soobaß hrsg. von G. Müller.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1975]. 608
S. gr. 8° = Andreas Oslander d. Ä. Gesamtausgabe, hrsg.
von Gerhard Müller, I. Lw. DM 165.—.

Mit dem Erscheinen des ersten Bandes der Werke
Andreas Oslanders d. Ä. (1496—1552), des Nürnberger Reformators
und später wegen seiner Rechtfertigungslelnc
umstrittenen Königsberger Professors, wurde ein Desiderat
der reformationsgeschichtlichen Forschung endlich erfüllt.
Die Gesamtausgabe, die von Prof. Gerhard Müller, Erlangen
, betreut, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
sowie andoren Förderern finanziell unterstützt wird,
ist auf neun Bände angelegt. Einem Verlagsprospekt ist
zu entnehmen, daß die Bände 1 — 7 den Nürnberger Jahren

116

von 1522—1548 gewidmet sein werden, während die beiden
letzten Bände der Wirksamkeit Oslanders in Königsberg
vorbehalten bleiben. (In der Gesamtausgabe, Bd 1, S. 1,
rechnet Müller „mit etwa acht Bänden".) Man kann nur
hoffen, daß dieses Ziel auch wirklich orreicht und die
Realisierung des Planes infolgo finanzieller Problome nicht
verzögert wird. Zugute kommt dem Unternehmen, daß
Oslanders Work überschaubar ist. Dio Umfrage bei etwa
300 Archiven und Bibliotheken ergab nur einen geringfügigen
Zuwachs an Material (Gerhard Müller: Edition
der Werke dos Andreas Oslander. In: Theologische Literaturzeitung
. Jg 97, 1972, Sp. 570). Für die weitere Erforschung
dor Theologie Oslanders ist es dringond erforderlich
, daß sein gesamtes Work geschlossen vorliegt, da
gerade das Verhältnis seines literarischen und informatorischen
Wirkens in Nürnberg zu dem in Königsberg Frage n
aufwirft.1 Da das osiandrische Schrifttum in den meisten
Bibliotheken nur sehr lückenhaft, oft sogar überhaupt
nicht zur Verfügung steht, ist die kritischo Edition für die
weitere Forschung unverzichtbar.

Mit Bd 1 wurde zugleich die äußere Form für die gesamte
Ausgabe festgelegt (vgl. Gesamtausgabe, Bd 1, S.
18). Dio Textgestaltung lehnt sich bei geringen Abweichungen
an die „Richtlinien" an, wie sie Johannes Schnitze
(in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 98, 1962, S.
1—11) formulierte. Das Quellenmaterial wurde nicht
nach Gattungen, z. B. Gutachten, Briefen, Predigten usf.,
sondern in chronologischer Folge dargeboton, da das teilweise
spärliche Aufkommen einzelner Gattungen dieses
Verfahren nahelegte. Eine Tabelle „Sachglioderung der
Werke Osianders 1522 bis März 1525" (S. 19) bietet hier
dio sinnvolle Ergänzung. Als schwierig erwies sich die
chronologische Ordnung der einzelnen Stücke, nicht minder
dio Frage nach dor Echtheit und damit dor Aufnahme in
dio Ausgabe. So wurde dio Schrift „Wie alle Closter . . .",
1524, dio Seebaß in seinem Wcrkevorzeichnis (Gottfried
Seebaß: Das informatorische Work des Andreas Oslander.
Nürnberg 1967. = Einzolarbeiten aus der Kirchengoschichte
Bayerns. Bd 44. Nr. 12, S. 7, vgl. S. 91) aufführte, aber
schon für zweifelhaft hielt, jetzt fortgelassen. (Vgl. Seebaß:
Bibliographia Osiandrica. Bibliographie der gedruckton
Schriften Andreas Osianders d. Ä. [1496—1552] ...
Nieuwkoop 1971. Nr. 82, S. 204, unter den „Dubiosa".)
Die in der „Bibliographia Osiandrica" untor Nr. 100 (ebd.
S. 223) bei den „Falsa" eingeordnete Schrift „Ain schöne
Sermon", 1523, wurde jetzt als echt aufgenommen. Bei
Soebaß, Das reformatorische Werk, fehlto sie überhaupt.
Fligge, Osiandrismus, S. 857, hielt sie für unsicher. Seebaß
in: Gesamtausgabe, Bd 1, Nr. 5, S. 77 f, sah jetzt „keinen
ausreichenden Grund", sie von der Aufnahme in die Ausgabe
auszuschließen 2. — Der in der „Bibliographia Osiandrica
", Nr. 81, S. 194—203, unter den „Dubiosa" eingereihte
Druck „Wie eyn Christliche fraw des adels", 1523,
der im Werkoverzoichnis (Seobaß: Das roformatorische
Werk, S. 6) zu 1523 noch fohlte, ging jetzt in die Ausgabe
ein. Osiander kommt als Herausgebor und Vorfassor des
Vorwortes „mit einiger Wahrscheinlichkeit in Betracht"
(Gesamtausgabe, Bd 1, S. 89 u. Anm. 11), ohne daß es
„sichere Kriterien für Osianders Autorschaft" gibt. —
Dio in der Bibliographia Osiandrica", Nr. 101, S. 225,
unter den „Falsa" angezeigt Schrift „Vom Christlichen
Ayd", 1524, wurde für die Edition obenfalls vorworfen.

So zeigt sich gelegentlich der schwankende Boden, auf
dem sich die Editoren bewegen müssen (vgl. Gesamtausgabe
, Bd 1, S. 14, Anm. 11). Eine Liste „verschollener
Schriften und Briefe von und an Osiander 1522 bis März
1525" (S. 21 f.) ist in diesem Sinno zu werten. Die Archi-
valien in der Deutschen Demokratischen Republik konnten
nur aufgrund von schriftlichen Auskünften ausgewertet
werden.

Den oinzolnon Quellonstückon wurden die Namen der
jeweiligen Bearbeiter vorangestellt. Die Einleitungen sind

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 2