Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1977

Spalte:

110-114

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kohlenberger, Helmut

Titel/Untertitel:

Similitudo und ratio 1977

Rezensent:

Schmidt, Martin Anton

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

109

Theologische Literatnrzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 2

110

Es läßt sich m. 10. nicht abstreiten, daß Erasmus die
Volksbibel gewollt hat. Tch sehe keinen Gradunterschied
in den zwei Erasmus-Äußerungen: a) Optavorim ut omnes
mulierculae legant evangelium, legant Paulinas epistolas.
Atquo utinam haee in omnes omnium linguas essont trans-
fusa; b) cupiam verti in omnes linguas (S. 192). Cupiam
ist genauso Wunschform wie optavorim und utinam, und
in beiden Äußerungen tritt Erasmus engagiert für Übersetzung
in alle Sprachen ein. Auch wenn er seine lateinischen
Worte an Kandidaten der Theologie richtet, will er
doch, daß sie sich nicht einer allgemeinen Bibelvorbroitung
in den Weg stellen. Rrasmus und die, an die er sich wandte,
brauchten nicht wie More um eine ArundeT-Constitution
herum/.ulavieren. Wenn er es Kritikern gegenüber später
zum unverbindlichen Wunsch herunterspielte, so ist das
taktisches Manöver, Wenn er in der 2. Aufl. der Paraphrase
zum Matthäus-Evangelium die Vorrede wegließ,
so ist er zurückgepfiffen worden oder hat Sorge gehabt,
zu sehr mit der Sache Luthers gleichgesetzt zu werden.
Ursprünglich hat er mit dieser Vorrede ihm Wichtiges
(mehr als nugae inanes) zum Ausdruck bringen wollen.
S. 233 gesteht Vf. dann selbst zu. Erasmus sei grundsätzlich
für die freie Volksbibel gewesen.

Tn diesem Zusammenhang goht es noch um eine Stelle,
wo es möglieh oder sogar gegeben orscheint, ein Erasmuszitat
anders zu deuten als Vf. es tut. E. schreibt: tantum
locis aliquot adversus illos disserui, qui putant actum de
fide christiana, si vulgus attingat Sacras Litteras. Vf.
meint S. 225 und S. 233f, dies richte sich gegen dio extremen
Verfechter der freien Volksbibel. Kann es aber
nicht auch, ja muß es nicht sogar besser als gegen Sutor
gerichtet verstanden werden, der meinte, der christlicho
Olaube sei in flefahr, wenn man Laien die Bibel in die
Hand gäbe?

Ein wichtiges Problem ist, wie philologische und theologische
Exegese sich zueinander vorhalten. E. hat bei
seiner humanistischon Bibelphilologie nur die später so
genannte ,.niedere Kritik" im Auge und will sie zum
Nutzen der theologischon Exegeso angewendet wissen.
Schon damit hat er zu seiner Zeit erheblichen Sturm erregt
. Erst recht wird die Sache spannend und aufregend,
wenn dann später von der Philologie her die „höhoro
Kritik" in die Theologie eingeführt wird, wenn z. B. in
Helmstedt um 1700 mit der Flagge der Philologie und
unter dem orasmisohen Dockmantel von Grammatik und
Rhetorik Quollenscheidung und Mythendeutung eingeschleust
werden. An mancher Fakultätsgeschichte und an
mancher Einzelperson könnten da aufschlußreiche Studien
Remacht werden, ob Philologie und Theologie unberührt
nebeneinander herlaufen oder in heftigen Gegensatz zueinander
;treten oder in fruchtbarem Miteinander ein-
' 'ergehen.'

Vf. hebt S. 189 und S. 29f! die Namensanspiolungen
hervor (boatus vir auf Beatus Rhonanus und „to the more
P"rt" auf More). Ist dann nicht auch das „Encomium
Moriae" von Erasmus als Anspielung auf More, dem es
gewidmet ist, zu betrachten und zu erwähnen?

In der Gosamtanlage des Buches hat die querschnittweise
Darstellung den Nachteil, daß es zu unnötigen Wiederholungen
kommt, vgl. dio mancherlei Seitenvorweiso
JW früher Gesagtes und zuweilen mehrmaliges Anführen
des gleichen Zitates.

Von 35 Druckfehlern, die mir auffielen, seien drei
schwerwiegende genannt: S. 203 Anm. 45: was ist mit
•■Proctor" gemeint? S. 291 Z. 16f. v.o.: statt „von 1528"
muß es „vor 1528" heißen. Unklar ist S. 353 Z. 7 v. U.i
^wischen „seiner Tntention nach" und „entscheidenden
p«i"kt" ist wohl „im" einzufügen.

Tnblt*/EIbe Mnns Möller

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Knhlenberccr, Helmut : SlmlHtado und ratio. Überlegungen zur
Methodo bei Anselm von Cantorbury. Bonn: Bouvier Veilng
Herbert (irundmann f 1972]. 290 S. gr. 8° m Münehener Philosophische
Forschungen, hrsg. v. Max Müller, 4. Kart,
DM 44.—.

Wie wichtig dio Begriffe similitudo und ratio für Anselm
sind, ergibt sieh besonders aus seinem „Monologion":
Alles, was ist, verdankt der summa essentia sein Sein, und
zwar in einem desto höheren Seinsgrad, je ähnlicher es
ihr ist. Je ähnlicher ihr etwas ist, desto besser kann sie
auch „durch" es erkannt werden, wenn auch nio vollkommen
. Da nun von allen Kreaturen der mens rntionnlis,
die allein im eigentlichen Sinn zu erkennen vermag, solche
Ähnlichkeit am größten ist, ist sie nicht nur das einzige
mögliche Subjekt, sondern auch das angemessenste Erkenntnismittel
für ein Erkennen der summa essentia (s.
bes. Monol. f>f>). Diese Verknüpfung von „Ähnlichkeit"
und „Vernunft" befähigt Ansolm, seine „Meditationen"
über die göttliche essentia (so das Programm des Monol.
nach dessen Prolog) so weit zu treiben, daß eino an die
Trinität erinnernde triadische Struktur der summa essentia
dem sich auf Vernunftargumente stützenden, von der
Autorität der Glanbonstradition absehenden Denken er-
kennbar wird.

Wenn nun der Verfasser der vorliegenden „Überlegungen
zur Methode bei Ansolm von Cantorbury" diesen
öfters als einen „methodenbowußten Denker" (S. 20) anspricht
, so könnte man besonders an dio Vorreden des
Monol. und anderer seiner Schriften denken, in denen die
Art und Absicht des jeweiligen Vorgehens dargelegt wird.
Der Vf. wendet aber solchen Texten keine besondere Aufmerksamkeit
zu. Tn der Tat lassen sio manche Frage offen,
etwa zur näheren Bestimmung der „Vernunft", der sieh
Anselm in seinen Bemühungen, den Glauben zu „verstehen
", bodienen will. Was der Vf. als „Methode bei Anselm
" Iwdenkt, liegt nicht einfach in den Texten Anselms
zutage. Eine „implizite beständige Methodenreflexion"
(S. 2(5, Hervorhebung des Rezensenten), wie sio bei Anselm
selbst schon jenseits der äußeren Gestalt seiner Texte
festzustellen sei, ermutigt den Vf. nun auch seinerseits,
nicht so sehr den Texten entlang, als vielmehr „quer zum
Text" methodologische Fragestellungen „im Sinne der . . .
wissenschaftstheoretisch bestimmten Fragestellung der
Gegenwart" (ebd.) nn Anselms Denken heranzutragen.

Über das „Mothodenbewußtsoin des Mittelalters" sagt
der Vf. woniger als über seine eigene Methodenproblematik:
nur so viel, als os etwa braucht, um Anselm eine „Stellung
in der Geschichte der Sprachphilosophio" (Titel der recht
knappen historischen Übersicht S. 11 — 14) anzuweisen.
Gelegentlich worden Vergleiche mit späteren Scholastikern
gezogen (z. B. S. 15, 106f. — dazu verschiedene durch das
Namenregister orschließbaro Anmerkungen). Unklar aber
bleibt, wieweit Anselms Methode zur eigentlichen scholastischen
Methode, gerade der frühen, etwa bei Peter Abae-
lard, in Beziehung, in Spannung oder gar im Gegensatz
steht (trotz verschiedener guter Einzelhinweise besonders
in Anmerkungen). Allzu unbesehen wird die Rede vom
„Vater der Scholastik" übernommen (S. 19f. u. ö.). Wenn
für solche Einordnung ein „Neuansatz . . . gegen die traditionelle
Autoritätsboweismethodo" angeführt wird (S. 21),
dann wird leider nicht weitor verfolgt, wie verschieden sich
solcher Neuansatz bei Ansolm und anderen Theologen des
12. .Ths.gestaltet — einmal angenommen, os handle sich da
überhaupt um den gleichen Vorgang.

Was des Vfs. eigene Mothodenproblomatik betrifft, so
kommt diese nicht nur in einem Abschnitt mit der Überschrift
„Zur Mothodo und Durchführung der Untersuchung"
(S. 25—27) zur Sprache, sondern dazu in vielen verstreuten
Bemerkungen. Dabei liegt ihm viel daran, zu erklären,
wieso er sich berechtigt fühlt, im „Absehen von theologi-