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Ausgabe:

1977

Spalte:

107-109

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Holeczek, Heinz

Titel/Untertitel:

Humanistische Bibelphilologie als Reformproblem bei Erasmus von Rotterdam, Thomas More und William Tyndale 1977

Rezensent:

Möller, Hans

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Theologische Litoraturzcitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 2

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kung des Autors auf das Briefkorpus und die damit unmittelbarer
zusammenhängenden Fragen ist einsichtig.

Die angestellten Untersuchungen sind gelegentlich auch
über das Historisch-Theologische hinaus von Belang, und
es ist nicht ohne Reiz, zu verfolgen, wie G. die doch stark
gegensätzliche Entwicklung Cyprians und Novatians sowie
ihrer jeweiligen Anhängergruppon oinfängt. Mir erscheint
es besonders beachtenswert, daß auch einmal ein
Theologe sich besonders darum bemüht, den Briefverkehr
Cyprians, den die Verfolgung und die Zerspaltenhoit des
karthagischen wie auch des römischen Klerus vor besonders
schwierige Situationen gestellt hat, hauptsächlich unter
dem nüchternen Aspekt kirchenpolitischor und kirchensoziologischer
Gegebenheiten zu sehen. Kennzeichnend
dafür ist es, wie G. zunächst das Ringon Cyprians um die
„Anerkennung" seiner Position wie seiner Flucht durch
die römischen Partner hervorhebt und wie er anschließend
betont, daß das Interesse des karthagischen Bischofs an
der Korrespondenz mit dem römischen Klerus nach Eintreffen
der beiden großen Anerkcnnungssehreiben aus Rom
„schlagartig" zurückgegangen sei (S. 145). Man hatte sich
dann nicht mehr viel zu sagen, und außerdem beinstete
die doch unterschiedliche Einstellung gegenüber den „lapsi"
(hier meist als „Gefallene" bezeichnet, was den Durchschnittsleser
sicherlich immer wieder merkwürdig berührt)
das Verhältnis.

Man möchte der wertvollen Arbeit mehr Leser wünschen
, als solche Untersuchungen normalerweise erwarten
dürfen. Violleicht spricht G. dieses Ziel auch mit Hilfe
seiner stellenweise oft recht modernen Terminologie an,
dio freilich bedenklich wird, wenn er von der ..Streichung
der Presbyter von der Lohnliste" (S. 150) oder vom
„Entwicklungsgesetz seiner Kirche" (S. 154) redet oder
einen Modernismus wie Beugehaft (S. 53) einführt. Hier
scheint mir der Spielraum des Adäquaten doch verlassen
worden zu sein.

Halle/Ranln TTnns-.Toaohim Diesner

Holeezek, Heinz: Humanistische Bilwlpliilolosie als Reformproblem
bei Erasmus von Rotterdam, Thomas Mnre und
William Tyndale. Leiden: Brill 1975. VIIT. 414 R. gr. R°
Rtudios in the History <>f Christ inn Thotight, od. by TT. A.
Oberman, TX. T,w. hfl. Ort.—.

Ausgehend von der Entwicklung und dem Wirken des
Erasmus ist Vf. bemüht, den humanistischen Standpunkt
im Verhältnis zum altkirohlichen Traditionalismus und
zur lutherischen Reformation stärker herauszuarbeiten.
England erseheint ihm dafür als geeignetes Blickfeld, weil
es dort im Unterschied zu Deutschland eine ausdrückliche
Auseinandersetzung über das Verhältnis von humanistischer
Bibelphilologie und reformatorischer Volksbibel gab.
Am ausgiebigsten spiegeln sich die anfallenden Probleme
in den Verlautbarungen von Th. More wider, der als
Hauptwortführer bei der Verteidigung der Bibelübersetzung
des Erasmus gegen dessen traditionalistische Gegner
wie dann auch im Kampf gegen Tyndales lutherische "NT-
Übersetzung auftrat.

Mehrmalige längere Aufenthalte in England brachten
Erasmus in Fühlung mit englischen Humanisten. Durch
Colet wurde er angeregt, das humanistische Anliegen auf
die Bibel auszudehnen und aufs Neue Testament anzuwenden
. Vertreter des Traditionalismus sind der Löwener
Professor Dorp, der Londoner Kartäusermönch (später
Prior) Batmanson und der mit der Sorbonne verbundene
Theologieprofessor Sutor. Mit dem Erscheinen von Tyndales
englischer Übersetzung des NT faßt die Reformation
1525 in England Fuß. Daß More in antitraditionalisti scher
und antireformatorischer Haltung auf Seiten des Erasmus
steht, wird vom Vf. aufgewiesen. Interessiert ist Vf. an der

Frage, wieweit die Erasmianer sich argumentativ auf die
durch das reforrnatorischo Schriftprinzip geschaffene Lage
einstellen.

In Kap. I legt Vf. dar, daß More zwar viele Bibelzitate
verwendet und dabei dem lateinischen Wortlaut eigene
Wiedergabo in Englisch beifügt, aber doch nicht als Bibel-
übersotzer zu betrachten ist. Er hat nie ein biblisches Buch
insgesamt übersetzt, und er hat bei mehrmaligem Aufgreifen
desselben Bibelwortes nach dem Gesichtspunkt
seines Zitierons variierend übersetzt. Kap. TT und TTT
stellen Erasmus als Bibelüborsotzor vor: wie er dazu kam,
und wie er es durchgeführt hat. Kap. IV und V schildern,
wie More den Erasmus gegen Dorp und gegen Batmanson
verteidigt.

Kap. VI—VIII ziehen die Volksbibel in Betracht :
Erasmus-Sutor, Erasmus-Luther, Tyndales englisches NT.

Kap. IX—XI erörtern Mores Stellung zur Volksbibel:
Er stellt sich scharf gegen Luther und gegen Tyndale,
befürwortet aber, daß der englische Episkopat eine vollständige
Bibelübersetzung voranlasse und die Aushändigung
an Laien überwache.

Quellenschriften und einschlägige Literatur ZU den
Personen und zu den Problemen sind reichlich und gründlich
verarbeitet. Sehr klar und überzeugend ist Th. Moro
dargestellt, als bei seinen Anschauungen sich selbst und
dem Erasmus treubleibend. Ein Hauptwort des Buches ist
darin zu sehen, daß uns More sachlich und menschlieh nahegebracht
wird.

Zu fragen ist, ob Vf. Tyndale gerecht wird. Moro hat
sehr deutlich gesehen, daß es bei Tyndales Übersetzung auf
dessen roformatorischen intent ankommt, und mit den
Beispielen, die More herausgreift (priest/eider, churoh/con-
gregation, charity/lovc, grace/favour, confession/know-
lodge, ponance/repentance, idol/imnge) hat er den nervus
rerum getroffen. Aber hatten nicht die Worte priest,
ehurch, charity, graoe, confession und ponanoe in der
katholischen Kirche eine solche Prägung erfahren, daß
Tyndale allen Anlaß hatte, sie durch andere zu ersetzen ?
In der Durchführung hat T. dann manchmal über das Ziel
hinausgeschossen, und bei der Wohl neuer Worte mag er
nicht immer eine glückliche Hand gehabt haben. Aber daß
hinter Tyndales Verfahrensweise ein berechtigtes Anliegen
stand, sollten wir (im Unterschied zu More, df-r das nicht
sehen konnte), doch hervorhoben und gelten lassen. Durch
Tyndales NT-Übersetzung ist der Stein ins Rollen gekommen
, dio Stellungnahme Mores notwendig geworden
und die Reformation in England zustande gekommen. Am
Schluß seines Buches deutet Vf. selber an. daß T.s Übersetzung
auf ihr Verhältnis zu Luthers Vorbild hin noch
weiter zu untersuchen wäre. Darüber hinaus aber möchte
ich meinen, daß schon in dem vom Vf. Dargebotenen Tyndale
gegenüber Moro zu kurz kommt.

Ebenso steht es mit der zweiten Frage, dio Vf. am
Schluß anschneidet: das Verhältnis Tyndale-Erasmus, reformatorischo
Bibelübersetzung — Immanistische Bibelphilologie
. Auch hier ist anzumerken: haben Luther und
Tyndale nicht doch mehr, als Vf. es darstellt, ein Recht,
sich auf Erasmus zu berufen 1

More hat.bei den Wortbeispielen nicht in allen Punkten
Tyndales Berufung auf Erasmus widerlegen können. Wenn
T. bei idol/image die Wiedergabe des Wortes variiert,
während er sonst auf konkordante Übersetzung eines
Wortes Wort logt, so dürfte der Grund der sein: bei den
anderen Beispielen hatte er ein in der lateinischen Bibel
stehendes, belastetes Wort auszuschalten, hier wollte er
um der Gegenwartsaktualisierung willen ein neues Wort
einbringen, darum ist ihm die Variation wichtig. Wenn er
dafür Beispiele bei Hieronymus und bei Erasmus vorwiegend
shnulaerum fand, so nutzte er dies für seinen Zweck
aus. So, wie er es gerade braucht, spannt er Erasmus vor
seinen Wagen.