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Ausgabe:

1977

Spalte:

106-107

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gülzow, Henneke

Titel/Untertitel:

Cyprian und Novatian 1977

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

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Theologische Literaturzeitung 102. .lahrgang 1977 Nr. 2

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andererseits vortrit t sie die Tlicse, daß Strauß „in der Tat
die neuzeitliche Alternative schlechthin zu Schleiermacheis
Christologie aufgestellt" habo (S. 217). So erscheint die
Auseinandersetzung von Strauß mit Sehleiermaclier geradezu
als Konzentration der systematischen Probleme
von nahezu zwei Jahrhunderten historischer Jesusfor-
schung.

Das Schwergewicht des Buches liegt in der Quellen-
Untersuchung, die im ersten Hauptteil an Schleiermacher,
im zweiten an Strauß mit großer Umsicht vorgenommen
wird. Schrittweise werden in chronologischer Reihenfolge
einzelne Schriften zur christologischen Thematik analysiert
, bei Sehleiermaclier insbesondere die „Weihnachtsfeier
", die Vorlesungsnachschriften über das „Leben Jesu"
sowie die „Glaubenslehre". Neben den Sachfragen werden
zugleich die methodischen Voraussetzungen vorgeführt.
Dabei tritt Vf. den Auffassungen bei, die in der Christo-
logie bzw. in der Bindung an die Geschichtlichkeit Jesu
in der Theologie Schleiermachors nicht die große Störung,
sondern das Herzstück und die Vermittlung von Theologie
und Philosophie erblicken. Kritisiert wird jedoch, daß bei
Schleiermacher die Angefochtonheit Jesu und das Kreuz
verdeckt werden und infolgedessen der Gerichtsgedanke
ausgeblendet ist — ein bekannter und berechtigter Einwand
.

Bei Strauß wird vor allem für die erste Auflage des
..Leben Jesu" herausgearbeitet, wie schon hier und nicht
erst in späteren Veröffentlichungen die Auseinandersetzung
mit der Christologie Schleiermachers erfolgt. „Das Loben
Jesu von Strauß ist in erster Linie gegen Schleiermacher
geschrieben." So lautot die These, die bowiesen werden
soll und die sicher auch nicht zu bestreiten ist, zumal wenn
sie im weiteren so differenziert wird, daß einerseits in der
Kritik an Schloiormacher eben auch das Anliegen von
Strauß, ihn konsequent fortzuführen und andrerseits die
Auseinandersetzung bzw. ebonfalls die konsequente Fortführung
von Hegel durch Strauß deutlich gemacht wird.
Dies wird überaus sorgfältig belegt mit reichem biographischem
und theologiegeschichtlichem Material, das
manche Aufschlüsse bringt, die die Strauß-Forschung
auch über die Grenzen des speziollen Thomas hinaus bereichern
— z. B. die Ausführungen zum Mythos-Bogriff
sowie zur Anwendung der Hegelschon Systematik.

Tn don einzelnen Schritten wird nachgezeichnet, wie
von Strauß die Schleiormachorscho Vermittlung von geschichtlicher
Individualität und universaler Bedeutung
Jesu aufgehobon wird mit der Konsequenz, daß christo-
logisch der Mensch in die Menschheit aufgelöst wird. Nach
Meinung deR VfB. läßt sich bei Strauß aber nun das christo-
logisohe Prinzip der Vermittlung in der Funktion der
britischen Methode naehweison: „Die theologische Aus-
logung soll nichts anderes sein als die Negation der Negation
hei Hegel. Für Strauß vollzieht sich hier in der Auslegung
prinzipiell das gleiche Geschehen wie in Kreuz und
Auferstehung Jesu" (S. 230).

Die Auseinandersetzung von Strauß mit Sehleiermaclier
konzentriert sich damit auf dio bekannte Entscheidung,
wie die inhaltlichen Kriterien der Christologie sich zu den
formalen verhalten, wie dio geschichtliche Individualität
Jesu mit der universalen Bedeutung einer Idee zu verbinden
ist. Darin liegt zwoifellos das Grundproblem der
historischen Josusfrage, zumal wenn sie im Zusammenhang
der Glaubensbogründung thematisiert wird.

An dieser Stelle setzen nun die freilich nur in Kürze
skizzierten eigenen Überlegungen des Vfs. ein. Im Rückgriff
n,if Emanuol Hirsch möchte er den Vermittlungspunkt
zwischen historischem Jesus und Christusglauben nicht
lm Gstergoschohen, sondern im Kreuz ansetzen. Daraus
wird eine Entsprochung der Geschichte Jesu mit dorn
Glaubonsvollzug abgeleitet. Tn der Geschichte Jesu ist
das Kreuz die Folge, „die Jesus aus dem im freien Verordnen
auf die bedingungslose Gnade Gottes geführten
Kampf gegen die Gesetzesreligion erwuchs. Das Verhältnis

des Glaubens zum geschichtlichen Jesus ist dann das selber
angefochtene Verhältnis zu dem angefochtenen und gekreuzigten
Jesus. Damit hört das Kreuz auf, Schranke
der Lebensgemeinschaft mit Jesus zu sein, und wird zu
deren eigentlichem Inhalt, ohne doch vom Leben Jesu
isoliert, zu werden ..." (S. 321). Tn zweifacher Hinsicht
wird dieser Ansatz erweitert, nämlich durch die Betonung
des Wortes im Vollzug der Verkündigung sowie durch die
Kirche als Gemeinschaft der mit Jesus Verbundenen. Der
Auferstandene wird dann identisch mit dem Christusglauben
der Gemeinde: „Wenn die Lebensgemeinschaft
mit Jesus — für den einzelnen wie für die Gemeinschaft
der Glaubondon — das personale Verhältnis zu dem Gekreuzigton
ist, so ist seine Auferstehung ident isch mit seinem
Horrwerden in den Gewissen der an ihn Glaubenden. Dies
und nichts anderes ist seine Erhöhung, die Überwindung
des Todes ..." (S. 325).

An die Stelle oiner personalen Christologie, deren Anliegen
die Unterscheidung von Glaubensbewußtsein und
Sein Christi ist, tritt wieder einmal eine funktionale Christologie
. Es scheint völlig vergessen, daß gegen diese
Position in der Auseinandersetzung mit R. Bultmann von
neuem die Frage nach dem historischen Jesus aufgenommen
worden ist. Das Anliegen der Verfechter einer
funktionalen Christologie ist stets dio apologetische Vermittlung
von Glauben und Wissen. Dogmatisch geht es
dabei jedoch um Themen der Pneumatologie. Mit der Anfechtungserfahrung
wird aber auch ein praktisches Problem
aufgegriffen, das die Grenzen dieses Ansatzes deutlich
macht. Denn die Anfechtung des Glaubens wird dann zum
Trost, zur Nachfolge und Nachahmung auf die Kreuzesanfechtung
Jesu vorwiesen. Wo aber das Sein des Erhöhton
in das Bewußtsein der Glaubenden aufgelöst ist,
kann schwerlich noch von dem Eintreten Gottes für den
in seiner Gewißheit angefochtenen Glaubon dio Rede sein.
Daß bei der Anfechtung Jesu seine Jünger schliefen, daß
sie angesichts des Kreuzes flohen und erst durch den Auferstandenen
wieder zusammengeführt wurden, müßte doch
wohl genauer bedacht worden.

Heidelberg Reinhard Slenczka

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Qlltow, Benneke: Cyprian und Novatian. Der Briefwechsel
zwischen den Gemeinden in Rum und Karthago zur Zeit der
Verfolgung des Kaisers Deoius. Tübingen: Mohr 1975. IX,
lf>7 S. gr. 8° — Beiträge zur historischen Theologie, hrsg.
v. G. Eheling, 48. Kart. T)M 42.—.

Ober- und Untertitel der Untersuchung hängen aufs
engste zusammen: In der Tat unternimmt es G., den schon
oft berücksichtigten Briefwechsel zwischen der karthagischen
und der römischen Gemeinde in der kritischen
Phase der Decischen Verfolgung neu zu sichten und dio
„geschichtliche Bedeutung der Korrespondenz" genau herauszuarbeiten
. Aufs Ganze gesehen, ist ihm dies nueh vorzüglich
gelungen. In einem ersten Teil befaßt er sich mit der
Chronologie der Briefe (dio in zwei Tabellen — S. 18/19 —
übersichtlich zusammengefaßt wird); der zweite Teil erläutert
und erörtert diese Korrespondenz mit wünschenswerter
Akribie (hier wäre stellenweise oino weitere Verdeutlichung
günstig gewesen, ggf. auch die kommentierende
Übersetzung einzelner Termini mit umfangreichem
und daher verwcchselbarem Inhalt wie etwa comes, vgl.
S. 29, Anm. 42), während der dritte Teil diese gesamte
Korrespondenz oben historisch würdigt. Diesem Schlußteil
wäre eine gewisso Abrundung und Ausweitung — sei es
unter dem Aspekt der Frage des päpstlichen Primates, sei
es unter dem Blickwinkel 'der jspäteren 'Bezugnahme
Augustins sowie seiner donatistisohon Gegner nuf Cyprian
- sicher zugute gekommen. Doch — die kluge Beschrän-