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Ausgabe:

1977

Spalte:

100-104

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Kontinuität in Jesus 1977

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 2

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möglich an Tradition aufnimmt und sowenig wie möglieh
ändert oder „erfindet", eröffnen sich neue Wege zur Interpretation
von Tradition und Redaktion. N. Perrins
wichtige Studie (The Christology of Mark, S. 471 — 485)
entfaltet skizzenhaft die These eines angekündigten Buches
über Markus: Mit Hilfe der direkt aus der Tradition aufgenommenen
Titel Christus und Gottessohn tritt der Evangelist
in eine Beziehung zu seinen Lesern; nachdem der
Kontakt heigestellt ist, korrigiert und reinterpretiert er
traditionelle (Jhrisfologie mit Hilfe des Titels Menschen-
söhn. Dieser für Mk wichtigste ehristologische Titel ist
eine Art Konzeptualisierung seiner narrativ entfalteten
Kreuzestheologie. Zwei weitere Studien, die sich mit
christologischen Fragen befassen, handeln nicht von
der Markusredaktion: .). Coppens (Les logia du Fils de
l'Homme dans l'eVangile de Marc, S. 487—528) fragt nach
der Echtheit der tnarkinischen Menschensohnlogien und
findet echte Jesusworte sowohl unter den Logien vom
kommenden als auch vom leidenden Monsehonsohn. A.
Descamps (l'our uiio histoire du titre ,Fils de Diou',
S. 529—571) behandelt die Frühgeschichte des Gottes-
sohntitels in starker Anlehnung an K. Hahn.

Zwei Aufsätze versuchen strukturalistische I n t or-
pretationsansatze: .1. Radermakers (L'evangilo de
Marc. Btruoture et theologio, S. 221 — 239) entwirft nach
tiermeneutisehen Vorbemerkungen einen Aufriß des Markus
-Evangeliums. I'. Mourlon Beernaert (Structure
litterair et leoture theologique de Marc 14,17—52, S. 241
Iiis 2(i7) stellt, dir „Qitterstruktur" des in dreimal drei
Unterabschnitte gegliederten Komplexes Alk 14,17 — 52
dar, mit guten, aber auch überspannten und gekünstelten
Einzelthesen. Vor allein aus Radermakers Aufsatz gewinnt
num den Eindruck, dafi die strukturelle Analyse dos Text es
kaum Resultate bringt, die nicht auch ohne Strukturalismus
längstens bekannt waren, vielmehr eher die Gefahr,
durch das Zurücktretenlassen der diachronischen Analyse
notwendige Differenzierungen zu verdunkeln.

Die übrigen Aufsät/,'' beschäftigen sich mit einzelnen
Texten. Es seien die Titel genannt: B. Dehandschutter:
La parabole des vignerons homieides (Me 12,1—12) et
l'Evangile selon Thomas, S. 203 — 219 (Ev. Thom. 05 ist
vor Lk abhängig); .1. Lambrecht: Kedaction and Theo-
logy in Mk 4, S. 209—307; .). M. van Cangh: La multi-
plication des Pains dans l'evangile de Marc, S. 309—340;
T. Snoy: Marc 0,48 . . . .et il voulait les depasscr'. Pro-
position pour la Solution d'une euigme, S. 347 — 363 (Mk
0,48 wird vom Messiasgeheimnis her gedeutet). Drei Aufsätze
beschäftigen sich mit der Passionsgoseluchte: K.
Pesch: Der Schluß der vorrnarkinischenPassionsgeschichte
und des Markusevangeliums: Mk 15,42—10,8, S. 305 — 409.
H. W. Bartsch: Der ursprüngliche Schluß der Leidensgeschichte
, S. 411 —433; K.Aland: Der Schluß dos Markusevangeliums
, S. 435—470. Herausgehoben sei der Aufsatz
von R. Pesch: Mk 15,42—10,8 ist für ihn, abgesehen
von einer eventuellen Übermalung in 10,1, aber inklusive
10,7!, ein in sich völlig geschlossener und kohärenter Abschluß
der vormarkinischen Passionsgeschichto, dio P.
mit 10,32 beginnen läßt. Von früheren, weit konstruktionsfreudigeren
Arbeiten des Vfs. unterscheidet sich dieser
Aufsatz (erfreulicherweise!) erheblieh und läßt auf den
angekündigten Band über die markinischo Passionsgeschichte
gespannt sein. Für überlieferungsgeschichtliche
Fragen bleiben nach Peschs Analyse kaum mehr Anhaltspunkte
in der Textgestalt, sondern nur noch inhaltliche
Negativbefunde, wie derjenige, den Bartsch zum Ausgangspunkt
seines Aufsatzes nimmt: Warum wird die
Ersterscheinung vor Petrus nicht berichtet ? Spekulationen
darüber mögen interessant sein, bleiben aber Spekulationen
, denen gegenüber sich der von Pesch (nicht ohne
Einfluß linguistischer Analysen) angewandte Grundsatz,
daß dio Interpretation des vorliegenden Textes gegenüber
vorausgehenden Textstufon auf alle Fälle den Vorrang
verdient, wohltuend nüchtern abhebt.

Der wohlausgestattete Band bringt manche Belehrung
im einzelnen, auf die das Referat nicht hinweisen kann.
Im ganzen w iderspiegelt er die Situation der Markusforschung
heute: Von einem Konsens in der Hernusarbeitimg
des Redaktionsgutes (mau vergleiche nur die, Positionen
Lambrechts und Peschs und die immer wieder auftauchende
Infragestellung der Zweiquellont Ilein ie !) und der
Interpretation der markinisehen Theologie sind, wir weil
entfernt. Die Zeit der originellen theologischen Gesamtentwürfe
scheint weitgehend vorüber (in unserm Band nur
Robinson, Dungan, Perrin); Einzeluntersuchungen beherrschen
die Szene, über die Relevanz di r markinisehen
Theologie für Theologie und Kirche wird m. VV. im ganzen
Band von fast (iOO Seiten nirgends gehandelt, wohl ein
Zeichen für den in der Exegese wieder verbreiteten Rückzug
auf einen Textpositivismus, der die Gefahr in sieh
birgt,, dal.t eine mit sich selber beschäftigte Exegese ausschließlich
sich selbst, genügt.

Güttingen Ulrich Luis

1 IC. R. Bolsmard, in: P, Benoit — M. E. Botsmafd: Synopso des iiuatre
i''v;in<_'ilrK eil francais, Toni*' II: ('oinnirntairr, l'aris \)7-.

1 .1. KoatattV: Uet jolianuHsHir vrrhaal in ili! litcrairc kritirk. Itistorirk
Dossier van .loh. I—10. ELedacUestudie van Jon. 8,3 21, :i Udc, Diss.
niasch., LOwod 11172.

Kerlelge, Karl [Hrsg.]: Itüekfrase nach Jesus. Zur Methodik
und Bedeutung der frage nach dem historischen Jesus.
Preiburg-Basel-Wien: Herder [1974], 223 K. H" Quaestio-
noa Disputatae, hrsg. v. K. Kalinor u. II. Schlier. Kart.
DM 22.SO.

Pesch, Rudolf, ii. Herbert . Zwugel: KontinuitKI in Jesus.

Zugänge zu Leben, Tod und Auferstehung. Krcibuig-Hasel-
Wien: Herder [1974], III S. 8°, Kail. 1)11 17.SU.

DanUne, Wilhelm: Jesus von Nazarclh in der gegenwärtigen
Diskussion. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
|l!)74|. 126 S. 8° = Gütc-rslolicr Taschenbücher, 85.
L)M 6.80.

Dio Frage nach Jesus ist nach wie vor ein zentrales
Thema, wie die Zahl der ihr gewidmeten Veröffenf lichungen
beweist. Aber es hat den Anschein, als sei die tlieologische
Szene, vor der diese Frage gestellt wird, in einer tiefgreifenden
Veränderung begriffen, die sich auf Art und Richtung
des Fragens auswirkt. Nicht mehr darum gehl houto
in erster Linie die Auseinandersetzung, ob das nachösterliche
Kerygma von Jesus überhaupt einen historischen und
theologischen Fröiraum für die Rückfrage nach dem vor-
österlichon Jesus lasse, über die Tatsache, daß ein solcher
Freiraum vorhanden ist, besteht nunmehr ein relativ
breiter Konsensus. Es geht nunmehr einerseits darum, das
methodische Instrumentarium für die historische Analyse
der Jesusüberlieferung neu zu überprüfen. Und es geht
andererseits darum — und hier liegt wohl die eigentlich
entscheidende Aufgabe —, festzustellen, welches theologische
Gewicht das Bild des vorösterlichen Jesus gegenüber
dem nachösterlichen Christuskerygma hat: handelt
es sich hier nur um ein Interpretament, um ein Korrektiv
oder gar um eine dem Christuskerygma übergeordnete
Norm ?

Die drei hier zu besprechenden Bücher haben miteinander
gemeinsam, daß sich in ihnen — wenn auch auf ganz

unterschiedlichen Ebenen — diese neuen Fragestellungen
abzeichnen. Und zwar geht diese Gemeinsamkeit über
die Grenzen der Disziplinen und auch der Konfessionen
hinweg: Exegeten und Systematiker, Katholiken und Protestanten
fragen nicht nur in die gleiche Riehl ung, sondern
gehen vielfach auch bin ihren Lösungsversuohon zumindest
ein Stück weit in die gleiche Richtung.

Unmittelbar der exegetischen Fachdiskussion verpflichtet
ist der von K. Kertolge herausgegebene Sammelband
„Rückfrago nach Jesus". Er enthält dio Vorträge, die auf