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Ausgabe:

1977

Spalte:

919-921

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Rammenzweig, Guy Willi

Titel/Untertitel:

Kirche zwischen Bürokratie und Demokratie 1977

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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919

Thealogische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Nr. 12

Dagegen ist das Kap. 4 schon eher als eine echte Hilfe
anzusehen: „Der Familiengottesdienst - Eine Übersicht
für solche, die neu beginnen möchten" (32-178). Ein
Überblick über die bereits bewährten Kriterien und eine
große Anzahl erprobter und durchgearbeiteter Modelle
and Entwürfe ist an den Festen des Kirchenjahres, an
Themen des Alltags und der Familie sowie an Bibeltexten
(Lk!8, Eph6,3 oder Lk23,34) orientiert. Bei der Reichhaltigkeit
der Themen und der Weite des Horizontes
werden allerdings alle Bereiche alttestamentlicher Geschichte
und Prophetie vermißt. Doch mag das Zufall
sein.

An den Modellen wird unbeschadet mehrfacher kritischer
Anfragen an einzelne Themenbehandlungen deutlich
, daß der Familiengottesdiensl heute das geschenkte
Heil und die vom Evangelium her angebotenen Ant worl en
auf Lebensfragen und Modelle für die spezielle Hörergruppe
„Familie*" sprachlich klar und für alt und jung
durchaus verstandlich und anschaulich anzubieten vermag
. Zugleich wird deutlich, wie die ..Sache" des Evangeliums
hier aus sich heraus neue Gottesdienstformen zu
setzen vermag. Diese Umsetzung wird allerdings nur gelingen
, wenn der Familiengottesdienst von einer Gruppe
in der Gemeinde vorbereitet und gel ragen wird. Met hodisch
wichtig sind dazu die Ausführungen „Arbeitskreise für
Familiengottesdienste" (167-1.72).

Die Herausgahe dieser überaus anregenden Materialsammlung
kommt einem dringenden Bedürfnis entgegen.
Familiengottesdienste haben in unseren Gemeinden bereits
einen festen Platz. Aber Darstellungen ihrer Kriterien
sowie homiletisch und liturgisch bewährte Modelle
zur rechten Gestaltung und Durch Iii In ung sind noch sehr
spärlich veröffentlicht. So füllt diese Neuerscheinung eine
Lücke und hilft in einer theologisch und methodisch
beachtlichen Weise bei der Bewältigung eines zentralen
Anliegens unserer Verkündigung und Gottesdienstgestaltung
heute.

(irHIswalit Günther Kehnflcherper

Ranimenzweig. < l-uy Willi: Kirche zwischen Bürokratie und Demokratie
. Kommunikations- und Entscheidungspro zesse. Statt-
^■ut-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer [197.">J. 154 S. kl. 8
Kohlhammer Urban-Taschenbücher, T-Reihe, 618. Kurl. DM
12,-.

Der Autor unterwirft die kirchlichen Kommunikations-
und Entscheidungsprozesse einer scharfen Kritik. Die
Kirche - bei der er konkret hauptsächlich an die westdeutsche
EKD denkt - wünsche" Kommunikation nur zur
Selbstimmunisierung gegen die verändernden Wirkungen,
die potentiell jeder Kommunikation innewohnen. Weil
die Kirche bei der kleinsten Veränderung um ihren Bestand
fürchten müsse, mache sie die Kommunikationsarbeit
„zur Scheinkommunikation, zur Betriebsamkeit,
zur Fassadenmalerei, zum Täuschungsmanöver und zur
Selbstillusion" (34). Die zu echter Komiminikation unfähige
Kirche erhebe den ungeheuren Anspruch, ..daß
alles, was sie tue - in ihrer organisierten Innenwelt - für
die Außenwelt attraktiv, interessant und sinnstiftend sei"
(ebd.).

Wen und was will der Autor mit diesem aggressiven Stil
erreichen? Kirchenleitende Amtsträger werden dadurch
vermutlich daran gehindert, die tatsächlich dringenden
Anfragen an die kirchlichen Kommunikations- und Entscheidungsprozesse
ernst zunehmen. So ergibt sich der
paradoxe Sachverhalt, daß ein Autor die Kommunikation
in einem bestimmten Bereich verbessern will, aber selber
unfähig zur Kommunikation mit denjenigen ist, denen er
mangelhafte Kommunikation vorwirft. Der aggressive
Stil wird kaum, wie der Vf. wünscht, ein „konffiktspezi-
fisches Lernen" ermöglichen („es muß erst etwas kaputtgehen
, es müssen erst einige Köpfe rollen, bis Umdenken

und verändertes Handeln eine Chance bekommen", 41).
sondern er erzeugt vermutlich bei den Adressaten einen
Widerspruch, der die nötigen und möglichen Änderungen
eher erschwert.

Wer aber dem Autor trotz solcher Kommunikationsbarrieren
folgen möchte, wird fragen, wohin der Weg
führen soll. Das Ziel ist hoch gesteckt: ...Menschen miteinander
solidarisch umgehen zu lassen und so die Welt
für die Menschen möglicher, lebbarer, liebbarer zu machen"
(118). Niemand w ird sieh dieser Aufgabe entziehen wollen.
Die Kirche kann und soll dabei mitwirken, und sicher
braucht sie dazu mehr Kommunikationsfähigkeit. Darin
kann die Kirche aber nicht ihr Organisationsziel linden.
Die Kirche wird nicht nur theologisch, sondern auch
soziologisch mißverstanden, wenn man ihr das Proprium

gegenüber anderen Organisationen abspricht. „Immer
noch glauben Kirchenführer, bestimmte Dinge tun. andere
lassen zu müssen, da es ja .die Kirche' und nicht die Partei
, der Betl ieb, die Schule sei, um die es gehe" (23). Hier
gilt es als rückständig (..Immer noch" !). wenn die Kirche
ihr Proprium gegenüber anderen Organisationen wahren
möchte. Was Rammenzweig selber unter Kirche und
Gemeinde theologisch versteht, bleibt unklar. Daß Ziel
und Sinn der Kirche in der Verkündigung des Evangeliums
bestünden, wird nur ironisch bemerk! (76). Der
Exkurs über „die kirchliche Zielfunkt ion .Verkündigung'"
(34f.) unternimmt gar nicht erst den Versuch, zu verstehen
, was die Theologen mit dem - sicher nicht unproblematischen
Wort „Verkündigung" meinen. Der Leser
linde! nur einige Bemerkungen zum Widerspruch zwischen
Soll- und Ist-Werten in der Kirche. Dabei muß der Eindruck
entstehen, dieser Widerspruch sei den Verantwortlichen
in der Kirche unbekannt oder werde von ihnen
beharrlich ignoriert. Dem Vf. mögen solche notorischen
Leugner bitterer Tatsachen bekannt sein. Zweifellos ist
die Zahl derer größer, denen die Probleme bewußt sind
und die nach praktikablen Hilfen Ausschau halten. Bei
Rammenzweig linden sie diese leider nicht. Wer nur die

organisationssoziologischen Gemeinsamkeiten von Kirche.

westdeutschem Schützenverein und Automobilclub sieht,
das theologisch begründete Selbst Verständnis der Kirche
und ihrer aktiven Glieder aber ironisiert, kann nur eine
neue Variante des Widerspruchs zwischen Soll- und Ist-
Weiten schaffen.

Rammenzweig setzt offenbar voraus, eine von der
Herrschsucht kirchcnleitender Bürokraten befreite Kirche
werde ihren Sinn und ihre Ziele in der Kommunikation
selber finden. Was die Gemcindeglieder an der
„Basis" von einer angeblich emanzipatorisehen Kommunikation
halten, die von den Grundlagen des christlichen
Glaubens abstrahiert, wird nicht gefragt. Eine soziologisch
argumentierende Untersuchung müßte diese Frage
stellen und empirisch beantworten. Nicht nur die nach
Rammenzweigs Meinung ängstlich auf ihre Vorherrschaft
bedachten Theologen, sondern auch die Genleindeglieder
wollen wissen, auf welcher Grundlage und mit welchem
Ziel die Kirche kommuniziert. Es ist aufschlußreich, daß
die Erwartungen der aktiven Gemeindeglieder bei allem
antiklerikalen Pathos dieses Buches keine Holle spielen.

Das gilt auch für die Kritik des Bemühens um Konsensus
. Rammenzweig deutet solches Bemühen als einen
Versuch, den Kommunikat ionsprozeß durch Vorentscheidungen
zu steuern und damit die nötigen Veränderungen
zu unterbinden. Er übersieht, daß die Konsensiisbemü -
Innigen der Theologen und Kirchenführcr mindestens
teilweise durch die Konsensuserwartiiiigen der Gemeindeglieder
motiviert werden. Es fehlt jeder konkrete Nach»
weis für die Behauptung, die Theologen wollten mit dem
von ihnen postulierten Konsensus nur die Spielregeln
diktieren, mit denen sie den im freien Gespräch zu gewinnenden
Konsensus verhindern können. So wird der
Eindruck erweckt, als wollten die leitenden Gruppen ihre
Macht vorteile gegenüber der Mehrheit in der Kirchs aus-