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Ausgabe:

1977

Spalte:

889-893

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Lotter, Friedrich

Titel/Untertitel:

Severinus von Noricum - Legende und historische Wirklichkeit 1977

Rezensent:

Haendler, Gert

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SV.)

Theologische Literaturzeitung 102. Jahrgang 1977 Xr. 12

890

teilungs-Themen außer „Parabeln" etc. (Nr.5, 10, 24, 27, als 30nial, Martin Dibeliua mehr als 2ünial genannt. Schon
33, 34, 41, 48, 50), Philön's Moses-Vita für ungewöhnliche Jaques Fontaine hatte sich in seiner Edition der Vita
Kindheit. ..Mission to he Savior ofMankhul -. Abschieds- Martini heiläufig auf Bult mann bezogen (Sources ehrereden
und „Ascension to Heaven" (Nr. 11, 28, 42, 56), tiennes 133, 1967, S. 241, Anm. 1): bei L. aber geschieht
„Die Taten des Herakles" für wunderbare Geburt und dies in viel größerem Umfang. Einleitend nimmt L.
Himmelfahrt bzw. hier Apotheose (Nr.6 und 57). Ob die Stellung .,Zur Phänomenologie und Ortsbestimimum der
Texte als ganze die Singularitäl der neutestamentlichen Legende". Die zu Anfang des 20. Jhs. oft vertretene
Literaturgattung ..Evangelium" in Frage stellen werden. Meinung, daß Heiligeideben des Mittelalters als ..kireh-
-telie dahin. Warum statt dessen aus der neuerdings in den liehe Schwindelliteratur" abzutun seien, wird zurückge-
USA viel diskutierten Enkomion-Literatur nichts ge- wiesen (S. 3). Freilich ist mit einer gewissen ..Spannweite"
bracht wird, von der die Evangelien eine Variante dar- zu rechnen ..zwischen realem Geschehen und seiner ideo-
stellen könnten, darf man fragen. logisch bedingten Umdeutung in der Überlieferung" (S.

Angehängt ist ein sachlich gegliedertes Literaturver- 20). Ausführlich untersucht L. die literarische Absicht
zeichnis von EldonJ.Epp über Mysterienreligionen der grie- und den Standort des Verfassers der Vita Severin] (S. i'l
chisch-römischen Welt (S. 355-374). So schön es ist - was bis 8!)). Im Gegensatz zur bisherigen Sicht will L. den
es mit dem Thema des Buches zu tun hat. ist nicht ersieht- Verlasser Eugippius von seinem Helden Severinus möglich
und w ird auch nirgends begründet. Es folgt noch ein liehst weit abrücken. Eugippius schöpfte weithin aus der
-Nachweis der für die Übersetzungen benutzten „Text Edi- mündlichen Tradition, die ihm von seinen Klosterbrüdern
tions" (S.375-378): darunter figurieren auch Fiebigs Rab- zugetragen wurde. Eugippius war selbst dabei, als das
hinische Wundergesehichten fünfmal, aus ihnen sind die Kloster 488 aus der Donauprovinz Noricum nach Italien
wenigen jüdischen St üeke also übersetzt worden. evakuiert wurde; aber den heiligen Severin, der 482 ge-
Die im ganzen doch weiterführende Sammlung zwingt sterben war, hat er kaum noch gekannt. Eugippius ..kann
zu einem neuen Nachdenken darüber, ob man vom .,Ver- zwar nicht für die Historizität der Fakten, wohl aber
gleich" nicht die „Gegenüberstellung" unterscheiden und weitgehend für die Authentizität der mündlichen Über-
die Texte entsprechend ordnen sollte; was Vergleiche und lieferung, wie er sie fixierte, bürgen" (S. 32). Mit der Vita
Gegenüberstellungen nicht für einen traditionsgeschicht- Severini wollte Eugippius keine Biographie schreiben, viel-
lichen Ablauf, sondern für die „Erklärung" bestimmter zu mehr wollte er die „durch göttliches Wirken vom heiligen
ihm gehöriger, bzw. in ihrer Zugehörigkeil zu ihm erst zu Severin vollbrachten Wunder" bekannt machen (S. 37).
sichernder Dokumente wirklich leisten: oh alles, womit Ausführlieh vergleicht L. die Vita Severini mit anderen
man eine Umwelt" zeitlich lang und geographisch breit spätantiken Werken ähnlicher Art (S. 37-59). L. betont
gen im schildern kann, wirklich ..hackground" ist (die- die Zuverlässigkeit des Eugippius, der bei der Wiedergabe
Selbe auf S 1 ausgedrückte Skepsis wird nicht durch- des ihm überkommenen Materials „nicht mehr sehr stark
gehalten)- und ob man .history-of-religions study" (erster umgeformt" habe (S. 71). Er hat „eine Anzahl perikopen-
Satz des Vorworts) und ..church-history study" zwar artiger Erzählungen über die Taten des heiligen Severin
nicht inhaltlich wohl aber methodologisch weiter von- in einen hagiographischen Kähmen gebracht..." (S. 77).
einander trennen sollte. r , }\^ 'ler 1 berschrdt ..Idealtypische Züge im Severins-
Zur Nachahmun«'empfohlen sei die äußere Aufmachung hild der Vita wird eine Fülle einzelner Beobachtungen
des Buches- lose Blätter auf kräftigem Papier mit viel zusammengetragen: Parallelen zur Ablehnung des BiRand
und Zwischenräumen zum Beschreiben, maschinell- schofsaintes durch.Eremiten und zu asket ischen Leistungen
geschrieben als Rimdmch zusammengeheftet. Das wäre wie Demut, prophetische Sprüche, Wundertaten. Hinter
sicher auch bei uns eni Ausweg zwecks schneller und un- solchen typischen Berichten ist aber „vielfach ein realer
konventioneller Publikation von Wichtigern, denn auch Hintergrund sichtbar" (S. 88). L. will den Vorgang der
bei uns gilt that the cominercial publishing industry has hagiographischen Stilisierung aufhellen, die Arbeitsweise
long since Brown ünbearably expansive, time-consuming, des Hagiographen verständlich machen und so versuchen,
and restrictive on what shail be printed and how it must „Elemente der historischen Realität freizulegen" (S. 89).
look" (S.4). Gründlich untersucht wird der hagiologische Aspekt

carete» coipe der Vita Severini (S. 90-177). An einem Beispiel sei ance-

(We8t) deutet, wie die Probleme gelagert sind: In Kap. 28 der

Vita Severini wird erzählt, daß Severin an die Bevölkerung
öl verteilt habe. Das Ol sei überreich geflossen bis ein
Knabe gerufen habe, es seien keine Gefäße mehr vorhan-

.... ■ iiTPn den. Eugippius setzt diesen Vorgang in Beziehung zum

KIRCH ENGESCHICHTE: MITTELALI CK ölwunderdesElisain2Kön4. Eine Ähnlichkeit zwischen

Wundern des Alten Testaments und der Vita Severini
Ui.er, Friedrich-Severinus von Noricum. Legende und historische bedeutet aber nicht, daß solche Erzählung historisch
Wirklichkeit Untersuchungen zur Phase des Übergangs von unglaubwürdig sei: ..Bei der Olvermehrung von Lauria-
spätantiken zu mittelalterlichen Denk- und Lebensformen. cum handelt es sich keineswegs um eine willkürliche
Stuttgart: Hiersemann 1976. VIII. 328 S. gr. 8 = Monogra- Motiventlehnung, vielmehr dürfte hier ein geschichtliches
phien zur Geschichte des Mittelalters, in Verb. m. *. Prinz nrsg. j^tum _ die Verteilung von Speiseöl an notleidende
•v. K. Bosl, 12. Lw. DM 130,-. Flüchtlinge - zugrunde liegen. Zwar hat der Beriehter-
Der durah mehrere Veröffentlichungen bekannte F. statter diesen Vorgang mit einem entsprechenden bibli-
l-tter legt sei,,,. Habilitationsschrift vor (Marburg 1972), sehen Wunder in Verbindung gebracht, doch beeinflußt
'Ii- er fü. den Druck leicht überarbeitet und ergänzt hat. dieses den Beru ht kaum (S. llti). Aufmerksamkeit
Der Vita Severini galten Bemühungen vieler Historiker, gilt den Dubletten, die sich als Ergebnis der Typisierung
sie führt un. in che späte Völker«anderungszeit Sem des Irud.tioiisgu es ergaben (S. 141 .,.,): em Himvei, auf
Anliefen „m.-eifU I Her Versuch, das Bild des norischen die Evangebenuberheferung hegt nahe (S. 142-44: Mk
ÄS Verfremdung wie es 7,31ff. fW»n»gül „Wundererzählungen,
H,in überkom en ist zu analysieren und durch die t,y- die den Prozeß der fortgeschrittenen Typ,s,er„,,g am
pisehe Stilisierung zur Geschieht liehen Persönlichkeit deutlichsten erkennen lassen, dürften den Heiligen als
selbst vorzudrin^i erscheint in mancher Hinsieht als solchen kaum geschaffen haben, sie setzen ihn vielmehr
Schritt in methodisches Neuland" (S. VI). Bei seinen bereits voraus (S 155). Es gilt „historisches Geschehen
Methoden beruft er sich mehrfach auf die historische im hag.ologischen Kausalbezug näher zu erfassen (S. 156
Bibelkritik. Laut Register wird Rudolf Bultmann mehr bis 77).